Ein Platz ohne Plantun & lassen

Jahrzehntelang gehörte der Matzleinsdorfer Platz den Autos. Jetzt kommt die U-Bahn. Und was kommt noch? Nachdenken über den schönsten Platz der Welt.

Text: Tomash Schoiswohl
Fotos: Michael Bigus

Verkehrsknoten sind politische Orte mit Geschichte. Das trifft auch auf den Matzleinsdorfer Platz im Süden von Wien zu. Jetzt kommt die U-Bahn, und das Interesse am Platz wächst. Für das Stadtentwicklungsvorhaben Matzleinsdorfer Platz Süd sollen vier Grundstücke umgewidmet und Hochhäuser errichtet werden. Der Matzleinsdorfer Platz wird sich komplett verändern.
Verkehrsknotenpunkte und Bahnhöfe sind öffentliche Orte, Infrastrukturen, die seit den 1990er-Jahren einem hohen Druck zu mehr privatem Unternehmertum ausgesetzt sind. Gerne inszenieren sich dort Politiker_innen als Saubermacher. Der Matzleinsdorfer Platz zwischen Favoriten und Margareten ist bislang ohne Verschönerungen ausgekommen. Als geschichtsloser Unort wurde er bezeichnet, als hässlichster Platz der Welt, eine Verkehrshölle, ein ästhetischer Supergau. In den letzten Jahrzehnten hat sich fast niemand für den Platz interessiert. Außer den Autos. Es herrschte ein tosendes Grundrauschen. Rauschen kann auch ein Hinweis auf eine Übertragungs­störung sein. Rauschen kann beruhigend sein.

Ein fossiles Vorzeigeprojekt.

Mitte des letzten Jahrhunderts war der Matzleinsdorfer Platz ein städtebauliches Vorzeigeprojekt. In zwei Bauphasen wurde er ab den 1950er-Jahren umgebaut. Zuerst entstand eine zweispurige Unterfahrung am Gürtel. Am ehemaligen Heumarkt baute die Stadt einen weitläufigen Gemeindebau und das erste Wohnhochhaus der Gemeinde Wien. Ein echter Prestigebau. Nur zehn Jahre nach der feierlichen Übergabe des Verkehrsbauwerks an die Wiener_innen musste der Platz schon wieder umgebaut werden. Es gab keine ausreichenden Kapazitäten für den rasch steigenden Autoverkehr. Deswegen verlegte die Stadt in den 1960er-Jahren am Matzleinsdorfer Platz alle Straßenbahn­linien in den Untergrund. So entstand die erste U-Bahn von Wien, die sogenannte Unterpflasterstraßenbahn, die Ustraba. Das Neonlicht und die Fliesen in den Passagen standen für Sicherheit und Sauberkeit. Es gab sogar ein Personenfließband, den rollenden Teppich. Der Straßenraum war für die Autos, Symbol für wirtschaftlichen Aufschwung und Teilhabe am kapitalistischen Lebensstil, reserviert. Der Radverkehr wurde vollständig verdrängt. Die autogerechte Stadtplanung versprach weniger Konflikte im Verkehr. Durch Entmischung. Durch einen flüssigen motorisierten Verkehr.
Autos haben den Matzleinsdorfer Platz überlagert. Der Anteil an öffentlichem Verkehr (S-Bahn, Bus, Straßenbahn, Badner Bahn) blieb hoch, aber die Passagen und Unterführungen wurden allmählich als bedrohlich, als Angsträume gelesen. Ein paar der längeren Gänge wurden zugemauert. Renovierungsarbeiten an den Stationen, neue Fliesen, neue Lifte oder ein neues Lichtkonzept konnten am Gesamteindruck des Matzleinsdorfer Platzes wenig ändern.

Eine U-Bahn ist für alle gut.

