Ein Mieter starb - die Nachbar_innen bewegen sich
In der Esterhazygasse in Mariahilf steht ein Haus, und das Haus soll saniert werden. Ein Mieter ist renitent genug, nicht auszuziehen. Ein paar Wochen später ist er tot. Ein Leben wird betrauert, ein Krimi beginnt: die Geschichte einer Nachbar_innenschaft.Eigentlich sollte diese Geschichte Wolf Haas schreiben: Jetzt ist nämlich schon wieder was passiert. Und das, was da passiert ist, tönt mehr nach einem seichten Krimi im Immobilienmilieu. Oder nach dem Gründungsmythos einer Mietrechtsbewegung. Und ist doch keines von beiden, sondern: wahr.
Tod eines Mieters
Am 2. August wurde Cafer I., 65, langgedienter Mieter einer Wohnung im Haus Esterhazygasse 6 im 6. Wiener Gemeindebezirk, in eben diesem Haus tot aufgefunden – erschlagen oder erdrückt von Baugittern. Der Journalistin Anja Melzer ist zu verdanken, dass die Geschichte in der Tageszeitung «Der Standard» öffentlich gemacht wurde. Den Nachbar_innen ist zu verdanken, dass keine Ruhe einkehrt.
Die Esterhazygasse 6 wird generalsaniert. Zu diesem Zweck sollte Cafer I. seine Wohnung – als letzter Mieter neben einem «Oldtimertreff» – räumen. Das wollte er nicht, die Konditionen passten ihm nicht, er wollte nach der Sanierung in seine Wohnung zurückkehren. Es kann zu diesem Zeitpunkt nur spekuliert werden (was für ein Wort!), warum der Hausbesitzer ihm das nicht zusagte. Fakt ist, Cafer I. verstarb auf eine Art und Weise, die die Staatsanwaltschaft Wien dazu bewegt hat, Ermittlungen einzuleiten. Die laufen, und über laufende Verfahren gibt es keine Informationen, bestätigt die Staatsanwältin Nina Bussek am Infotelefon. Was es auch nicht gibt, ist eine Beileidsbekundung des Hausbesitzers. Oder der Baufirma. Das erstaunt den normal denkenden Menschen.
Eine Nachbarschaft kommt zusammen
Inzwischen ist aber auch etwas anderes passiert: Die Nachbar_innen haben begonnen, sich zu Wort zu melden. Da ist zum Beispiel Erich Dimitz, altehrwürdiger Direktor des Bezirksmuseums Mariahilf. Der kennt Cafer I. seit langen Jahren, weil ihre Kinder gemeinsam in die Schule gingen. Und er kennt Cafer I. auch von Demonstrationen, die sie in den 1990er-Jahren gegen eine schärfer werdende Flüchtlingspolitik organisiert hatten.
«Als man den Cafer gefunden hat, ist erst einmal gar nichts passiert», sagt Dimitz. «Die Rettung war da, aber der Nachbarhauswart hat gesagt, er hat mehrmals nach der Polizei verlangt, und es ist niemand gekommen, um den Tatort zu sichern. Das hat Tage gedauert, bis die Polizei kam, inzwischen waren längst Bauarbeiter da, die alles aufgeräumt haben.» Also hat Erich Dimitz zu fürchten begonnen, da könnte etwas absichtlich in Vergessenheit geraten. Und er hat in der Umgebung von Cafer I.s Wohnadresse Zettel aufgehängt, um die Nachbar_innen in Kenntnis zu setzen. Weil er dafür Hilfe brauchte, klopfte er beim Büro des Flughafensozialdiensts an, das gleich ums Eck ist. Im Büro war Rainer, selber aktiv im «Recht-auf-Stadt»-Netzwerk, der mit Erich Dimitz nicht nur die Infos verbreiten ging, sondern sich gemeinsam mit zwei Aktivistinnen aus der Rosa Lila Villa und einer Reihe von anderen Grätzlbewohner_innen der Ansicht von Dimitz anschloss, dass etwas geschehen müsse. Am 3. September luden sie zu einer Mahnwache vor der Esterhazygasse 6 ein. Rund siebzig Nachbar_innen, Bekannte und Verwandte von Cafer I. folgten dem Ruf, ein Gedenkort mit Kerzen und Foto wurde am innersten Rand des Gehsteigs installiert, ein paar Reden wurden gehalten. Auch die stellvertretende Bezirksvorsteherin Vlasta Osterauer-Novak war da und rief die Anwesenden dazu auf, sich bei Problemen mit Vermieter_innen gleich an Profis zu wenden (was Cafer I. allerdings auch getan hatte). Im Interview spricht Osterauer-Novak sich für eine Wohnpolitik der sozialen Durchmischung aus – «in allen Bezirken, auch in den teuren». Aber auf die Frage hin, wie der 6. Bezirk seine Wohnpolitik solidarischer gestalten könne, verweist sie auf die Zuständigkeiten der Stadt; und dass man sich in die Angelegenheit Cafer I.s einmischen solle – das sei nicht Kompetenz der Bezirksvertretung. So viele gebundene Hände! Da kann man sich ohnehin nur im Grab umdrehen.
