«Ein Schrei ist wie ein Blitz»Artistin

Bibliotick

«Seit einiger Zeit ist mir klar, dass ich stets einen Keller in mir herumtrage.» Für die namenlose Ich-Erzählerin in Fariba Favis Roman «Kellervogel» ist der Keller ein metaphorischer als auch ein realer Ort im Haus ihrer Eltern.

Dorthin ziehen sich die Frauen zurück, um unbehelligt miteinander zu sprechen, es ist aber auch die Stätte der Bestrafung und Züchtigung der Kinder. Und letztlich wird das Untergeschoß zum Kranken- und Sterbezimmer des Vaters, der, krank und verwirrt, zur Belastung und aus dem Blickfeld geschoben wird. Es ist ein dunkler, angstbesetzter Ort bis sich die Protagonistin entschließt, sich den Schatten zu stellen. «Fünfunddreißig Jahre war ich Mieterin in diesem Keller, und jetzt fühle ich mich als Eigentümerin. Ich möchte seine Winkel und Gänge kennenlernen.»

 

Fariba Vafi erzählt in ihrem ersten Roman, der im persischen Original bereits 2002 erschien, von einer Frau, die sich als Ehefrau, Mutter, Hausfrau, Tochter, Schwester in Rollen bewegt, die ihr wenig Handlungsspielraum lassen. Scheinbar passiv alle Umstände und Begebenheiten hinnehmend, reflektiert sie ihr Leben und ihre Umgebung und erweist sich dabei als genaue Beobachterin und scharfe Analytikerin. Ebenso unterwirft sie ihre eigene Person kritischen Betrachtungen und hadert mit ihrer Unfähigkeit, dem eigenen Wollen und Fühlen verbal Ausdruck geben zu können. «Der Punkt ist erreicht, wo ich schreien muss», konstatiert sie und beginnt sich zu artikulieren.

 

«Kellervogel» ist zwar in einer nicht näher bezeichneten Stadt im Iran situiert, doch die Themen, die Fariba Vafi anspricht, sind universal: enge familiäre Bindungen bei gleichzeitiger Entfremdung, eine lieblose Beziehung in einer in die Jahre gekommenen Ehe, den Ansprüchen anderer genügen zu sollen, «nur» ein Mädchen zu sein usw. Dabei klagt Vafi nicht an, stimmt keine Elegie an oder schreibt «Betroffenheitsliteratur». In klaren, einfachen Sätzen, völlig schnörkellos, aber dennoch mit Poesie und Witz lässt sie ihre Hauptfigur für sich selbst sprechen.

Fariba Vafi: «Kellervogel»

Rotbuch Verlag, Berlin 2012

159 S., 15,50 Euro