Der Matzleinsdorfer Platz ist ein Verkehrsdenkmal. Nicht nur die jüngere Geschichte der Ausrichtung auf den Autoverkehr, auch das 19. Jahrhundert mit seiner Eisenbahngeschichte, dem riesigen Frachtenbahnhof, dem frühen Eisbahnviadukt und den ersten Tramwaylinien hat Spuren hinterlassen. Seit Hunderten von Jahren führt eine Straße vom Süden über den Matzleinsdorfer Platz und durch die Vorstadtsiedlung Matzleinsdorf in die Stadt. Ab dem frühen 18. Jahrhundert zerschnitt eine massive Befestigungsanlage, der Linienwall, die Vorstadtgründe und machte den Matzleinsdorfer Platz zur (Steuer-)Grenzstation mit Tor, Schlagbalken, Mauthäusern, Kapelle und Grenzbeamten – fast zweihundert Jahre lang war das Matzleinsdorfer Linientor eine von wenigen Möglichkeiten, überhaupt legal in die Stadt zu gelangen.
Seit 1906 trägt der Matzleinsdorfer Platz offiziell diesen Namen. Der heutige Platz befindet sich genau an der Stelle des ehemaligen Linienwalls. Zwischen Gürtel und Wiedner Hauptstraße bzw. Reinprechtsdorfer Straße.
Ab 2024 wird die Tunnelbohrmaschine vom Matzleinsdorfer Platz aus durch die Stadt graben. 2028 soll die U-Bahn-Station Matzleinsdorfer Platz eröffnet werden. Große Überraschungen wird es beim Verkehrsbauwerk nicht mehr geben. Laut Wiener Linien bleiben die beiden großen Kunstwerke aus Fliesen erhalten. Alle Straßenbahnlinien und Busverbindungen werden wie gewohnt weitergeführt. Die U-Bahn ist städtebaulich ein gigantisches Projekt. Die neuen Tunnel und Stationen der U2 und U5 werden voraussichtlich 2,1 Milliarden Euro kosten. Dazu kommen Kosten für Straßenbau, Oberflächengestaltung, Abrissarbeiten. Die Kosten teilen sich Stadt und Bund. Die U-Bahn verläuft unterirdisch, hat aber Auswirkung auf den gesamten städtischen Raum.
In der Kommunikation wird der Nutzen der U-Bahn als Teil eines funktionierenden und schnellen öffentlichen Verkehrs und als wichtiger Baustein einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung der Stadt betont. Die U-Bahn komme allen zugute.
Der Bezirk Margareten bekommt am Matzleinsdorfer Platz einen U-Bahn-Ausgang. Wie der Platz dann aussehen wird, ist noch nicht klar und hängt damit zusammen, wie die Rein­prechtsdorfer Straße konzipiert wird. Bezirksvorsteherin Silvia Janković sieht den Matzleinsdorfer Platz als «emotionale Barriere» und verspricht eine «mutige Gestaltung» des zukünftigen Platzes. Sie betont die Bedeutung von Nachbarschaft und der Möglichkeit, einfach herumsitzen zu können, Leute zu treffen. Die Bewohner_innen von Margareten würden für Generationen vom U-Bahn-Bau profitieren. Darauf angesprochen, wie diese Qualitäten mit dem Autoverkehr am Platz überhaupt realisiert werden können und ob es durch den U-Bahn-Bau nicht zu einer Gentrifizierung im Bezirk kommt, meint sie, sie habe Vertrauen, dass die Stellschrauben der Stadt wirken. Der Bezirk habe eine Resolution gegen Wohnungsspekulation verabschiedet.
Der hohe Bestand an historischen Gemeindebauten wird in Margareten, zumindest am Gürtel, wohl weiterhin Wohnraum für einkommensschwache Personen bieten. Straßen, Trassen und Gleisanlagen haben bis heute den ehemaligen Grenzwall zwischen den beiden Bezirken baulich verfestigt. Im Unterschied zum Westgürtel gibt es hier aber keine großen Einkommensunterschiede zwischen Innenbezirk und Außenbezirk. Zugespitzt gesagt: Rund um den Matzleinsdorfer Platz sind alle Leute arm.

Verkehrsbauwerk Matzleinsdorfer Platz.

