Ein öffentliches Wohnzimmer für Wien!Boulevard-Blog

Boulevard-Blog vom 18.10.2023

Bibliotheken sind Räume für Bildung und soziale Teilhabe. Die älteste im deutschen Sprachraum, die Universitätsbibliothek Wien, wird nun grunderneuert und ausgebaut. Ein Best-Practice Beispiel findet man in der finnischen Hauptstadt Helsinki. «Oodi» zeigt, was die Bibliothek der Zukunft alles bieten kann.

«Und wenn ihr noch Zeit habt, schaut euch unbedingt Oodi an», empfiehlt der Guide am Ende der Stadtführung. Was das sei, will ich wissen. «Helsinkis öffentliche Bibliothek», erklärt er – und: «Ich probe dort regelmäßig mit meiner Rockband.» Bandproben in einer Bibliothek? Ist es da für gewöhnlich nicht still? «Oodi ist nicht gewöhnlich», lautet die Antwort. «Stell dir nicht einen Raum voller Bücher vor, sondern eher sowas wie ein öffentliches Wohnzimmer.»

Ein Geschenk Helsinkis an seine Bevölkerung

Oodi wurde am 5. Dezember 2018, pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum der Unabhängigkeit Finnlands, eröffnet. Die Bibliothek ist ein Geschenk der Stadt an ihre Bevölkerung. Ein öffentlicher Raum im Inneren, gut geschützt vorm rauen, finnischen Klima und frei zugänglich für alle.

Das moderne Gebäude zählt rund 10.000 Quadratmeter Nutzfläche und 70.000 Bücher in den Regalen. Sie machen also tatsächlich nur einen kleinen Teil des Angebots aus. Insgesamt teilt sich Oodi in drei Ebenen auf: Die erste zum Treffen, die zweite zum Kreieren und die dritte zum Lesen.

Ein Ort für alle(s)

«Du brauchst eine Pause oder du willst den ganzen Tag etwas machen? Oodi ist ein offener Ort für Kultur und Kreativität, wo beides möglich ist.» So lautet die Selbstbezeichnung der Institution. Bücherregale werden nicht nur durch bequeme Sofas und bestens ausgestattete Arbeitsplätze ergänzt, sondern auch um ein Rundum-Freizeit- und Bildungsangebot für Jung und Alt. So gibt es im Erdgeschoss einen Kinosaal sowie ein groß angelegtes Spielecafé, im zweiten Stock einen komplett ausgestatteten Makerspace mit Nähwerkstatt, 3D-Druckern und Gemeinschaftsküchen. Bandproberäume und Tonstudios für Musikproduktionen können gemietet werden, ebenso wie die passenden Instrumente und Computer mit der benötigten Software. Wer ein Meeting veranstalten will, belegt einen Seminarraum, wer alleine arbeiten möchte, mietet sich einen abgetrennten Arbeitsbereich. Für die Kleinsten gibt es eigene Leseecken und einen Indoor-Spielplatz. Alle Bereiche sind barrierefrei zugänglich, die Toiletten all-gender. Lesungen, Filmvorführungen und diverse Workshops runden das Angebot ab. Und das Beste an dem Ganzen: All das ist kostenlos. Für alle.

Die älteste Uni-Bib der Welt wird modern

In Wien wurde vor kurzem öffentlich, dass die historische Bibliothek im Hauptgebäude der Universität grunderneuert wird. Mehr als doppelt so viele Arbeitsplätze soll es künftig geben. Rein architektonisch gesprochen wird Altes restauriert und Neues dazu konzeptioniert. Die Barrieren sollen weniger werden und das Angebot mehr, wie Christina Köstner-Pemsel von der Universitätsbibliothek Wien betont: «Es wird künftig einen Bereich geben, der ebenerdig von der Reichsratsstraße, also von der hinteren Seite der Uni, zugänglich ist. Der Bereich, in dem man tatsächlich eine Garderobe abgeben muss, wird viel geringer sein als im Moment, und so wird der Zugang leichter, auch für jene, die nicht der Universität angehören.» Letztere können die historische Bibliothek am Ring zwar jetzt auch schon nutzen, das sei aber nur wenig bekannt, so Köstner-Pemsel.

