Ein sicherer Hafentun & lassen

Im Gespräch: Pilot und Seenotretter am Mittelmeer

Täglich müssen Menschen ihr Leben riskieren, um das Mittelmeer zu queren. Doch wer dort ein Leben rettet, wird immer öfter kriminalisiert. Veronika Weis hat mit dem Seenotretter Tamino Böhm über den Wert von Menschenleben, die Friedensnobelpreisträgerin EU und das Einmaleins des Seerechts gesprochen.

Mit welchen Problemen seid ihr beim Retten im Mittelmeer konfrontiert?

Es gibt zwei Hauptprobleme: Erstens gibt es kaum mehr Rettungskapazitäten. Die Militärschiffe der europäischen Mitgliedsstaaten wurden abgezogen, die NGO-Schiffe werden willkürlich in den Häfen festgesetzt. Die wenigen Handelsschiffe in der Region versuchen mit allen Mitteln, Rettung zu vermeiden, weil sie befürchten, nirgendwo mehr anlanden zu dürfen. Leuten in Seenot kann also kaum noch geholfen werden.
Zweitens wurde die Koordination von Seenotfällen externalisiert; wo bis vor einem Jahr die Seenotrettungsleitstelle in Rom zuständig war, ist es jetzt die sogenannte Seenotrettungsleitstelle in Tripolis. Ich sage «sogenannt», weil die im Grunde nur dazu da ist, dass europäische Akteur_innen die Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen von sich weisen können.

Was kritisiert ihr an der libyschen Leitstelle?

Es kommt regelmäßig vor, dass sie nicht erreichbar ist. Oft hat sie mit Strom- oder Internetausfällen zu kämpfen. Wenn sie aber arbeitet, dann werden die NGO-Schiffe und -Flugzeuge komplett aus der Kommunikation herausgehalten. Erst kürzlich waren die italienische und die libysche Seenotrettungsleitstelle bereits mehrere Stunden über einen Seenotfall in der östlichen Search-and-Rescue-Zone informiert, aber erst als unser Flugzeug das Boot gesichtet hat, konnten wir die Mare Junio der italienischen Organisation Mediterranea darüber informieren. Die wussten noch nicht Bescheid, obwohl sie hätten retten können.

Warum werden NGO-Schiffe von den Seenotrettungsleitstellen nicht mehr informiert?

Die Friedensnobelpreisträgerin EU ­finanziert Milizen auf Marineschiffen, deren einzige Aufgabe es ist, Flüchtende am Meer abzufangen und zurück nach Libyen zu bringen. NGOs sollen nicht mehr retten, denn sie bringen Menschen – so wie das Seerecht es vorsieht – in einen sicheren Hafen. Da es in Libyen keine sicheren Häfen gibt, müssen wir die Menschen nach Europa bringen. Inzwischen gilt es aber schon fast als linksradikal, Menschenrechte umzusetzen. NGOs und Aktivist_innen werden dafür kriminalisiert. Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz diffamierte Seenotretter_innen, indem er davon sprach, dass der «NGO-Wahnsinn» beendet werden müsse.

Was möchtest du ihm entgegnen?

Es gab Vorwürfe, dass wir als NGOs Schleusern in Libyen Lichtsignale geben würden.
Dabei ist völlig klar, dass das Licht aufgrund der Masthöhe, der Erdkrümmung und der Entfernung niemals die libysche Küste erreichen kann. Aber vielleicht glaubt Kurz ja noch an eine flache Erde … Ich bin gerne bereit, mich über unterschiedliche politische Ansätze zu unterhalten, aber wer nicht einmal die Fakten prüft, ist für mich kein Dialogpartner.
Man kann davon ausgehen, dass bewusst Falschmeldungen über NGOs lanciert werden.
Das Recht auf Rettung aus Seenot ist ein universelles Recht. Die Kurz’ und Salvinis können uns schikanieren und festsetzen und uns mit ihrer Hetze überziehen, aber sie können uns nicht davon abhalten, das Richtige zu tun. Wir haben die Schiffe, wir haben die Crews, wir haben das Geld und wir haben den Willen, Menschen nicht ertrinken zu lassen.

