Schnapsen ist das österreichische Kartenspiel. Man kann es zum Spaß spielen, oder auf höchstem Niveau. Dann sollte man aber viel Übung und ein gutes Gedächtnis mitbringen.
TEXT: HANNES GAISBERGER
FOTOS: CAROLINA FRANK
«Wir sind zum Nachbarn gegangen, haben Karten gespielt und dazu Volksmusik auf Radio Kärnten gehört.» So hat der legendäre Abfahrtsolympiasieger Franz Klammer einen gewöhnlichen Freitagabend seiner Teenagerzeit in einem ORF-Porträt beschrieben. Zwar mag in den Nockbergen der 1970er-Jahre der Bär noch weniger gesteppt haben als im Rest des Landes, dennoch ist es eine geradezu archetypische Szene für das österreichische Nightlife der Nachkriegszeit. Es hat kaum andere Vergnügungen gegeben, und man hat sich diese nicht immer leisten können. Ein «Bummerl», wie ein Spielsatz genannt wird, auszuschnapsen ist im Prinzip gratis. Je nach Vereinbarung. Ich rate grundsätzlich zum Karteln aus reiner Freude am Spiel.
So wie das Schnitzel oder Skifahren ist das Kartenspiel Schnapsen ein urösterreichischer Import. Es hat sich aus dem französischen Bézique entwickelt und wohl im 18. Jahrhundert über Paderborn den Weg in seine Hochburgen Bayern und Österreich gefunden. Im alemannischen Vorarlberg spielt man die Variante Jass, im Rest des Landes ist Schnapsen der Kartenvolkssport Nummer eins. Neben Pfeffer und Salz und noch vor den Servietten war eine Packung Schnapskarten lange Grundausstattung jedes Wirtshauses. Gelernt hat man das Spiel nebenbei, oft am heimischen Küchentisch. So war es auch bei mir. Der Nachbar Toni, Kriegsinvalide, pensionierter Kleinbauer und gelegentlicher Aushelfer am elterlichen Bauernhof, lehrte mich nach getaner Arbeit das Spiel. Besonders beeindruckt hat mich, dass die Karten perfekt in seine zu einer Art Maulwurfschaufel versteiften rechten Hand passten. Sie war für einmal kein Hindernis, sondern sogar praktisch.
Die Regeln sind relativ einfach, aber doch zu umfassend, um sie im Detail wiederzugeben. Jede der 20 Karten hat einen bestimmten Wert, wenn man sie sticht, landen die Punkte auf dem eigenen Konto. Wer 66 Punkte erreicht hat und am Zug ist, hat gewonnen. Der Clou ist das sogenannte Mariage-Prinzip. Hat man eine bestimmte Kombination zweier Karten gleicher Farbe, bekommt man Punkte gutgeschrieben. Eine Prämie für die Kartenhochzeit.
Schnapser-Mekka Baden.
Schnapsen ist laut österreichischem Recht kein Glücks-, sondern ein Geschicklichkeitsspiel. Obwohl Kartenglück eine entscheidende Rolle für den Verlauf der Partie spielt, kann ein_e geübte_r Spieler_in auch mit schlechterem Blatt gewinnen. Im Casino Baden werden alljährlich große Preisschnapsen veranstaltet, zuletzt war der Hauptgewinn ein Kleinwagen. Für einen Stockerlplatz schauen immerhin noch kleine vierstellige Beträge raus. Unverhältnismäßig hohe Summen im Vergleich zu den gewöhnlichen Wettkämpfen, bei denen ein Spanferkel oder ein paar Hunderter ausgespielt werden. Hier schlägt die Stunde von Zampanos wie Wolfgang Smutny. Der Spenglermeister aus dem zweiten Bezirk neigt selbst zum Tiefstapeln, er wisse gar nicht, wie man auf ihn komme. Doch leugnen ist in diesem Fall zwecklos, wer beim größten Turnier Österreichs zweimal Dritter und einmal Achter wird, muss schon was können.
Herr Smutny ist in Bernhardsthal im Weinviertel aufgewachsen, das damals noch halb vom Eisernen Vorhang umrundet war. Schnapsen war eine naheliegende Option für die Freizeit. «Ich habe es von den anderen gelernt. Zuerst haben wir nur zuschauen dürfen, als wir dann alt genug waren, haben wir es jeden Tag nach der Hackn gespielt.» Ein besonderer Höhepunkt war das Wochenende nach dem Zahltag. «Ich habe damals 200 Schilling verdient. Dann bin ich ins Wirtshaus und habe von Freitag bis Sonntag Karten gespielt und mir so meist noch etwas dazuverdient.» Die Feinheiten des Spiels hat er sich bei den Älteren abgeschaut, «da musst du aufpassen und lernen, denn es ist nichts verraten worden». Von alleine kommt man jedenfalls auf nichts drauf, manche spielen schon Jahrzehnte und haben nichts dazugelernt. Dazu habe er natürlich schon viel gespielt, in der Früh auf ein Bummerl oder zwei, in der Arbeit ausschnapsen, wer die Jause holt, wer sie zahlt, mittags ebenso. Am Würstelstand auf ein Bummerl oder zwei, das Wirtshaus nicht zu vergessen. Er würde schon auch andere Kartenspiele beherrschen, Tarockieren, Preferanzen, Zensern, aber am besten kann er halt Schnapsen.
