Ein Justizskandal und seine VerdoppelungDichter Innenteil

Aus der Niederschrift des Gefangenen Franz Schmidt (5)

Franz Schmidt ist ein Lebenslanger in Stein. Seine Lebensgeschichte sollte Pflichtlektüre im Erziehungs- und Justizbereich werden. Die ganze Kausalkette der Härte statt Sinnhaftigkeit-Mentalität, die ausschließlich zu Verlierern auf allen Seiten führt, wird an seiner Biografie sichtbar. Zur Erinnerung: Das Gemeindekind landet nach jahrelangem Weitergereichtwerden von Hof zu Hof endlich bei Zieheltern, die es gut mit ihm meinen. Eine Verwandtschaftsfehde, ausgelöst durch seine Adoption, macht ihn zum geächteten, verprügelten Außenseiter bei den Erwachsenen ebenso wie bei den gleichaltrigen und älteren Kindern. Die materielle Not der Dreißigerjahre entsolidarisiert die Gemeinde, und der allgemein ungeliebte Bub reagiert auf die unverdiente und sadistisch uneinsichtige Härte, mit der man ihm begegnet, je nach Situation mit bockigem Alleingang und dann wieder mit dem extremen Bedürfnis, sich seinen Platz in der Gemeinschaft durch eine besondere gemeinnützige Leistung zu verdienen oder wenigstens für die einzutreten, die ihm gut sein wollen, aber es nicht dürfen. Als er dem Ober-Nazi der Gemeinde als Vergeltung für die Demütigung und Grausamkeit einer ihm als Arbeitskräfte zugeteilten Familie die Scheune anzündet, wird der Dreizehnjährige zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Dem folternden Nazi hingegen errichtet man ein Prachthaus. Als Fünfzehnjähriger wird der Bub von den Amerikanern befreit. Sein Ziehvater schlachtet den eigenen Ochsen, um das Fleisch den Hungernden in der Gemeinde zukommen zu lassen. Er wird wegen Schwarzschlachtens angezeigt und hart bestraft. Eineinhalb Jahrzehnte ist der Bub jetzt auf dieser Welt. Eineinhalb Jahrzehnte lang hat er erlebt, dass wenn immer jemand sich in die Gemeinschaft dienen möchte, es einen andern gibt, der diesen Versuch vereitelt und Kapital daraus schlägt, dass er die gute Absicht ins Gegenteil verkehrt.

Und offenbar sind diese Erlebnisse prägend.

Dieses Jahr 1946 sollte mein Leben grundlegend verändern. Es war der Anfang eines Weges, der mir anscheinend in die Wiege gelegt wurde. Ich hatte von Kleinkind auf keine Hilfe, ich aber wollte helfen! Auf Grund der Hungersnot beschloss ich als nun 16-jähriger durch Wilddiebstahl jenen zu helfen, die mich wenigstens, wenn schon nicht liebten, duldeten. Ich begann zu Wildern. Der Wildbestand hat sich nach dem Aufruf der Amerikaner, alle Schusswaffen abzugeben, kräftig erhöht, es gab genug Hasen und Rehe.

Ich holte einen der von mir versteckten Militärkarabiner vom Dachboden der Wagenremise, nahm mir einen Rucksack, Nägel, einen Hammer und ein Messer mit, zum Ausweiden eines Wildes, das ich schießen wollte.

Am Nachmittag des 13. März 1946 ging ich in den Wald, es war unser eigener Wald. Ich brauchte nicht lange suchen, ich sah bald mehrere Rehe und ich schoss auf den Bock, der mir vor den Lauf kam. Ich habe den Bock wohl getroffen, aber anscheinend nicht gut genug, denn er lief angeschweißt davon und ich hinterher, denn ich wollte ihn haben.

