Von der U6, den Drogen und einer weit verfehlten Stadtpolitik
Die Drogenszene an der U6 hat im Frühjahr für Stimmung gesorgt: Die Grünen machten für einen kontrollierten öffentlichen Raum mobil, die Wiener Linien sprachen von Sicherheit und meinten Vertreibung, und die Stadt hat es geschafft, ihre Drogenabhängigen wieder mal woandershin zu schieben. Christian Bunke (Text) und Silke Müller (Illustration) denken darüber nach, was das verschärfte Suchtmittelgesetz und ein versagter Arbeitsmarktzugang miteinander zu tun haben.Seit dem ersten Juni gilt sie nun, die Novelle des Suchtmittelgesetzes, die da in schönstem Jurist_innendeutsch lautet: «Mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren ist zu bestrafen, wer vorschriftswidrig in einem öffentlichen Verkehrsmittel, in einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anlage, auf einer öffentlichen Verkehrsfläche, in einem öffentlichen Gebäude oder sonst einem allgemein zugänglichen Ort öffentlich oder unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet ist, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, Suchtgift einem anderen gegen Entgelt anbietet, überlässt oder verschafft.»
Schwöre, dass du kein Kiwara bist
Bei über 90 Prozent der am Gürtel verkauften Drogen handelte es sich laut Wiener Sucht- und Drogenkoordination um Cannabis. Einer gemeinsamen Front aus Bezirkspolitiker_innen, der Polizei, der Wiener Sucht- und Drogenkoordination und großen Teilen der Medienlandschaft ist es gelungen, mit der Novelle einen neuen Kriminalisierungsschub zu leisten. Zielscheibe waren einmal mehr jene, die sich mit am schwersten wehren können: Asylsuchende, denen es explizit verboten ist, in Österreich einer einträglichen Erwerbsarbeit nachzugehen. Nicht umsonst war die Forderung nach dem Recht auf Arbeit immer zentral in den Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre präsent.
«Die Drogendealer sind in den Zeitungen immer als ein durchorganisierter Mob dargestellt worden. Das war aber gar nicht mein Eindruck», erzählt M. Er ist ein junger, Weißer Mann etwas über dreißig und einer von denen, die im vergangenen halben Jahr regelmäßig am Gürtel Cannabis eingekauft hatten. «Das war anfangs gar nicht so einfach,» meint er, «denn die Händler haben alle geglaubt, ich sei ein Zivilpolizist. Da war wirklich viel Angst zu spüren. Teilweise aber auch große Naivität. Die haben mich teilweise direkt gefragt, ob ich Zivilpolizist sei. ‹Swear to God, you are not police›, haben sie mir dann immer gesagt.»
Jetzt sind die Händler weg. Dafür gibt es ein Großaufgebot an Polizei und von den Wiener Linien beauftragte private Securities. Kontrollen finden alle paar Minuten statt. Würstelstandbetreiber_innen sind zufrieden, die Stammkunden kommen wieder. «Bedroht worden bin ich nie, aber zu den Hochzeiten standen bis zu zehn Dealer um meinen Stand herum. Da hat keiner mehr bei mir eingekauft», sagt eine Standlerin an der Thaliastraße. Doch die Angst ist nicht verschwunden. Deutlich spürbar ist sie bei den Betreibern der Kebabstände entlang der U6, die sich weigern, zu den Themen «Drogen» und «U6» auch nur ein Wort zu verlieren. Das Spiel mit der Angst treibt immer weitere Blüten. Neuerdings gibt es in Wien eine «Community Polizei», die man polemisch als eine staatlich finanzierte Bürgerwehr bezeichnen könnte.
Das Problem wird eventuell weiterziehen
Derweil sagen die ersten Bezirkspolitiker_innen bereits, man wisse nicht, ob das «Problem» gelöst sei. Es werde eventuell weiterziehen. Warum dann diese Gesetzesänderung? Auffällig ist schon, dass es gerade liberale Kreise waren, die sie mit am vehementesten eingefordert haben. Darunter auch der Neubauer Bezirkschef Thomas Blimlinger, für den der Drogenhandel entlang der U6 ein Argument für beschleunigte Asylverfahren ist, «um klarzustellen, wer Asyl kriegt und wer nicht». So könne man jene schneller abschieben, die kein Recht auf Asyl hätten, der Rest dürfe dann hier arbeiten.
Ähnlich argumentiert Michael Tötzl von der Wiener Drogenkoordination, einer Stelle, die unter anderem Drogen auf gefährliche Substanzen testet und Beratung für Suchtabhängige anbietet. Zwar könne das Problem, dass Menschen mittellos sind, nicht mit dem Strafrecht gelöst werden. Dennoch dürfe der Handel mit illegalen Substanzen nicht einfach toleriert werden. Den Handel von Drogen im öffentlichen Raum als eigenen Tatbestand zu etablieren sei deshalb sinnvoll.
Oder der «Falter» vom 11. Mai 2016. Darin eine lange Reportage von Chefredakteur Florian Klenk, in der er sich ausführlich dem Mord an einer sich auf dem Heimweg befindlichen Putzfrau am Brunnenmarkt beschäftigt. Es steht außer Frage, dass es sich hier um eine aufwühlende Geschichte handelt. Klenk hat auch Recht, wenn er schreibt, dass es gerade die ärmeren Stadtviertel dieser Welt sind, die die Hauptlast von Gewaltverbrechen zu tragen haben. Doch dann kommt der Auftritt des Polizisten Georg Rabensteiner. So wird er eingeführt: «Rabensteiner, seit 1976 im Dienst, leitet die Außenstelle West des Landeskriminalamts, er ist ein Drogenfahnder, der jahrelang gewohnt war, Dealer zu observieren und dann ‹von der Straße zu holen›, zumindest für ein paar Monate. Auch Rabensteiner liebt diesen Bezirk, er genießt das bunte Leben, er könnte stundenlang erzählen über die Pülcher und Gauner, die hier in den Hinterzimmern der Heurigen regierten.»