Bewilligung zu trauern nach Gebrauchserlaubnisgesetz
«Am Anfang sind die Kerzen immer gestohlen worden und unsere Plakate runtergerissen», sagt Erich Dimitz im Gespräch am Montag, dem 9. September, aber das scheine sich beruhigt zu haben. Am Dienstag hängt dann ein neuer Zettel da: «Sehr geehrte Damen und Herren!», steht darauf geschrieben, «da Sie laut Gesetz als Anrainer verpflichtet sind, den an ihre [sic] Liegenschaft grenzenden Gehsteig freizuhalten, darf ich um unverzügliche Entfernung der «Gedenkstätte» vor dem Haus 6, Esterhazyg. 6 ersuchen. Mit freundlichen Grüßen, Smejkal Peter.» Allein für diesen Nöstlinger-Roman-Namen möchte man dem Herrn von der MA 55 (verantwortlich für Gehsteige et al.) um den Hals fallen. Peter Smejkal ist (gegen das Vorurteil des frühen Feierabends) sofort am Telefon. Warum er Gedenkstätte unter Anführungszeichen schreibt, will ich wissen, schließlich werde hier um jemanden getrauert und das zu Recht. Peter Smejkal hat das nicht so gemeint. Der Zettel, sagt er, sei sowieso nicht für die Öffentlichkeit gedacht, sondern für den Hauseigentümer, und wer ihn aufgehängt hat, das wisse er nicht. Wenn das stimme, was man über den Tod von Cafer I. munkelt, dann sei das Wahnsinn, das finde er ja auch. Aber er sei verantwortlich dafür, dass der Gehsteig frei ist, und darum müsse die Gedenkstätte mit oder ohne Anführungszeichen weg. Ob sich da kein Weg finden lasse, frage ich ihn, man müsse doch öffentlich trauern dürfen. Man könne, sagt Smejkal, eine «Bewilligung nach Gebrauchserlaubnisgesetz» einholen. Das hat Erich Dimitz inzwischen getan; die Antwort stand zu Redaktionsschluss aus.
Erlauben Sie mir ein kleines Post Scriptum: Der Mahnwache am 3. September wohnten auch WEGA-Beamt_innen bei. Angesichts eines Transparents der geräumten «Pizzeria Anarchia» am Gerüst der Esterhazygasse 6 wandte ein Beamter sich irritiert an Erich Dimitz: «Was machen denn die da, sind die nicht aus dem 2. Bezirk?» «Das ist richtig.», bestätigte Dimitz. «Aber wenn Ihr sie dort vertreibt, kommen sie eben hier her.»
Auf den Seiten 34-35 lesen Sie zum selben Anlass den Prosatext von Kurto Wendt «8 Minuten Optimismus»
Infos und Termine zur Esterhazygasse 6 finden Sie auf www.rechtaufstadt.at