Der Gentrifizierungsgegner hat Gegenwind – und der Augustin nur so eine Idee
Andrej Holm wär’ zu haben. Berliner Wohnbau–Staatssekretär wird er nicht. Unser Vorschlag, ernst gemeint: Die rot-grüne Koalition soll Holm nach Wien holen. Das wär’ ein Quereinstieg, der Häupl am Ende seiner Macht noch populär machen könnte, meint Robert Sommer.
Der Vorschlag ist ernst gemeint: Die Wiener Stadtregierung soll Holm als Berater der Ressorts für Wohnbau und Stadtplanung engagieren. Wir vom Augustin wären nicht die einzigen, die Kompliment! schreien würden. Von linker Seite würde es Referenzen regnen. Mit der Wiener Stadtentwicklung ist Holm nämlich fast so gut vertraut wie mit jener in Berlin. Er kennt Wien durch seine Vortragsreisen, durch seine Zusammenarbeit mit «Recht auf Stadt»-Initiativen und durch seine Teilnahme an sozialen Kämpfen gegen die neoliberale Wohnbaupolitik. Ohne Holm wäre die Gentrifizierungsdebatte in Österreich noch ein Herumtappen im Halberforschten.
In den letzten beiden Ausgaben des Augustin wurde die Berufung des parteilosen Wissenschaftlers zum Berliner Wohnbau-Staatssekretär als fix hingestellt. Irrtum! Wir unterschätzten die Brutalität von Profiteur_innen und Betreiber_innen neoliberaler Stadtpolitik, die den wohnbaupolitischen Teil des Koalitionsvertrags mit Achselzucken zur Kenntnis nehmen konnten, weil die Visionen erfahrungsgemäß Papier bleiben. Die jedoch, als der Name Holm genannt wurde, die Gewissheit hatten: Dieser Mann wird dafür sorgen, dass der Vertrag eben nicht Papier bleibt. Im Abkommen steht, dass die Berliner Regierung der Bodenspekulation entgegentreten, mit dem Abverkauf städtischer Immobilien Schluss machen und den Sozialwohnungsbestand, der billige Mieten garantiere, ausbauen werde.
Viele trauten dem Quereinsteiger zu, resistent gegen Anpassung ans Amt zu bleiben. Andrej Holm kommt aus den sozialen Bewegungen und fühlt sich diesen verpflichtet. Zu viele seiner Bücher zirkulieren: Jede_r kann wissen, wie er sich positioniert. Er schrieb «Mietenwahnsinn. Warum Wohnen immer teurer wird und wer davon profitiert» (Droemer Knaur), «Wir Bleiben Alle. Gentrifizierung – Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung» (Unrast-Verlag) und vieles mehr.
Deshalb musste auch das Wochenblatt «Zeit» konstatieren: «Mit Andrej Holm hatte Rot-Rot-Grün einen Mann zur Hand, der wie kein Zweiter für eine solche, neue Politik hätte stehen können. Als Blogger, Buchautor und aktivistischer Berater von Initiativen wie Kotti & Co. (revolutionäre Mieter_innengemeinschaft am Kottbusser Tor, die Red.) oder dem Berliner Mietenvolksentscheid ist er in Sachen Gentrifizierung die Glaubwürdigkeit in Person – was die Personalie in Zeiten des Geschimpfes auf ‹Eliten› und ‹Volksverräter› doppelt interessant gemacht hat.»
Kurz nachdem die Partei «Die Linke» ihn für das Wohnbauamt nominierte, begann die Jagd. Zu ihrem Glück konnten die Gegner der Holm’schen Konzepte sich ersparen, diese inhaltlich in Frage zu stellen; es stand ihnen ein raffinierteres Instrument zur Verfügung: die Denunziation des Unbequemen als Stasi-Mann. Dass der 46-Jährige ab September 1989, also im Alter von 18 Jahren, eine militärische Ausbildung bei der Stasi absolvierte und dann noch ein paar Wochen als hauptamtlicher Mitarbeiter des sich auflösenden Ministeriums für Staatssicherheit Berichte las und Radio hörte – all das war seit 2007 bekannt. Doch die Zeitungen waren plötzlich voll von Klatschgeschichten über Holms jugendlichen Drang, die DDR doch noch zu retten. Mit der Ansicht, die DDR sei das sozial gerechtere Deutschland, war er ja nicht ganz allein. Dem regierenden Bürgermeister Berlins, Michael Müller, genügte das, um ihn zum Abschuss freizugeben. Auch die Grünen akzeptierten das. Unter kritischen Geistern herrscht die Meinung: Eigentlich müsste «Die Linke» die rot-rot-grüne Koalition sofort verlassen, denn mit Opportunist_innen ist keine Stadtpolitik zu revolutionieren.
Vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe brodelte es im Institut für Sozialwissenschaften in der Berliner Humboldt-Universität, wo Holm angestellt war. Nachdem die Universitätsleitung angekündigt hatte, den zurückgetretenen Staatssekretär auch von seinen Aufgaben als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu entbinden, besetzten die Studierenden das Institut. Das könne doch nicht sein, dass ein angeblicher «Fehltritt» eines in einer SED-Familie aufgewachsenen Ostberliner Teenagers mehr zählt als die wissenschaftliche Kompetenz, empören sie sich. Holm ist der Hero der Szene. Er hat inzwischen gegen seinen Rauswurf aus der Uni die Klage eingereicht.
Weil’s so schön war, noch einmal ein Zitat aus der «Zeit». Ein paar Sätze, die nahelegen, dass die Geschichten über den jungen DDRler den Konservativen extrem gelegen kommen, müssen sie sich doch nun keineswegs mit Holms Kritik an den obszönen Mietpreissteigerungen auseinandersetzen: «Es wäre über den Zustand der Behörden und das Staatsversagen in Berlin zu diskutieren. Es wäre darüber zu diskutieren, wie verhindert werden kann, dass Berlin die Entwicklung nimmt, die wir in New York, Paris und London schon seit zwanzig Jahren beobachten. Nicht nur die Armen, sondern auch die Mittelschicht, sogar die obere Mittelschicht, ist aus diesen Städten inzwischen an die Ränder verbannt oder auf engstem Raum zusammengedrückt. Investoren, die an einer lebendigen, vielfältigen Stadt kein Interesse haben und auf lange Sicht nur eine winzige Finanzelite immer reicher machen, reißen den städtischen Raum an sich. Darüber müssen wir sprechen.»
Es wäre zu diskutieren, ob auch Wien dies verhindern kann. Andrej Holm könnte dafür Impulse geben. Stadtentwicklung, würde er in seiner Antrittsrede im Rathaus sagen, ist keine Naturkatastrophe. Sie unterliege gesellschaftlichen Bedingungen. Und diese könne man gemeinsam verändern. Ob irgendwer die Idee, Holm zum amtlichen Ezzesgeber in Sachen Wohnungspolitik zu machen, unterstützt? Reicht ja ein Halbtagsjob: Berlin braucht ihn so oder so. Wir fragten bei den Rathausgrünen an.