Ein Kunstraum zum Gedenken, zur MahnungArtistin

Raum für Kunst und Erinnerung: die ehemalige Trafik in der Nußdorfer Straße (Foto: © Jana Madzigon)

26 Femizide – Tötungen von Frauen aufgrund ihres Geschlechts – wurden letztes Jahr in Österreich begangen, heuer bereits einer. In der Nußdorfer Straße in Wien Alsergrund gibt  es jetzt einen Kunst- und Gedenkort:
FRAU* schafft Raum.+

«Ich kann mich noch ganz genau an den Tag erinnern», sagt Saya Ahmad. «Ich war bei einer Veranstaltung ganz in der Nähe. Dann komme ich raus und plötzlich sind da überall Einsatzfahrzeuge.» Es ist der 5. März 2021, später Vormittag. Ashraf A. betritt die kleine Trafik in der Nußdorfer Straße im 9. Bezirk, wo Nadine W. wie gewohnt hinter dem Verkaufspult steht. Brutal schlägt A., ihr Ex-Partner, auf sie ein, drosselt sie, übergießt sie mit Benzin und zündet sie an. Wochenlang ringt Nadine auf der Intensivstation im Wiener AKH um ihr Leben, vergeblich. Am 3. April stirbt sie an Multiorganversagen.
«Dieser grausame Mord hat traurige Berühmtheit erlangt. Und er hat Spu­ren hinterlassen hier im Grätzel, im ge­samten Bezirk», sagt Saya Ahmad. Seit 2018 ist die SPÖ-Politikerin Bezirks­vorsteherin am Alsergrund. Der Femizid an Nadine W. habe sie nicht mehr los­gelassen, erzählt sie beim Gespräch in einem nahegelegenen Café. «In der Be­zirksvertretung war klar: Wir müssen irgendwas damit tun.» Gemeinsam mit ihrem Stellvertreter Christian Sapetschnig entwickelte sie die Idee für den heutigen Kunstraum «FRAU* schafft Raum», einen Ort, der «Nadine und aller Opfern eines Femizids gedenkt», der aber auch Anstoß sein soll, sich mit Gewalt gegen Frauen zu beschäftigen.

Sozialer Treffpunkt

Für die Umsetzung des feministischen Kunstraums holte Ahmad unter anderem das Menschenrechtsbüro der Stadt Wien ins Boot. «Das war mir wichtig, weil geschlechtsspezifische Gewalt nun mal eine Menschenrechtsverletzung ist. Punkt.»
Von der Architektur bis zur grafischen Gestaltung ist «FRAU* schafft Raum» die Arbeit eines reinen Frauen-Teams. Architektin Laura Frediani hat den nur rund zwölf Quadratmeter großen, völlig ausgebrannten Raum mit modernen Materialien umgestaltet: Stahl und Glas dominieren und schaffen freie Flächen für wechselnde Ausstellungen, aber auch der ursprüngliche Türgriff der Trafik aus Aluminium findet sich im Konzept wieder.
«Das Feedback ist zu einem über­wältigenden Teil positiv», sagt Be­zirksvor­steh­erin Ahmad. Viele An­wohner:innen seien froh, dass die ehemalige Trafik nun ein Gedenkort ist. Dass nicht einfach zur Tagesordnung über­ge­gangen wurde. Vor dem Eingang gibt es eine kleine Regalfläche, regelmäßig stellen Men­schen dort Blumen und Kerzen auf. Viele im Grätzel haben Nadine W. gekannt. «Eine Trafik ist ja immer auch ein sozialer Treffpunkt», sagt Ahmad. Und auch die Angehörigen wurden von Beginn an miteinbezogen, «es war klar, dass wir ein solches Projekt nicht um­setzen können, wenn die Familie damit nicht einverstanden ist», so Ahmad.
Zur Eröffnung im Dezember 2023, kurz vor dem Internationalen Tag der Menschenrechte, bespielte Sabine ­Groschup als erste Künstlerin den Raum. Teil ihrer Installation «Da war die Angst» war eine Textilarbeit, die Groschup mit einem Gedicht bestickt hat, 79 ste­hengebliebene Uhren auf dem Boden des Kunstraums symbolisierten die 79 Frauen, die seit dem Mord an Nadine W. ebenfalls Opfer eines Femizids wurden. Auf einer Tonspur las Schauspielerin Birgit Minichmayr dazugehörige Daten und Orte vor.
«Wir sind schon beim Aufbau mit vielen Menschen ins Gespräch gekommen», erzählt Anna Valentina Ennemoser, die als Kuratorin verantwortlich zeichnet. Genau dazu solle der feministische Kunstraum animieren: stehenzubleiben, Gespräche zu führen, weiterzudenken. «Denkmäler oder schlichte Gedenktafeln werden irgendwann zum blinden Fleck im öffentlichen Raum», sagt Ennemoser, «deshalb finde ich es so toll, dass hier ein Erinnerungsort mit einem Kunstraum kombiniert wird.»