Ich lief den Hang hinunter zum Bach und fand Blutspuren vom angeschweißten Rehbock. Beim Bach angekommen preschte ich durch das Gebüsch und sah den Bock in das gegenüber liegende Waldstück verschwinden. Aber noch etwas musste ich zur Kenntnis nehmen! Auf der angrenzenden Bachwiese war die älteste Tochter des Bauern Dax mit dem Mistbreiten beschäftigt. Ich konnte daher nicht zu dem von mir angeschossenen Rehbock. Ich wusste momentan nicht, wie ich es anstellen sollte, um zu dem Bock zu gelangen. In diesem Augenblick machte ich wohl das Blödeste, was ich überhaupt machen konnte. Ich wollte die Daxtochter mit Schüssen vertreiben und schoss blind in die Luft, um sie herum in die Wiese. Weil ich hinter den Büschen stand und durch das Gebüsch schoss, traf sie ein Querschläger an der Schulter und verletzte sie. Sie lief schreiend davon. Und ich ebenfalls.

Das Gewehr, den Rucksack mit Hammer und Nägel hing ich an einen Baum und rannte und rannte ohne zu wissen wohin. Ich rannte bis nach Vöcklamarkt und ging zu meinem Firmgöden, weil ich glaubte, er könnte mir aus dieser brisanten Lage helfen. Ich getraute mich dann aber doch nicht über das sprechen, was mich bedrückte.

Und so kehrte ich wieder um und fuhr mit dem Zug nach Frankenmarkt zurück, das Fahrgeld gab mir mein Firmgöd. Als ich daheim ankam, war der Teufel los! Die Gendarmerie war schon bei Vater und sagte ihm: dein Bub hat auf das Daxmensch geschossen! Vater darauf, das glaub ich nicht! Wo ist er denn überhaupt? Darauf Vater:das müsst ihr ihn schon selber fragen! Aber er ahnte nichts Gutes, denn als ich nach Hause kam, zog er mit einer Kneifzange die Mausknöpfe aus meinen Schuhsohlen, weil ihm die Gendarmen gesagt haben, dass sie meine Fußabdrücke und einen verendeten Rehbock gefunden haben. Dein Bub hat gewildert. Als die Gendarmen kamen, nahmen sie mich mit, und ich musste ihnen zeigen, von wo aus ich geschossen habe. Ich zeigte es ihnen. Und wo ist das Gewehr?, war die nächste Frage. Ich hab es weggeworfen, antwortete ich.

Inzwischen ging der alte Dax um den Tatort herum und dabei fand er das auf einen Baum gehängte Gewehr und den Rucksack mit Hammer und Nägel. Na klar, er hat gewildert, da haben wir ja den Beweis! Na Bub, diesmal kommst du nicht mehr so billig davon wie das Letzte Mal, als ihr den Baum abschießen wolltet.

Nun hatten sie das Gewehr, Rucksack, Hammer, Messer und Nägel. Sie nahmen mich mit auf den Gendarmerieposten nach Frankenmarkt, zu einem ersten Verhör.

Dort wird er solange geprügelt und eingeschüchtert, bis er eine falsche Aussage unterschreibt. Er habe die Dax-Tochter erschießen wollen, damit sie seinen Wilddiebstahl nicht anzeigen könne. Der Untersuchungsrichter glaubt dem Protokoll. An die Erprügelung der Aussage glaubt er nicht. Bei uns wird niemand geschlagen! Anklage auf Mordversuch und Wilddiebstahl wird erhoben. In der Hauptverhandlung wird sie um unerlaubten Waffenbesitz erweitert. Zwei Stunden vor einem Schöffensenat Ergebnis: 7 Jahre Jugendarrest. Dieser Justizskandal wäre schlimm genug er wird noch verdoppelt.

Im Zuge der Hauptverhandlung ist man dahinter gekommen, dass ich von einem NS-Gericht am 30. Jänner 1945 wegen Brandstiftung (und damit Vernichtung deutschen Volkseigentums) zu 8 Jahren verurteilt wurde und von den Amerikanern…befreit wurde. Nun wurde auch dieses Urteil wieder in Kraft gesetzt, und so hatte ich als 16jähriger 15 Jahre Haft zu verbüßen.

Angetreten wird sie in der Karlau bei Graz. Dort erfährt seine vergitterte Jugend nicht nur Entsetzliches. Aber davon im nächsten Abschnitt.