Sachbuch: Kinderarmut
«In der vierten Klasse hatte ich keine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen, obwohl meine Noten dafür gesprochen hätten. Auf dem Etikett, das man mir aufgeklebt hatte, stand: schlauer Kerl, aber arm, keine Unterstützung aus der Familie, schlechte Prognose.» Jeremias Thiel beschreibt in seiner politischen Autobiografie Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance das Aufwachsen in einer einkommensarmen Familie in Westdeutschland. Er erzählt davon, wie er sich selbst Hilfe vom Jugendamt organisieren musste, von seiner Familie weg- und eigene Wege ging, und er zieht aus seinem Leben politische Schlüsse. Heute wird Thiel, Jahrgang 2001, von Fernsehshow zu Zeitungsinterview herumgereicht, immer mit der Frage, wie er es «geschafft» habe. Diesem «Schaffen» widmet er in seinem Buch einige Gedanken: Ist das ein individueller Erfolg? Was hat er mit gesellschaftlichem Backup zu tun? Ab wann ist der Weg aus der Armut «geschafft»? Wie lange in einem Leben bleibt die Armutserfahrung einschränkend, ab wann ist sie bereichernd? Und wer ist dafür verantwortlich, dass Kinder in Armut leben müssen? Auf seinem Weg zum Berufspolitiker, Politikwissenschaftler oder UNICEF-Direktor wird er noch einiges lernen; wir können inzwischen etwas über Kinderarmut lernen, indem wir Thiel aufmerksam lesen.
Jeremias Thiel:
Kein Pausenbrot, keine Kindheit, keine Chance. Wie sich Armut in Deutschland anfühlt und was sich ändern muss
Piper 2020, 220 Seiten, 16,50 Euro