Nicht eine weniger

Unweit von «FRAU* schafft Raum» wurde am Alsergrund jüngst auch ein Platz neu benannt. Der Ni-Una-Menos-Platz trägt den Namen der lateinamerikanischen feministischen Bewegung «Nicht eine weniger», die gegen Femizide und jede Form der Gewalt gegen Frauen kämpft. «Der öffentliche Raum ist ein umkämpfter Raum – und ein enorm wichtiger Diskursraum», sagt Saya Ahmad. Eine solche Platzbenennung biete eine niederschwellige Möglichkeit, das Thema Gewalt gegen Frauen in die Öffentlichkeit zu tragen. «Ich sehe immer wieder, wie Passant:innen hier stehen bleiben, das Schild lesen.»
Femizide sind in Öster­reich keine tragischen Einzelfälle. Im Jahr 2022 wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik 29 Frauen ermordet, meist von (Ex-)Partnern oder Fami­lienmitgliedern. Für das vergangene Jahr zählt der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser laut Medienberich­ten 28 Morde an Frauen, davon mutmaßlich 26 Femizide. «Der gefähr­lichste Ort für eine Frau hierzulande ist nicht die abgelegene Gasse in der Nacht, sondern die Partnerschaft, in der sie lebt», formuliert es Yvonne Widler in ihrem Buch Heimat bist du toter Töchter. Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern drücken sich in der ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen aus, in der unbezahlten Arbeit, die immer noch großteils Frauen stemmen – und zeigen sich in der Männergewalt gegen Frauen. Jede dritte Frau ab 15 Jahren ist in Österreich von körperlicher und/oder sexueller Gewalt betroffen, so meldet es die Statistik Austria.
Im feministischen Kunstraum in der Nußdorfer Straße ist deshalb auch der 24-Stunden-Frauennotruf der Stadt Wien zu finden, die dazugehörige Website listet weitere Beratungsstellen und Hilfsangebote auf. Links oben an der Wand ist in einem Kreis die ausgebrannte Wand der Trafik zu sehen, sie erinnert an die unfassbare Tat. «Es geht nicht darum, die Geschichte des Orts auszulöschen, sondern aus der Dunkelheit etwas Produktives entstehen zu lassen», sagt Saya Ahmad.
Das Projekt ist auf drei Jahre finanziert, danach soll es mit neuen Spon­sor:innen weitergehen. Mitte Februar ist eine neue Ausstellung in den Kunstraum eingezogen, Daniela Trinkl und Rachel J. Müller bespielen nun den Ort. Regelmäßig können Künstlerinnen und Kollektive, die zu mindestens fünfzig Prozent aus Frauen bestehen, ihre Konzepte in einem Call einreichen. Statt eine fixe Installation zu zeigen, sollen so auch junge Künstlerinnen gefördert werden. «Frauen übrigens mit Sternchen, das ist mir wichtig», sagt Ahmad. Gemeint sind also Frauen, Lesben, inter, trans und non-binäre Personen.
Der Kunstraum ist täglich von 8 bis 20 Uhr zugänglich und wird in der Nacht versperrt – um ihn vor möglichem Vandalismus zu schützen. «Ich habe vor der Eröffnung auch die Polizei informiert und sie gebeten, den Ort im Auge zu behalten», erzählt die Bezirksvorsteherin. Bisher habe es keine Zwischenfälle gegeben.
Ein Leben erinnern. Rund um den Kunstraum ist viel Betrieb: eine Straßenbahnhaltestelle, Geschäfte, ein beliebter Supermarkt. Passant:innen nutzten am 5. März 2021 einen Einkaufswagen, um die Tür der brennenden Trafik aufzubrechen. Der Täter hatte sie versperrt. «Bis zuletzt hat sie um ihr Leben gekämpft: Ein Leben, das sie sich ohne fremde Hilfe ganz allein aufgebaut hatte. Ein Leben, in dem sie erfolgreiche Geschäftsfrau und Unternehmerin war. Ein Leben, in dem sie wie alle jungen Frauen Freunde hatte, eine Familie, Hobbys, einen Hund – bis einer kam, ihr das alles wegzunehmen», schrieb Barbara Oberrauter-Zabransky, Cousine von Nadine W., in einem Kommentar in der Wiener Zeitung. Auch das wird von Nadine in Erinnerung bleiben.

+ Das war der Stand bei Redaktionsschluss. Als der Augustin gedruckt war, waren es bereits katastrophale sieben Femizide. 24-Stunden Frauennotruf: 01 71 71 9

FRAU* schafft Raum
9., Nußdorfer Str. 4
täglich 8 – 20 Uhr
https://frau-schafft-raum.at

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