Ein Schiff, das Europäer ausspuckteArtistin

Bibliotick

Was hat ein autobiografischer Text einer aus Argentinien stammenden Lyrikerin und Prosaautorin mit Taiwan zu tun, fragte ich mich, als ich die Verlagsinformation zu Luisa Futoranskys Buch Formosa las.

Formosa war mir nur als alter Name der Insel Taiwan bekannt. Futoransky beschäftigt sich in ihrem Text in einem Kapitel mit den unterschiedlichen Formosas, unter anderem gibt es eine argentinische Provinz dieses Namens und auch «das französische Schiff, das jahrzehntelang Europäer an den Küsten des Atlantiks ausspuckte, darunter meine Eltern, Großeltern und einen Großteil der Verwandtschaft». Die Vorfahren der 1939 in Buenos Aires geborenen Schriftstellerin waren jüdische Auswanderer aus Osteuropa, die um 1900 in Südamerika ein neues Leben begannen. Leben, die zunächst ärmlich, später kleinbürgerlich waren, schließlich bringt die Familie auch Akademiker_innen hervor, und «fast alle sind in den Limbus der Besitzenden aufgestiegen», schreibt Futoransky ironisch. Und deren Geschichten und ihre eigene erzählt Luisa Futoransky in Formosa, allerdings keineswegs als geordnete Familienchronik, sondern nicht-chronologisch, dafür vielstimmig, in kurzen Textabschnitten, die oft Namen als Titel tragen, wie etwa Lagor, Pichi, Luzdivina oder Die Tanten. Futoransky geht es nicht darum, ihre Biografie als Historie nach dem Schema Vorfahren, Kindheit, Jugend, Beruf … darzustellen, sondern sie lässt ein ganzes Ensemble sprechen, ob es sich bei den unterschiedlichen Stimmen um personifizierte Charakteraspekte der Autorin und/oder verschiedene Personen handelt, ist unklar und für das Lesen des bewusst fragmentarisch angelegten Bands unwichtig. Das klingt vermutlich nach sperriger, schwieriger Lektüre, doch Formosa ist wunderbar zu lesen und durchaus unterhaltsam. Für die wahrhaft kongeniale Übersetzung ins Deutsche ist der österreichischen Romanistin Erna Pfeiffer zu danken.

 

Luisa Futoransky:

Formosa

edition pen Löcker Verlag, 2017

300 Seiten, 19,80 Euro

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