Ein Lord mit vielen Rätselntun & lassen

Norbert Gaggl, Augustin-Urgestein – fit und elegant bis zum Tod

Zuerst die tragische Nachricht: «Sir» Norbert Gaggl, Urgestein unter den Augustin-Verkäufer_innen, hat Mitte April seinen «Kampf» gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs und Leberzirrhose verloren. Die gute Nachricht: Der «Kampf» dauerte eigentlich nur zwei Tage.

Foto: Mario Lang

Nur an diesen beiden Tagen vor seinem Tod fühlte sich der Patient im Hospiz am Rennweg «sterbenskrank». Er wurde 75 Jahre alt – und das war beachtlich, denn die Kombination von Alkohol-, Nikotin- und Tablettensucht, die er nicht verheimlichte, hat schon so manchen zwanzig Jahre Jüngeren einen ewig leidenden, ruinösen Körper beschert. Gaggls erstaunliche Fitness, die durch seine sonnengebräunte Haut noch hervorgehoben wurde, war auch das Thema seines Interviews mit meinem Redaktionskollegen Reinhold Schachner aus dem Jahr 2008. «Leute, die mein Alter wissen wollen, verschätzen sich durchschnittlich um 15 Jahre», sagte er damals lachend.

Norbert war sozusagen auch einer der ganz wenigen Vertreter des Dandyismus unter den Augustinkörpern. Der sportliche Corpus korrespondierte mit der eleganten Kleidung, zu der immer gebügelte Hemden und gelegentlich ein Nadelstreifanzug gehörten. Den Gesamteindruck störte nur die Nase, aber man hätte auch sagen können, auf ihr hatte die Sportleidenschaft Spuren hinterlassen. Norbert war nämlich unter anderem Boxer, und weil er diesen Kampfsport sehr ernst nahm, konnte er nicht verhindern, dass ihm zweimal die Nase gebrochen wurde. Manchen Kundinnen und Kunden wird der Augustin-Verkäufer zu skeptischen Überlegungen Anlass gegeben haben: «Sieht aus wie ein Lord und verkauft die Zeitung der Armen?» Norbert Gaggl kümmerte sich um solche Probleme, die eh nicht die seinen waren, herzlich wenig.

Leute, die ihn besser kannten, wunderten sich über ein anderes Phänomen: Norbert war nie wirklich verschuldet, obwohl Süchte bekanntlich sehr teuer sind. Das gilt schon für die oben erwähnten Abhängigkeiten, aber Sir Gaggl komplettierte die Liste dieser Abhängigkeiten mit seiner Spielsucht. Was hat der alles verspielt in den Wettlokalen! Aber er hat immer genug Geld gehabt, um regelmäßig zum türkischen Friseur oder zur Fußpflegerin zu gehen. Übrigens, selbst als es mit ihm zu Ende ging und als er bereits im Spital lag, bestellte er sich Fußpflege und Haarschnitt ins Krankenzimmer. Er komme mit Fremden immer besser zurecht als mit seiner Familie, seufzte er im Augustin-Interview. Angeblich bin ich schon dreifacher Opa, fügte er hinzu, um seine Distanz zur «Abstammung» zu unterstreichen. Norbert Gaggl war sehr kreativ, um Zusatzverdienste zu lukrieren. Er wusste, wann der Zug aus Rom am Südbahnhof, der Zug aus Hamburg am Westbahnhof ankommt, und er war rechtzeitig zur Stelle, um Wien-Besucher_innen mit großem Gepäck behilflich zu sein.

Nach der niederschmetternden Diagnose haderte Norbert zehn Tage lang mit der Entscheidung, auf Therapie zu verzichten und die Dienste eines Hospizes anzunehmen. Was er dann im Hospiz vor allem genoss, war die Situation der «gleichen Augenhöhe», die im alltäglichen Leben, trotz Nadelstreif, rar war. Der nahe Tod ist Gleichmacher, und als der Tod noch weit weg war, hatte Sir Gaggl spüren müssen, dass Leute wie er, die sich dem Hamsterrad der Turbowirtschaft entzogen, zu den weniger wertvollen Zeitgenoss_innen gezählt wurden.

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