Ein Safer Space im Universum Wienstun & lassen

Bewohner:innen und Aktivist:innen des planet 10 feiern und planen gerne gemeinsam (Foto: © Jana Madzigon)

Im selbstverwalteten Wohnprojekt planet 10 in Favoriten bekommen vor allem Menschen, die am herkömmlichen Wohnungsmarkt kaum Chancen haben, eine Starthilfe. Nun soll das Haus vergrößert werden.

Für Außenstehende ist es einfach ein Gebäude in der Nähe des Reumannplatzes. Einstöckig. Relativ unscheinbar. Nur die hellrosa Fassade in der Pernerstorfergasse 12 erweckt etwas Aufmerksamkeit. Für ­Raymond ist es hingegen das Gebäude, wo er jeden Tag ein und aus geht. Es ist sein Zuhause. Seit rund vier Jahren bewohnt der 32-Jährige eine Wohnung hier. Seit 13 Jahren lebt er hierzulande und arbeitet in einem Logistikzentrum in Liesing. Ursprünglich kommt Raymond aus Nigeria, einem Land, aus dem er flüchten musste.
Bevor er zu seiner aktuellen Wohnung kam, wohnte er in einem Wohnheim für Geflüchtete in der Nähe. Für Menschen wie ihn sei es einfach schwierig, überhaupt an Wohnraum zu kommen – von der Leistbarkeit ganz abgesehen.
«Ich habe damals über einen Freund von planet 10 erfahren. Und sie haben mich dann aufgenommen», erzählt er. So wohl wie hier habe er sich zuvor nirgends gefühlt, betont Raymond. «Ich ­liebe es hier. Wir sind alle wie eine Familie», sagt er im Gespräch immer wieder und zeigt dabei in die Runde um sich herum, die von Stunde zu Stunde größer wird. Denn nach und nach füllen sich die Räume an diesem Samstagabend immer mehr. Das Essen, von Kısır bis Burek, kommt bestens an. Die Stimmung ist gut. Es gibt schließlich Grund zu feiern. Aus gleich zwei Gründen. Der offensichtliche Grund ist das Bestehen von planet 10.

Umverteilung von Privilegien

planet 10, das ist ein selbstverwaltetes Wohnprojekt im zehnten Wiener Gemeindebezirk. Gegründet wurde es um das Jahr 2009 herum von einer Gruppe von Aktivist:innen, die etwas von ihren Möglichkeiten und Privilegien an andere abgeben wollten. «Das Thema Umverteilung ist vor allem mit Marlene Engelhorn in die Mitte der öffentlichen Debatte gerückt. Im Grunde haben wir dasselbe gemacht. Nur in viel kleinerem Ausmaß und in partizipativer Mitverwaltung derer, die in den Wohnungen leben», sagt Lilly Axster. Die Autorin und bei Selbstlaut, einer Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen, tätige Wienerin, gehört zu den Gründungsmitgliedern von planet 10. Laut eigenen Aussagen ist Axster mit vielen Privilegien aufgewachsen. Dass sie Teile davon auch mit anderen teilen wollte, war ihr schon früh klar. Spätestens dann, als ihr immer mehr bewusst ­wurde, auf welcher Grundlage vor allem ihre finan­ziellen Privilegien basieren. «Beide meine Großelternpaare waren stark in nationalsozialistische Täter:innen-Strukturen involviert und haben sich in der NS-Zeit bereichert», erzählt Axster. Für sie stand daher fest: «Dieses Erbe gehört gar nicht mir.»
Als es dann tatsächlich so weit war, dass Axster ihr Erbe antreten konnte, kam die Idee eines selbstverwalteten Hausprojekts. Schon zuvor war sie Teil der Initiative «post border feminists», die sich zur Schaffung von Wohnraum für alle einsetzte. Mit den geerbten 120.000 Euro und einigen Direktkrediten konnten die Aktivist:innen von planet 10 das Haus in Favoriten im Jahr 2009 kaufen.
«Davor hat das Haus einem FPÖ-Politiker gehört», fügt Axster süffisant hinzu.