Die Bib als Ort sozialer Teilhabe

Die Uni-Bib ist ein beliebter Platz, nicht nur zum Bücher-Leihen und -Lesen, sondern vor allem auch, um konzentriert zu arbeiten. «In der Bib herrscht eine besondere Stimmung, die sehr motivierend sein kann», beschreibt es die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit. Aber auch die soziale Funktion der Bib dürfe man nicht unterschätzen: «Es ist immer schon ein Platz für Sehen und Gesehen werden, man trifft sich und kommt zusammen, an einem Ort, an dem man sich kostenlos und ohne Konsumzwang aufhalten kann.» Dies habe man seitens der Uni erkannt und möchte man nun ausbauen. «Mit mehr bequemen Sitzmöbeln und Unterteilungen in verschiedene Zonen», erklärt Köstner-Pemsel. Es gelte, den ganzheitlichen modernen Ansatz von Vorreitern wie Oodi ein bisschen aufzugreifen – auch wenn die Rolle einer Universitätsbibliothek natürlich eine andere sei. «Aber es gibt diese Ideen, wie z.B. der Errichtung eines kleinen Studios, wo man dann Podcasts aufnehmen kann.» Ein Aufnahmestudio neben dem Lesesaal – so kommt die 1365 gegründete Uni-Bibliothek nun also in die Gegenwart.

Bibliothek neu gedacht

«Die Zeit, wo dauernd <pssst> gerufen wird, ist längst vorbei», stellt auch Bernhard Pöckl, Leiter der Stadt Wien-Büchereien, fest. Die Bibliothek der Zukunft gäbe es nicht nur in Helsinki, sondern auch in Wien bereits. «Bei uns findet man alles vom Bilderbuch über neue und alte Literatur bis hin zu Sachbüchern. Wir haben ein großes digitales Angebot mit über 90.000 E-Books und Hörbüchern, dazu Filme, Zeitschriften, Musik, Konsolenspiele und an manchen Standorten sogar Akkuschrauber und VR-Brillen.»

Aber das wichtigste sei: Jede:r kann Zeit in der Bücherei verbringen – lesen, lernen, Freunde treffen. Vollkommen gratis. Die Angebote der Büchereien Wien sind im Gegensatz zu Oodi in Helsinki auf mehrere Standorte verteilt – was für Pöckl aber eher ein Vor- als ein Nachteil ist: «Die Erreichbarkeit ist ja, selbst in Zeiten erhöhter Mobilität, immer ein wichtiges Argument.» Die Öffnungszeiten werden gerade angepasst. «Mancherorts kann man bis 22 Uhr in die Bibliothek», erklärt Pöckl. So möchte man vermehrt auch Berufstätige mit dem Angebot ansprechen.

Was in Wien fehlt

Es gibt sie also, die zukunftsfitten Bibliotheken in Wien. Und trotzdem ist Oodi «das Nonplusultra», wie es Christina Köstner-Pemsel bezeichnet. Ich selbst habe Oodi an zwei Tagen als einen Ort erlebt, der die Menschen in Zeiten digitalen Wandels und steigender Einsamkeit wieder zusammenbringt. Wo Senior:innen neben Berufstätigen, Tourist:innen, Kindern und Studierenden ihre Zeit verbringen. Und das ist definitiv etwas, was man sich in Österreich vom Norden abschauen könnte. Denn auch wenn nicht alle Bibliotheken in Finnland so vielfältig und modern wie Oodi sind, gibt es nirgendwo sonst auf der Welt so viele Bibliotheksmitgliedschaften. Die Finn:innen sind Weltrekordhalter:innen im Bücher-Ausleihen – und das ist etwas, auf das man als Gesellschaft schon stolz sein kann.

 

Mehr Informationen zu Oodi:
https://oodihelsinki.fi/en/

Presseaussendung zur Grunderneuerung der Universitätsbibliothek Wien:
https://medienportal.univie.ac.at/media/aktuelle-pressemeldungen/detailansicht/artikel/hauptbibliothek-der-universitaet-wien-wird-grunderneuert/

Büchereien Wien:
https://buechereien.wien.gv.at/

Foto: Jonna Pennanen