Ein neues Wertesystemvorstadt

Das «mo.ë» in der Thelemangasse, Wien 17, passt nicht in die Immobilien-Entwicklung

Wenn die «wirtschaftliche Verwertbarkeit im Vordergrund steht», hat die nichtkommerzielle Kunst meist schlechte Karten.  Bei Erscheinen dieses Artikels ist das Kulturzentrum «mo.ë» in der Thelemangasse vielleicht schon Geschichte. Christian Bunke hat Mitte Dezember vorbeigeschaut.

Foto: mo.ë

In der Thelemangasse 4 findet sich ein Mosaik Hernalser Stadtteil- und Industriegeschichte. Hier fabrizierte einst die K.u.K Ordens- und Medaillenfabrik der Familie Mandelbaum. Der am fünften Oktober 1924 geborene Fritz Mandelbaum wuchs hier auf. 1939 musste er mit seinen Angehörigen vor den Nazis nach England flüchten. 1940 ging es weiter in die USA.

Als Frederic Morton kehrte er ab 1951 öfters wieder nach Wien zurück. Er war nun Journalist und Autor, publizierte für die «New York Times», den «Playboy» und «Esquire». Mit seinem Roman «Die Ewigkeitsgasse» schuf er eine Milieustudie über das jüdische Leben in der Thelemangasse in der Zwischenkriegszeit. Die Stadt Wien verlieh im die Ehrenmedaille der Bundeshauptstadt in Gold, die Republik Österreich das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst erster Klasse.

Morton verstarb im April 2015. Die Fabrik produziert schon längst nicht mehr. Doch in der Thelemangasse 4 leben immer noch Mieter_innen mit alten, günstigen Mietverträgen. Und das ganz in der Nähe vom hippen Brunnenmarkt und der Gürtelgegend. Und seit fünf Jahren gibt es dort mit dem «mo.ë» ein Kulturzentrum für Performances, Theater, Musik, Ausstellungen und Diskussionen. Das geschieht alles ehrenamtlich. Auch eine Mittelkürzung durch die Stadt Wien hat der Verein überlebt. Hier ist fast jeden Tag Programm. In den letzten zwei Spielzeiten kamen rund 25.000 Menschen zu 400 Veranstaltungen.

Denn das Haus ist in den Besitz der in Leipzig, Dresden, Berlin und eben auch Wien tätigen Immobilienfirma Vestwerk übergegangen. Das Firmenmotto: «Der Zeit ihre Werte». Um welche Werte es sich dabei handelt? Hier die «Mission» der Firma im Original: «Vestwerk Real Estate GmbH erwirbt, entwickelt und verwertet hochwertige Wohn- und Gewerbeimmobilien in guten Innenstadtlagen. Vestwerk ist Investor, Planer und Entwickler mit hohem Anspruch an Architektur und Design, wobei die wirtschaftliche Verwertbarkeit immer im Vordergrund steht.»

 

Anfang 2016 kann es damit vorbei sein

 

Mieter_inneninteressen kommen in einem solchen Wertesystem nicht vor. Und so sehen sich die zum großen Teil seit Jahrzehnten im Haus lebenden Menschen mit einer seit geraumer Zeit immer schlechter werdenden Lage konfrontiert. Michel Weidhofer, ein Aktivist des Kulturvereins und Bewohner im Haus, berichtet: «Seit einem Jahr ist die Eingangstür nicht mehr verschließbar. Drei Wohnungen sind dubios untervermietet. Dort teilen sich bis zu zehn Menschen den kleinen Wohnraum. Weil sie oft umziehen und ja auf irgendetwas schlafen müssen, gibt es oft Lärm, wenn Möbel wie Betten die Treppe heraufgeschleppt werden. Das ist vor allem für ältere Bewohner_innen eine Belastung. Oder im überfluteten Hauskeller fand zeitweise Prostitution statt.»

Es ist nicht nachweisbar, dass Vestwerk für all diese Dinge direkt verantwortlich ist. Man kennt in Wien aber inzwischen viele Fälle, in denen Immobilienfirmen die sozialen Probleme der Stadt nutzen, um Altmieter_innen loszuwerden. Der bisher bekannteste Fall ist als «Pizzeria Anarchia» in die Stadtgeschichte eingegangen. Hier sollte eine Gruppe Punks (erfolglos!) von einer Immobilienfirma zur Vergraulung von Mieter_innen missbraucht werden.

Inzwischen hat der Bezirk Hernals die vom Kulturverein genutzte ehemalige Fabrikhalle in der Thelemangasse 4 zu Wohnraum umgewidmet. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung über eventuell noch vorhandene Altlasten fand nicht statt.

Der Stadt Wien ist die Bedeutung des Gebäudes durchaus bekannt. In vergangenen Jahren hat sich Bürgermeister Michael Häupl gerne mit Frederic Morton ablichten lassen. «Wir sind in ständigem Kontakt mit der Stadt Wien», sagt Kulturvereinssprecherin Alisa Beck. Doch die angebotenen Lösungen scheinen an der Sache vorbeizugehen: «Die zuständige Magistratsabteilung hat uns eine Zwischennutzung auf Zeit angeboten. Das sehen wir im Verein aber skeptisch. Denn schließlich sind die Räumlichkeiten hier auch ein Beispiel dafür, dass ein dauerhaftes Modell möglich ist. So etwas wie hier existiert anderswo nicht. Wir bieten zum Beispiel sehr billige Proberäume an. Die fallen weg, wenn wir ausziehen.»

Den Altmieter_innen wird auf verschiedenen Wegen ein Auszug nahegelegt. So möchte Vestwerk bei einem Umzug anfallende Genossenschaftsbeiträge übernehmen. Vielleicht bewegen aber auch die durch die geplanten Umbaumaßnahmen zu befürchtenden Unannehmlichkeiten manche zur Flucht. Dabei soll beispielsweise eine Wohnung um 25 Zentimeter angehoben werden. Diese würde dadurch für geraume Zeit unbewohnbar.

Der derzeitige Nutzungsvertrag für den Kulturverein läuft Ende 2015 aus. Eine Aufforderung Vestwerks zu einer Terminvereinbarung für eine Schlüsselübergabe ist schon per Post ins Haus geflattert. Die mo.ë-Aktivist_innen basteln derzeit an ihrer Antwort darauf. Unterstützung haben sie jedenfalls. Innerhalb weniger Tage unterschrieben über 2000 Menschen eine Onlinepetition, die sowohl an Vestwerk als auch die Stadt Wien geschickt werden soll.