Da ist es naheliegend, sein Können mit anderen zu messen. Es muss für Herrn Smutny nicht immer um Geld gehen, wenn es um nichts geht, kann man Varianten und Tricks ausprobieren. Beim großen Turnier in Baden, an dem etwa 500 Schnapser_innen aus ganz Österreich teilnehmen, spielt man auch nicht wesentlich anders. «Schnapsen ist schnapsen. Und am Anfang spielt noch der ganze Ruaß mit, aber der bröckelt dann eh ab. Das merkt man ja sofort, ob der Gegner was kann. Da muss ich nur sehen, wie jemand die Karten behandelt.» Es sei unter den Fortgeschrittenen peinlich, wenn man die eigenen Karten noch einmal nachzählen muss. Smutny spricht von mitrechnen, von ausdividieren, von der 28er-Gabel. Er hat die Erfahrung auf seiner Seite, doch auch wenn man ihm seine 63 Jahre nicht ansieht, er spürt sie beim Schnapsen. «Sicher melde ich mich für Baden an, wenn es wieder losgeht. Preis werde ich eher keinen mehr gewinnen. Aber ein Theater muss sein!» Man möchte seinem herausfordernd bohrenden Blick lieber nicht am Kartentisch ausgesetzt sein.
Der Ausstatter.
Seit Franz Klammer neben dem Karteln Radio gehört hat, ist die Technik nicht stehen geblieben. Fernsehen, Internet, Spielkonsolen, Smartphones – jede Innovation hat dem Schnapsen ein bisschen zugesetzt. In einem Wirtshaus fragt man nun eher nach dem WLAN-Passwort als nach einem Kartenpackerl. Das sieht Dieter Strehl, Ururenkel von Ferdinand Piatnik und Geschäftsführer und Gesellschafter der gleichnamigen Firma, eher gelassen. «Die Verwendung von unterschiedlichen Spielkarten unterliegt Moden. Vor einigen Jahren ist plötzlich das alte Spiel Pokern in den meisten Ländern Europas sehr populär geworden.» Piatnik hat ein breites Sortiment und hält solche Schwankungen aus. Die Covid-Lockdowns seien schlecht für Turnierschnapser_innen gewesen, «am meisten wird und wurde aber immer zu Hause gespielt. Es ist eine Legende, dass Kartenspiele hauptsächlich in Cafés oder Wirtshäusern betrieben wurden. Vor allem im Lockdown ist der Absatz normaler Spielkarten stark gestiegen.»
Die «Wiener Spielkartenfabrik Ferd. Piatnik & Söhne» in der Hütteldorfer Straße ist mit der Geschichte des Schnapsens eng verwoben. Etwa durch den Entwurf der Doppeldeutschen Karten mit Figuren aus Schillers Wilhelm Tell, die in weiten Teilen Österreichs verwendet werden. Piatnik ist der letzte der «Kartenmaler», einer Branche, für die Wien lange bekannt war. Weil man nicht mehr nur Karten herstellt, kann der Geschäftsführer nüchtern auf die Gegenwart des Schnapsens in Wien blicken: «Wien ist wieder – wie zur Zeit unserer Gründung im 19. Jahrhundert – ein Schmelztiegel mit Bewohnern aus vielen unterschiedlichen Ländern geworden, die auch ihre Kartenspielgewohnheiten mitgebracht haben. Schnapsen wurde schon in unseren Nachbarländern Ungarn, Tschechien und Slowakei nur selten gespielt, in der Türkei ist es unbekannt. Daher wurde in Wien früher mehr geschnapst.» Das Spiel ist nicht mehr so dominant, so omnipräsent wie früher, auch die jugendliche Landbevölkerung verbringt ihre Freizeit online. Und das nicht nur mit Schnaps-Apps. Dieter Strehl von Piatnik glaubt aber, dass sich Qualität langfristig durchsetzt: «Nach unserer Meinung wird uns das Schnapsen alle überleben! Es ist leicht zu erlernen und eine gesellige Beschäftigung.» Vielleicht braucht es nur einen kleinen Impuls, um eine neue Blütezeit einzuleiten. Etwa neu gestaltete Karten. Einen Versuch ist es wert.