Unhinterfragt kann sich Rabensteiner in den folgenden Zeilen über «die Drogenhändler» auslassen, vor allem die aus Nigeria: «Schubhaft sei nur möglich, wenn die Heimatländer Heimreisezertifikate ausstellen. Keine Chance bei Nigeria», sagt Rabensteiner. «Deshalb steigen hier die Einbrüche und die Kleinkriminalität.»
Hier beackert Rabensteiner ein altes Territorium. Denn als Drogenfahnder war er im Jahr 1999 für einige gewaltsame Razzien verantwortlich, die sich vor allem gegen Asylsuchende afrikanischer Herkunft richteten. Vorbereitet wurden diese Razzien mit dem Mittel des «großen Lauschangriffs», der damals nur befristet rechtmäßig war. Unter dem Eindruck der unter anderem von Rabensteiner durchgeführten Razzien wurde das Mittel des großen Lauschangriffs später von der schwarz-blauen Regierung dauerhaft institutionalisiert.
Dealer und Polizei: ein paar Lebensläufe
Es ist wichtig, sich die Atmosphäre jener Zeit ins Gedächtnis zu rufen. Die Zeitungen waren voll mit Berichten über die «nigerianische Drogenmafia», die mit «einer streng hierarchischen Struktur» den Wiener Drogenhandel kontrollieren würde. Die FPÖ plakatierte im Nationalratswahlkampf: «Machtlos gegen 1000 Nigerianer». 331 Menschen afrikanischer Herkunft wurden festgenommen. Letztendlich wurden 10 Kilo Heroin und 10 Kilo Kokain sichergestellt. Keine berauschende Bilanz. Hätte man Ermittlungsschwerpunkte auf andere Personengruppen gesetzt, man hätte ähnliche Mengen gefunden. Eine nigerianische Drogenmafia konnte nie nachgewiesen werden.
Eine ähnliche Atmosphäre herrscht heute wieder. Eine ganze Community wird auf den Begriff «Drogendealer» reduziert. Dass es jenseits des Drogenhandels eine lebendige afrikanische Gemeinschaft in Wien gibt, ist Wurst. Und die Dealer selbst? M berichtet, wie er sich im Laufe der Zeit mit einen von ihnen angefreundet hat: «Er war Flüchtling, um die 30, Moslem. Er rauchte nicht und trank nicht. Einen Deutschkurs hat er gemacht, aber arbeiten durfte er hier nicht. Hätte er es können, hätte wer wohl nicht gedealt. Hauptsächlich hat er Gras für das Doppelte des Einkaufspreises verkauft.»
Interessant ist auch die folgende Episode: «Einmal war ich zur Zeit des letzten Wiener Gemeinderatswahlen einkaufen», erzählt M, «da haben mich zwei junge Dealer in der U-Bahn darauf angesprochen. Sie haben erzählt, dass ein Wahlkampf wie in Wien in ihrer nigerianischen Heimat gar nicht möglich sei. Da würde es bei jeden Wahlen Tote durch Terroranschläge geben. Das sei auch ein Grund, warum sie ihr Land verlassen hätten und nun hier seien.»
Das sind die Leute, auf deren Rücken Polizist_innen wie Rabensteiner Karriere und Schlagzeilen machen. Lange Zeit war er «der» Vorzeigepolizist der Wiener Polizei. Gerne wurden seine markigen Sprüche aufgeschnappt. Im Februar 2000 gründete er das SEK, eine Freiwilligeneinheit mit Schwerpunkt «Observation und Zugriff». Rabensteiners Truppe mischte sich in Zivil und vermummt unter die Teilnehmer_innen der Demonstration gegen den Opernball, griff sich Menschen heraus, verprügelte diese und zeigte sie später wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt an. Am 19. Mai 2000 war er in die Erschießung einer Autofahrerin verwickelt. Damals war das ein Skandal.
Klenk kennt Rabensteiners Hintergrund. Denn der «Falter» hat seinerzeit wiederholt kritisch über Rabensteiner und sein inzwischen aufgelöstes SEK geschrieben. Umso verwunderlicher ist es, wie unkritisch ihm der «Falter» heutzutage gegenübertritt. Hier personifiziert sich ein in den letzten Jahren zunehmendes Phänomen. Die Zeiten werden härter. Alte Sicherheiten halten nicht mehr. Da wird der Ruf des liberalen Kleinbürgertums nach dem starken Staat lauter. Und man schaut gar nicht mehr so genau hin, mit welchen Zeitgenoss_innen man da gemeinsame Sache macht.
Die gesellschaftliche Debatte ist derweil längst weitermarschiert. Über Drogen redet kaum noch jemand, dafür wird jetzt der tödliche Schusswaffengebrauch durch Polizist_innen in den Medien legitimiert – durch deren gefährlichen Job, unter anderem entlang der U6. Übrigens kauft M immer noch sein Gras. Über das Wie und Wo hüllen wir an dieser Stelle den Mantel des Schweigens.