Wiener Linien und ÖBB arbeiten am Verkehrsbauwerk. Die ÖBB erneuern derzeit die S-Bahn-Station. Mit Glas und Nirosta werden Sicherheit und Transparenz signalisiert, das Gebäude soll dadurch auch leichter zu reinigen sein. Die Verträge mit den beiden bisherigen Pächtern in der S-Bahn-Station sind aufgekündigt. Das gilt auch für das kleine Café Express mit den kunstvollen Fenstermalereien. Nach dem Umbau werden beide Lokale für Lebensmittelnahversorger neu ausgeschrieben. Andere soziale Einrichtungen, ein Café oder Kulturinitiativen sind in der Station nicht vorgesehen. Beim Ausgang zum Gürtel wird eine Abbiegespur aufgelassen und ein Art Vorplatz zur Station geschaffen. WC-Anlagen und Videoüberwachung werden nach dem üblichen Stand der Technik errichtet. In Hinkunft wird Security-Personal der ÖBB vor Ort sein. Seit Jahren bestehe außerdem eine erfolgreiche Kooperation mit der Polizei. «Gemeinsam sicher mit den ÖBB» existiert seit 2005 und wurde 2018 durch den damaligen Innenminister Kickl verlängert.
In der Stadt nimmt die Sucht- und Drogenkoordination Wien eine gewichtige Rolle bei der politischen Ausrichtung von Verkehrsknotenpunkten und Bahnhöfen ein. Vor zwei Jahren präsentierte ihr Leiter Ewald Lochner das Konzept Verkehrsknotenpunkte Wien und strich die «erfolgreich gelebte Kombination aus medizinischen und sozialen Angeboten, Polizeipräsenz und infrastruktureller Maßnahmen im öffentlichen Raum» als gutes Schema für ganz Wien hervor. Wichtig sei: eine gute Gestaltung, keine zu langen Bänke, gute Beleuchtung und Sauberkeit.

Sozialbauten an der Schnellstraße.

Auf Favoritener Seite sollen vier Grundstücke eine neue Flächenwidmung erhalten. Dafür läuft seit vier Jahren ein städtebaulicher Prozess, der den öffentlichen Raum mit umfasst. Der Ausgang des Prozesses wird massive Auswirkungen auf den Matzleinsdorfer Platz haben. Resultat der ersten Planungsphase sind die «städtebaulichen Leitlinien», eine Grundlage für die weitere Stadtentwicklung und eine Vorstufe des städtebaulichen Leitbildes, beschlossen von der hochrangigen Stadtentwicklungskommission (STEK) im April 2020. Darin finden sich zum Teil konkrete Aussagen über die geplanten Bauhöhen, Bauvorhaben und Nutzungen – alle anderen Bereiche, wie Verkehr, öffentlicher Raum oder Partizipation, sind sehr vage und unverbindlich gehalten. Die Leitlinien sind das Resultat von Abstimmungen zwischen Eigentümer_innen und Vertreter_innen der Stadt und der Bezirke. Der Prozess ist intransparent. Punktuell gab es Gespräche mit Geschäftsleuten oder eine Informationsveranstaltung mit allgemeinen Informationen für die Bevölkerung oder eine kleine informelle Gesprächsrunde von engagierten Anrainer_innen im Bezirk. Auswirkungen auf die Leitlinien hatten diese Gespräche keine. Es scheint, alle wichtigen Entscheidungen seien vor langer Zeit gefallen. Niemand kann sagen, wann die Hochhäuser ins Spiel gekommen sind oder wann beschlossen wurde, alle Grundstücke offiziell als «Baufelder» zu bezeichnen.
Ein 80-Meter-Hochhaus will die Baustofffirma Sochor unmittelbar beim zukünftigen U-Bahn-Ausgang an der Triester Straße bauen. Es würde das historische Matzleinsdorfer Hochhaus deutlich überragen. Früher befand sich dort die große Halle von Blumen2000, derzeit befindet sich dort die Baugrube für den «Maulwurf», die Tunnelbohrmaschine. Im Hochhaus soll Platz sein für Büros und ein Hotel. Als «Mehrwert für die Bevölkerung» ist eine halböffentliche begrünte Terrasse, eine zweite Stadtebene, geplant. Diese stufenförmige Terrasse soll sich bis zur Shell-Tankstelle ziehen. Fraglich ist, ob eine halböffentliche Terrasse den außerordentlichen Mehrwert ausmacht, der für die Bevölkerung bei Hochhausbauten laut Fachkonzept festgeschrieben ist.
Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich bis vor rund zehn Jahren ebenfalls eine Tankstelle der Firma BP. Sie wurde aufgelassen, die Benzintanks wurden ausgegraben, und das keilförmige Grundstück zwischen Triester Straße und Straßenbahntrasse ist im Besitz der Stadt. Dort sollen Wohnbauten und «kleinteiliges Gewerbe» entstehen. In den Leitlinien wird auch eine kulturelle Nutzung in Aussicht gestellt und die Ansiedlung des Bezirksmuseums erwähnt. Die Leiterin des Museums hat bis dato von diesen Plänen noch nichts erfahren. Das Grundstück ist klein, die Stadt überlegt dort Gemeindebauten zu errichten – somit würde sich für die Bauträger der anderen «Baufelder» praktisch eine Reduktion des vorgeschriebenen leistbaren Wohnraums ergeben. Vorausgesetzt, die Widmungen werden als «Gemischtes Baugebiet» mit der Zusatzkategorie «Gebiete für geförderten Wohnbau» definiert, wovon auszugehen ist, weil es sich hier um eine Neuausweisung handelt. Diese «Flexibilität zwischen Baufeldern» ist in den Planungsgrundlagen dezidiert festgehalten und könnte dazu führen, dass an der Schnellstraße neue Sozialbauten entstehen, während im geförderten Wohnbau mit Blick auf den Waldmüllerpark kaum günstige Wohnungen und sogar Büros entstehen.

