Ein Schlachthaus aus ZuckerArtistin

Musikarbeiter unterwegs … Bacherplatz, Peking, Büro

Mit Reserviert legt der Künstler Clemens Denk ein tatsächliches Soloalbum vor. 44 Stücke, die sich Kategorisierungen so verspielt wie ernsthaft entziehen.

TEXT: RAINER KRISPEL
FOTO: MARIO LANG

«I wish I had the time, to be a wanker just like you», sagen die Sleaford Mods, damit einen Satz des ersten Halbjahres 2021. Ein Bild von einer PK einfrieren und das Lied abspielen, während sie so dastehen, voll Selbstergriffenheit und Erbärmlichkeit: Beißer-Karli, (Selbst-)Behauptungs-Basti, Bankrottermöglicher-Wernerlein und Die-Gehauchte-Sanftmut-Des-Versagens-Rudi. Mach’ das Zerrbild lauter und bring’ den medizinischen Alkohol, vielleicht gehen sie vom Schirm? Dann lieber die 44 – eine wunderbare Zahl! – «Lieder» von Clemens Denks neuem Album Reserviert. Haufenweise (schöne) Sätze, Ideen, Fragmente, Gedanken, Bilder, Klänge. Eine wunderbare (Über-)Forderung, die eine_n lachen, denken und noch was lässt. Ein Geschenk die Begegnung mit Clemens selbst, 1983 in Krems geborener Künstler – Malerei und Grafik hat er an der Kunstuni Linz studiert –, der in Wien als Maler, Zeichner, Schreiber und Sänger lebt und tut. Tut? «Ich bin Franz im eigenen Land.» (Franz und Robert) Oder «Mit meinem Finger rühre ich fremde Suppen, jetzt wo ich berühmt bin.» (Ruhm)

44 Lieder und kein einziger Hit.

«Musik ist immer schon da, seit meiner Jugend spiele ich in Bands, am Schlagzeug begonnen, und das zieht sich, seit ich denken kann, durch mein Leben», erzählt Clemens beim Gespräch im Augustin-Büro. Wobei Reserviert seinen Anfang in einer «Schreibphase» nahm. Dabei entstanden zunächst Texte, «da braucht’s keine Musik». Eine Nacht – «geschrieben 2019, aufgenommen daheim», ist auf der CD zu lesen – allerdings schrieb er ein ganzes Heft voll, stand in der Früh auf – «ich schlafe gerne lang und bastel dann an meinem Zeug rum» – und begann zu vertonen, eine Woche lang. «Das war eher so wie atmen, wie sitzen und rauchen.» Aus gut zehn Stunden Material wurden schließlich die 70 Minuten von Reserviert. «In Form bringen, ist die Arbeit.» Ein klassisches Doppelalbum. Was aber auf Vinyl nicht zu finanzieren ist, sind die Hörer_innen solch spezieller Musik doch überschaubar. Was am Commitment seines Labels Cut Surface Denks Musik zu veröffentlichen nichts ändert. Das naheliegende Wort «prekär» greift Clemens, der sich das Fehlen der in der Kunst notwendigen Selbstvermarktungsskills und Sparsamkeit attestiert, nicht auf. «Geld gibt’s keins. Geht mir auch nicht ab.»

Irrwisch.

«Handwerklich bin ich ein Ei», formuliert Clemens einen weiteren Aspekt seiner Musik. Nicht ohne ein freies Zitat von Diedrich Diederichsen nachzuschieben – «in der Popmusik ist Handwerk das Allerfadeste». So hören wir eine detailstrotzende Ideenmusik, die aus einigen Klang- und Geräuschquellen schöpft und nicht nur vortrefflich als Basis eines mäandernden Gesprächs taugt. Mit Stationen wie Günter Brus’ großartigem Roman Irrwisch, den Clemens beim betreffenden Stück gar nicht im Sinn hatte, den Minutemen, der Wiener Gruppe, Werner Pirchners Ein halbes Doppelalbum oder Jens Rachut. Dessen jüngst erschienenes Buch mit Songtexten, Der mit der Luft schimpft, mag Clemens. Es wäre eine mögliche Form, Reserviert zu präsentieren, die Worte der Stücke zu lesen. Wobei Clemens sich scheut, diese seine Textarbeit als Literatur zu titulieren. Pekingbuch, ein Band mit 2018 in der chinesischen Hauptstadt entstandenem Geschriebenen, liest sich auf jeden Fall äußerst anregend. Ein Auszug: «Als er merkt, dass er aufgeschrieben wird, dreht er sich weg.» (Der Bub im Baum) Eine weitere Option wäre das Singen zu einer Bolang-Gu, einer chinesischen Trommelrassel, als rhythmisch erratischer – weil nicht steuerbarer – Begleitung. Einfacher das Spielen mit einer Band, was Clemens auch sehr schätzt. Clemens Band Denk, ein 2014 von Totally Wired und Problembär Records veröffentlichtes Album, lohnt wie Reserviert absolut das Hören. Dessen aus dem Moment schöpfende Musik ist in jedem Fall faszinierend und, im Wortsinn, frei. «Das ist alles improvisiert. Da geht auch viel schief. Die Sachen mag ich ja auch, und manche sind drauf.» Wie definiert sich dann «Schiefgehen»? Clemens: «Das ist eine gute Frage.» «Doing the right things. In the right way. With the right people. Saying the right words. In the right direction. Steht auf einem Halsband von einem Mann von der Right Company.» 

Clemens Denk: Reserviert (Cut Surface)
cutsurface.bandcamp.com/album/reserviert