Leistbares diskriminierungsfreies Wohnen

Was die als Verein organisierte Gruppe geschaffen hat, könnte von einem freiheitlichen Weltbild wohl kaum weiter entfernt sein. Das Erdgeschoß des Hauses, wo Feiern wie an diesem Abend stattfinden, besteht aus einem Veranstaltungsraum, der von Gruppen und Organisationen genutzt werden kann. Im ersten Stock befinden sich vier Wohnungen. Die rund 30 bis 45 Quadratmeter großen Einheiten werden für etwa 400 Euro warm vermietet. Mit den Einnahmen werden die Kredite für das Haus abbezahlt. Für die Bewohner:innen, darunter auch Familien mit Kindern, soll es eine Art Starthilfe sein.
«Wir versuchen, damit Menschen zu unterstützen, die es am herkömmlichen Wohnungsmarkt sehr schwer haben, weil sie etwa noch keine Papiere haben oder Rassismus erleben», erklärt Iva Marković, Produktionsleiterin und Mitarbeiterin im Wiener Klima-Team, seit 2016 im planet 10 ­aktiv. Der Verein ist auch eng mit ARA – Afro Rainbow Austria vernetzt, deren Gründerin Henrie Dennis ebenfalls Teil des planet-10-­Kollektivs ist – und Augustin-Mitarbeiterin.
Das Haus stehe allen Menschen offen, die sich für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft bekennen, betont auch Eray Eraslan. Er ist seit 2014 bei dem Verein tätig und Vorstandsmitglied. «Was wir hier haben, ist ein wichtiger Raum für diese Stadt. Denn Vielfalt ist bei uns ­keine Floskel, sondern gelebte Realität», betont er. Und bald schon werde man dafür noch mehr Platz haben, fügt er hinzu. Eraslan meint damit den anderen Punkt, der bei planet 10 Grund zum Feiern gibt.

Ausbau

Bald soll planet 10 noch mehr Menschen Platz bieten. Das Gebäude soll saniert und der Gemeinschaftsbereich im Erdgeschoß erneuert werden. Außerdem sollen 20 Wohnungen zu dem Hausprojekt hinzukommen.
Schon länger gab es die Überlegung im Verein, das einstöckige Gebäude in die Höhe auszubauen. Bautechnisch habe auch nichts dagegen gesprochen, ­erklärt Axster. Aber die Finanzierung war stets die große offene Frage im Raum. Im Sommer kam nun die Antwort darauf: Eine Wohnbauförderung der Stadt Wien ­wurde für das Projekt zugesagt. Ein beachtlicher Teil der Kosten sei damit abgedeckt. Der Rest soll wieder über Direktkredite finanziert werden. «Wir wollen jedenfalls so viel leistbaren und lebenswerten Wohnraum wie möglich schaffen», sagt Gabu Heindl. Die Architektin ist für die Planung des Ausbaus zuständig. Der Fokus soll dabei auch auf Gemeinschaftsräumen liegen, die mehrfach
genutzt werden können, wie einem kleinen begrünten Innenhof und Außen­treppen, die auch als Freiräume dienen können. Was die genauen Bedürfnisse sind, wurde in gemeinsamen Workshops mit Vereinsmitgliedern und Bewohner:innen ausgearbeitet. Beginnen sollen die Bauarbeiten im Herbst/Winter 2025.
Raymond und die anderen sieben Bewohner:innen, die aktuell bei planet 10 wohnen, müssen für die Umbauarbeiten dann ausziehen. Natürlich sei er traurig darüber, hier nicht mehr leben zu können, sagt Raymond. «Aber der Ausbau wird vielen Menschen helfen und gut für die Community sein.» Teil von planet 10 werde er ohnehin für immer bleiben.

Wer sich am Ausbau des planet 10 beteiligen möchte, findet alle Informationen zum Projekt und zu den Unterstützungsmöglichkeiten unter www.planet10wien.at

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