Bye-bye, Kleingärten!

Das weitaus größte und interessanteste Grundstück im Planungsprozess Matzleinsdorfer Platz Süd liegt östlich der Gudrunstraße, oben auf ehemaligen Gleisanlagen der Südbahn. Es verläuft entlang der Bahntrasse bis zum Neuen Landgut und bis zum Waldmüllerpark. Dort befindet sich eine ÖBB-Kleingartensiedlung. Vorne an der Gudrunstraße stand das beliebte Feuerwerksgeschäft. Es wurde kürzlich abgerissen. Daneben sind der Steinmetz Werl, das Möbelhaus Maas und eine Autowerkstatt. Das ganze Grundstück ist im Eigentum der ÖBB. Also im Grunde in öffentlicher Hand. Die ÖBB wollen dort voraussichtlich selber Bauten entwickeln. Darunter befindet sich ein Hochhaus von 66 Metern Höhe. Weitere Wohn- und Gewerbebauten sollen am Gelände entstehen. Die Kleingartensiedlung wird nach aktuellem Informationsstand aufgekündigt und abgetragen. Was mit den Pächter_innen und mit den Geschäften an der Gudrunstraße geschieht, ist bis dato nicht klar. Im Raum steht eine Absiedelung. Die Rede ist auch von einem Shopping Center, das dort an Stelle der derzeitigen Geschäfte entstehen könnte.
Politisch brisant ist das Baufeld 1A. Es gehört der Rainer Gruppe, die Teil des Familienimperiums der Familie Ernst ist, die wiederum mit dem Verkauf von Autos (Mazda Rainer) und später mit der Ausweitung des Geschäfts auf Immobilien zu einem der kapitalstärksten Familienunternehmen von Österreich aufgestiegen ist. Das Grundstück wird als Autoabstellplatz verwendet und liegt vor dem langgestreckten Hotel Rainer. Burkhard Ernst ist Vertreter des Fahrzeughandels in der Wirtschaftskammer Wien, beklagt vehement das «weit verbreitete Auto-Bashing», sein Autohaus macht am Gürtel Reklame mit dem Spruch: «Hauptsache Auto». Bis vor wenigen Jahren war das knapp viertausend Quadratmeter große Grundstück ein Lagerplatz der Stadt Wien. Die Rainer Gruppe kaufte das Grundstück und erhielt im Jahre 2008 eine neue Widmung, laut der gewerbliche Bauten bis zu zwölf Meter Höhe erlaubt, aber Wohnbauten ausdrücklich untersagt sind. Die einzige bisherige Bürger_inneninformation über den Planungsprozess, bei der Anrainer_innen ihre Wünsche auf bunte Zetteln schreiben konnten, fand in der Lobby des Hotel Rainer statt. Damals, im Frühjahr 2018, war im übrigen «Keine Hochhäuser» der am öftesten formulierte Wunsch.
Am Anfang des Planungsprozesses war das tortenstückförmige Grundstück Teil des größeren Baufelds 1 und wurde erst später als Baufeld 1A separiert. Die Rainer Gruppe will dort einen «Rainer-Tower» bauen. Wie zuversichtlich Burkhard Ernst noch im Sommer 2020 war, zeigt ein Interview in der Zeitschrift Gewinn. Da sagt er: «Es gibt nichts Besseres als Immobilien», und spricht vom konkreten Bauprojekt: «Dort sollen zirka 22.000 Quadratmeter (Geschoßfläche, Anm. des Verf.) und rund 500 Parkplätze entstehen. Das Gebäude wird 35 Meter hoch. Wir bauen dort ein Hotel, Geschäfte und Wohnungen. Das Projekt befindet sich momentan im Widmungsverfahren, und wir hoffen auf einen Baubeginn im kommenden Jahr.» Auf meine Anfrage, ob es bereits konkrete Pläne zu dem Vorhaben auf Baufeld 1A gebe und inwiefern es zulässig ist, die eingeforderte Freiraumversorgung für die Bevölkerung auf das Nachbargrundstück der ÖBB abzuwälzen, ist die Antwort, das sei eine sehr private Disposition der Rainer Gruppe. Das Sekretariat des Unternehmers ist empört und will wissen, woher ich die Informationen zur Flächenwidmung habe. Flächenwidmungsverfahren sind öffentlich. Offenichtlich werden sie dennoch als privates Wunschkonzert von Investor_innen betrachtet.