Wieso geht die EU so geschlossen gegen NGOs vor?

NGOs übernehmen seit Jahren staatliche Aufgaben, weil die EU Menschen ersaufen lässt. Nun sollen mögliche Zeug_innen dieses Sterbenlassens verhindert werden.

Wie verarbeitet ihr die dramatischen Situationen auf See?

Ich werde oft darauf hingewiesen, dass ich sehr militärische Termini verwende. Ein Flüchtlingsboot in Seenot ist zum Beispiel ein «target». Der professionelle Zugang bietet einen gewissen Schutz und hilft im Einsatz, mit der Situation umzugehen. Wir reden in der Community der Seenotretter_innen viel darüber, was passiert, bekommen aber auch professionelle Unterstützung durch Supervision und Gespräche mit Psycholog_innen. Insgesamt entwickelt man einen sehr, sehr eigenen Humor.
Gibt es Momente, in denen dich die Bilder dann doch einholen?
Der Moment der Ohnmacht und der Wut kommt meistens auf den Linienflügen aus dem Einsatz nach Hause. Mein Handy ist aus, ich sitze in der Kabine mit hunderten Leuten, die aus ihrem Mittelmeerurlaub kommen. Dann kommt mir das alles hoch.

Was gibt dir die Kraft, weiterzumachen?

Für mich ist sehr beeindruckend, wie viele unterschiedliche Leute in der Seenotrettung zusammenkommen und als Crew zusammenarbeiten und dafür viele Konflikte ruhen lassen. Für diese Sache ziehen alle an einem gemeinsamen Strang, vom Kapitän, der sagt, ich will nicht, dass Menschen ertrinken, bis zur Anarchistin, die sagt, dass sie gegen alle Grenzen ist.
Was hat dich dazu bewogen, Seenotretter zu werden?
Ich bin selbst in Griechenland aufgewachsen und habe dadurch eine positive Beziehung zum Mittelmeer. Ich will einfach nicht, dass dieses Mittelmeer zu einem Massengrab wird. Schon jetzt kann ja niemand mehr sagen, er hätte nicht gewusst, was da passiert. Ich habe die Hoffnung, dass irgendwann die Stimmung in Europa wieder so ist, dass man sich fragt, was ist damals eigentlich passiert und was wurde gemacht?

Welche Lösung schlägst du vor?

Ich will gar nicht erst, dass Leute gerettet werden müssen, da liegt schon das Problem. Aber in Zukunft werden die Fluchtgründe noch weiter zunehmen – Stichwort Klimawandel. Daher braucht es sichere Fluchtwege. Das perfide an der europäischen Politik ist ja, dass man sagt, jeder hat das Recht, bei uns um Asyl anzusuchen, dabei aber verschweigt, dass man dafür sein Leben aufs Spiel setzen muss. Anders ist es gar nicht mehr möglich, nach Europa zu kommen.

Und wie schaffen wir den politischen Umschwung?

Die Lösung wird nicht von der EU kommen, denn europäische Staaten, auch Deutschland und Österreich, blockieren seit Jahren eine faire Verteilung von Geretteten in der EU. So, wie wir die Seenotrettung selbst in die Hand genommen haben, müssen wir nun auch die solidarischen Städte selbst organisieren. Wir müssen in unseren Kommunen sichere Häfen schaffen und fordern, dass Flüchtlinge zu uns kommen können. Wo Salvini und Kurz Angst und Hass schüren, zeigen wir Solidarität. Wo die EU immer neue Grenzen zieht, da bauen wir Brücken. Denn eine Welt voller Mauern und Zäune hat keine Zukunft.

Wie kann man euch unterstützen, wenn man nicht selbst an Bord gehen kann?

Bleibt informiert und versucht, euch ein Bild der Lage zu machen. Klärt Leute darüber auf, was passiert. Genauso, wie wir beim Familienessen über den Rechtsruck in den Parlamenten diskutieren, müssen wir auch über die Situation an den europäischen Außengrenzen reden.

Translate »