Protest gegen Abschiebungen
In Wien protestierten Afghan_innen gegen Abschiebungen. «Präsident Aschraf Ghani möchte, dass die Jungen nach Afghanistan zurückkehren und das Land wieder aufbauen. Aber wie soll man ein Land aufbauen, wenn man nicht einmal sicher auf der Straße gehen kann?», fragt ein Teilnehmer. Kerstin Kellermann (Text) und Habib Nazar (Foto) berichten.
«Das Bundesverwaltungsgericht spricht Afghanen oft Schutz zu», ist in der Zeitschrift «asyl» der Wiener Flüchtlings-NGO asylkoordination zu lesen. Und weiter: «[…] das Bundesministerium für Inneres sagt aber das Gegenteil.» Hat sich denn etwas geändert für afghanische Flüchtlinge in Österreich? «Afghanistan weigerte sich lange, Heimreisezertifikate für Nicht-freiwillig-Rückkehrende zu unterschreiben», erklärt der Wiener Rechtsanwalt Clemens Lahner, der sich auf Asylrecht spezialisiert hat. «Jetzt tun sie das aber. Dabei verschlechtert sich die Sicherheitslage dort von Tag zu Tag.» Vielen EU-Ländern reichen die erheblichen Sicherheitsbedenken, um keine Abschiebungen nach Kabul vorzunehmen, wird in der «asyl» erklärt. Österreich allerdings schiebt ab.
In einem Protestbrief der «Afghanischen Geflüchteten beim Wiener Refugee-Protestcamp 2017», jenes Protestcamp, das Ende August im Sigmund-Freud-Park aufgeschlagen wurde, wird ein Gutachter namentlich erwähnt, der mit veralteten und geschönten Gutachten über die Sicherheitslage in Afghanistan aufwarten würde. «Wenn ein länderkundiger Sachverständiger wiederholt durch das Bundesverwaltungsgericht bestellt wird, dann verwenden natürlich alle seine Gutachten», sagt Lahner dazu. Mit «alle» meint er jene Angestellten, die über Asyl zu entscheiden haben und die von ihrer Ausbildung her großteils keine Jurist_innen sind. «Zahlreiche Anschläge, staatliche Korruption sowie landesweite Verfolgung durch Aufständische machen ein Überleben in Kabul für abgeschobene Geflüchtete unmöglich», schreibt die Flüchtlingsgruppe hingegen selbst.
Friedlicher Protest.
«Wir danken der Polizei für die gute Zusammenarbeit», ruft der afghanische Organisator der Protest-Kundgebung im Votivpark, eine Stunde vor dem offiziellen Ende der dreitägigen Veranstaltung um acht Uhr abends. Er muss viele Ängste ausgestanden haben, übernahm er doch eine große Verantwortung. Viele hetzten im Internet und sahen die Afghan_innen schon in der Votivkirche – ähnlich dem Hungerstreik von Geflüchteten vor ein paar Jahren. Einige wenige Österreicher_innen sitzen auch hier im Sonnenuntergang am grünen Gras. Kinder spielen Fußball vor der Kirche mit dem Plakat «Mega-Ideen» auf der Fassade, klettern auf das rostige Europa-Denkmal. Um die 200 Menschen sitzen in der Wiese und unterhalten sich leise. Ab und an gibt es Reden, etwa von einer afghanischen Kickboxerin, der beim Beschwören der österreichischen Regierung die Stimme kippt. Ein junger Mann zeigt mir auf seinem Handy einen Brief, den ein gewisser Reza aus Kabul an seinen Freund schrieb, der aus Österreich freiwillig zurückkehren möchte: «Ich bin froh, dass du nicht mehr in Kabul bist und sicher vor den Anschlägen. Hier werden täglich um die Hundert Menschen getötet. In den letzten zwei Monaten habe ich meinen besten Freund verloren, meine Tante und mein Uni-Professor wurden getötet.» So ruhig, so brav ist diese Demonstration gegen Abschiebungen, die tödlich enden können – ein krasser Gegensatz zum lauten Geschrei gewisser Mitmenschen, die Angst vor eigener Armut haben und Flüchtlinge als «Blitzableiter» benutzen. «Wir haben das besprochen, ob wir über Lautsprecher diskutieren sollen», sagt der Afghane, der eigentlich bereits Österreicher ist und als Kfz-Techniker arbeitet. «Aber wir werden nicht die Nachbarn stören, so dass sie auf uns losgehen müssen. Wir protestieren friedlich.»
Diesmal war das Ende nicht in der Kirche geplant. Fröhliches Entschwinden der Beteiligten in alle Richtungen. Afghan_innen aus den Bundesländern müssen schleunigst zurück in ihre Unterkünfte, sonst könnten sie vor verschlossenen Türen und also auf der Straße stehen. Keine Plane in den Bäumen wurde vergessen, nicht einmal eine Wasserflasche blieb liegen. Die Rettung, die bereits aufgefahren war, drehte wieder um. Eine ältere Dame mit Wollschal reicht Beobachter_innen die Hand zum Abschied.
Friedliches Land.
Eine Grazerin beschreibt die erhebliche ehrenamtliche Flüchtlingsrbeit und meint, dass die Regierung versagt habe. «Diese Spalterei ist der falsche Ansatz für unsere Demokratie. Nachbarn werden gegen Nachbarn aufgehetzt. Warum bringt man in ein friedliches Land so einen Stress hinein? 18 Jahre Krieg in Afghanistan, der Iran macht die Grenzen dicht – das ist Menschenschacherei, was mit den Flüchtlingen passiert», befindet sie.
Große Politik: Regierungen verhandeln mit anderen Regierungen, die sie akzeptieren, Bürger_innen bleiben außen vor.
«Das ist die allerleiseste, allerbravste Demo, die ich je sah», lacht eine afghanische Theatermacherin, die schon ein paar Jahre in Österreich lebt. Warum, glaubt sie, ist das so? «Die sind so extrem brav, weil Österreich so schlechte Bilder von afghanischen Männern zeigt. Die fühlen sich beobachtet. Die sind unter Druck. Die Medien wollten einen Aufstand haben, das hat die Männer leise gemacht.» Frei nach der Idee von Cesare Lombroso, einem bekannten italienischen Professor für Gerichtsmedizin, vom angeblich «geborenen Verbrecher», avancieren alle Afghanen schnell zu potenziellen Kriminellen, anstatt als zu Recht Geflüchtete behandelt zu werden. Dabei, so Anwalt Lahner, hat doch «jeder Mensch seine eigene Lebensgeschichte. Die sieht auch bei Afghanen sehr unterschiedlich aus und es gilt die Einzelfall-Entscheidung.»