Schön muss es sein.

Fest steht, der Prozess Matzleinsdorfer Platz Süd läuft alles andere als geschmiert. Im Frühjahr 2021 wurden die städtebaulichen Leitlinien von der STEK durchgewunken, aber jetzt dürfte das Projekt stocken. Neuerlich finden Gespräche und sogenannte Abstimmungsprozesse zwischen den Grundeigentümer_innen und der Stadt statt. Städtebauliches Leitbild ist noch keines in Sicht. Die angekündigte Bürgerinformation und Ausstellung des Zwischenstands finden nicht statt. Es gibt keine Informationen. Die ÖBB sagen, es gebe noch keine validen Informationen zu den Plänen auf den Baufeldern. Die MA 18 behauptet, es gebe derzeit seitens der Stadtplanung kein Projekt zum Matzleinsdorfer Platz. Es bestehe kein unmittelbarer Handlungsdruck, weil der Großteil des Vorhabens erst nach Fertigstellung der U-Bahn möglich sei. Also frühesten 2028.
Als neuer Stadtrat hat Jürgen Czernohorsky betont, die Stadt werde als Erstes die Hitzeinseln bekämpfen, mehr Parks anlegen, Asphalt aufreißen, mehr Demokratie wagen. Zum Matzleinsdorfer Platz will er auf Anfrage kein Statement abgeben, er wolle seiner Kollegin Sima nicht vorgreifen. Aus dem Büro von Ulli Sima kommt nach mehreren Wochen eine knappe Antwort: Alle Informationen, die es aktuell dazu gibt, hätte bereits die MA 18 übermittelt. «Mehr Informationen liegen derzeit nicht vor.» Nehmen wir die Stadtplanung beim Wort, dann gibt es kein Stadtentwicklungsprojekt, keinen Flächenwidmungsprozess, keine geplanten Veränderungen an den Verkehrsflächen oder den in Frage stehenden Grundstücken. Ein irritierender Zustand für einen städtebaulichen Prozess, der schon seit mindestens fünf Jahren parallel zur U-Bahn-Planung verläuft. Denkt die Stadt noch mal nach? Kommt doch alles anders? Man weiß es nicht.
Die Bezirksvertretungen von Favoriten und Margareten sind für Gespräche erreichbar, aber die Auskünfte bleiben allgemein. Die Planungshoheit liege in den Fachabteilungen der Magistrate, so Marcus Franz, Bezirksvorsteher von Favoriten. Er betont, dass die Umgestaltung einen Mehrwert für Favoriten bringen müsse. Ziel der Flächenwidmung sei es, für alle Nutzer_innen des Platzes Verbesserungen zu schaffen. Dasselbe Credo gelte für die geplanten Hochhäuser und für die Projektentwicklung des Investors Burkhard Ernst. Wichtig sei eine Aufwertung der städtebaulichen Situation. Das könne mit der Ansiedlung von Handelsbetrieben, Dienstleistungen oder durch die Schaffung sozialer Infrastruktur geschehen. Auf die Nachfrage, welche Art der sozialen Einrichtungen gemeint sei und ob auch kulturelle Initiativen am Platz denkbar wären, konkretisiert der Bezirk: Kinderbetreuung und Nahversorgung. Also Kindergarten und Billa. Wie steht der Bezirk zum Autoverkehr und zu der Situation, dass Favoriten zwar einen U-Bahn-Ausgang bekommt, aber die Nutzer_innen weiterhin über eine sechsspurige Schnellstraße und auf engen Wegen entlang von stark befahrenen Straßen in den Bezirk gehen müssen? Ist die aktive Reduktion des motorisierten Verkehrs, mehr Platz für Rad- und Fußverkehr, ein Abbau der Barriere zwischen Margareten und Favoriten gewünscht? Die Gehsteige sollen verbreitert werden. Geplant sei ein Radweg, der in die Gudrunstraße einmündet.
Die vagen Pläne versprechen Verschönerung und Attraktivierung. In ersten Entwürfen ist die Rede von einem «attraktiven Tor nach Favoriten». Auch Ulli Sima betont oft, wie wichtig eine schöne Gestaltung sei: «Schön muss es sein», «Es soll nicht nur im ersten Bezirk schön sein.» Der Polizeipräsident sagt, es müssten «sozial verträgliche Bilder» am Verkehrsknoten hergestellt werden. Renderings werden als Realität verkauft. Die Ästhetisierung von Politik ist ein Alarmsignal. Die Rede von Aufwertung, Sauberkeit und Schönheit verdeckt die Gewalt, die einhergeht mit Gentrifizierung. Wie ist eine Verschönerung der Verkehrsknoten ohne konsequente Entfernung des Autoverkehrs denkbar? In den städtebaulichen Leitlinien scheint das Wort Auto nicht ein einziges Mal auf. Das Auto ist schön.

Ein sozialer Platz.

Der Matzleinsdorfer Platz ist ein Monument der autogerechten Stadt. Niemand braucht am Matzleinsdorfer Platz mehr Bürohochhäuser, ein Shopping Center oder zusätzliche Hotelbauten. Weitere Versiegelung und Betonierung sind Irrsinn. Nahezu alle Grundstücke im Widmungsverfahren sind direkt oder indirekt im Besitz der öffentlichen Hand. Am Matzleinsdorfer Platz könnte die Stadt mit vergleichsweise wenig Geld ein starkes politisches Statement setzen. Für einen anderen Verkehr, für eine solidarische und für eine soziale Stadt. Bislang hält die Stadt mit der Flächenwidmung noch alle Trümpfe in Händen.
Es muss nicht alles abgerissen und verbaut werden. Reduktion der Autofahrspuren, Beruhigung des Verkehrs. Ein offenes Ohr für Anrainer_innen, für Personen, die über Jahrzehnte kulturpolitisch und künstlerisch am Platz tätig waren. Ein Park mit alternativem Baustoff­laden, Skulpturengarten, wilden Spielplätzen, einem Recyclinghof oder einem kleinen Museum. Ein Verkehrsbauwerk mit einem Café, einem Markt, einem Second-Hand-Geschäft oder einer Gesundheitseinrichtung. Das alles wäre leicht zu verwirklichen. 

Tomash Schoiswohl arbeitet seit 2005 zum und am Matzleinsdorfer Platz.

https://matzleinsdorferplatz.at, http://matzab.tv