Ein Stück Pizza für die Stadttun & lassen

Wie ein Haus besetzt und wie es geräumt wurde und was dazwischen geschah

Anfang August wurde die «Pizzeria Anarchia» im zweiten Bezirk in Wien geräumt. Das Haus hat eine Geschichte, wie sie sonst nur Romane schreiben: Junge Punks wurden gebeten, zur Vertreibung der letzten Altmieter_innen die leerstehenden Wohnungen zu besetzen. Sie ließen sich darauf ein – und freundeten sich mit den Altmieter_innen an. Das wurde den Hausbesitzern der Castella AG zu blöd – sie ließen räumen, der Staat spielte mit. 1.700 Polizeibeamt_innen sollen im Einsatz gewesen sein, um auf der Heinestraße Krieg gegen junge Aktivist_innen zu spielen. Und gegen das Ausprobieren solidarischer Wohnformen mitten in der Stadt. Wir lassen die Pizzabäcker_innen selbst zu Wort kommen.

Foto: Ernst Spiessberger

Am 28. 7. 2014 wurde die Pizzeria Anarchia geräumt. Unser Haus. Es ist für uns alle noch schwer begreiflich, dass wir nun nicht mehr in unsere Wohnungen, oder unsere Filmabende machen können, und nicht zuletzt, dass wir unsere Pizza nicht mehr in unserem Ofen backen können.

Wir fragen uns, wo sollen wir jetzt schlafen, und wo sollen wir jetzt unsere Gäste unterbringen? Jetzt ist also der Moment darüber nachzudenken, was Wien eigentlich verloren hat. Unser Haus war mehr als ein Wohnhaus, es war ein Projekt, dass sich gegen kapitalistische Ausbeutungen zur Wehr gesetzt hat, und in dem versucht wurde ein solidarisches Zusammenleben zu praktizieren. Vielleicht waren wir manchmal lästig, aber wir haben dabei stets ein Herz für unsere Nachbar_innen und andere Mitmenschen gehabt. Dadurch sind wir ein Anlaufpunkt geworden, der vielen Menschen Schutz geboten hat.

Zusammenleben statt Zwangsräumen

Viel wurde über uns berichtet, und es ist jetzt an der Zeit, dazu Stellung zu beziehen. Wir haben uns oftmals darüber gefreut, dass jetzt endlich das bislang totgeschwiegene Problem der Stadtaufwertung, und die Mietsteigerungen thematisiert wurden. Michael Ludwig von der SPÖ redet sich in Interviews um Kopf und Kragen, in denen er immer wieder sagt, dass ihm die Problematik mit der Castella AG bekannt seien. Wir denken, dass ein Problem nicht gelöst wird, wenn es nur beobachtet wird. Wir wollen deswegen weiterhin gegen solche Verhältnisse vorgehen und hoffen, uns mit weiteren Betroffenen solidarisieren zu können. Aber es wurde nicht nur darüber berichtet, dass wir das bislang unsichtbare Thema Zwangsräumung, das in Wien täglich im Schnitt sieben Mietparteien betrifft, sichtbar gemacht haben. Es wurde viel über die Pizzapunks erzählt, für uns ist aber klar, dass wir eine Gruppe junger engagierter und sehr kreativer Menschen sind, die alle individuell sind. Menschen, Aktivist_innen, von denen es keine Kopien gibt. Mit der Pizza hat die Stadt Wien also auch einen Ort verloren, in dem nur aufgefallen ist, wer nicht er oder sie selbst ist.

Dass uns nun unterstellt wird, wir hätten Gewalt angewendet, ist blanker Hohn. Denn gibt es eine schlimmere Form von Gewalt, als Menschen ihr Zuhause mit Panzer und schwerem Gerät zu entreißen? Die Dinge, die uns etwas bedeutet haben, und die wir selber aufgebaut haben, wurden in der Presse oft als Müll oder Sperrmüll bezeichnet. Tatsächlich handelte es sich aber um unsere Möbel und wir hätten uns etwas mehr Respekt im Umgang damit gewünscht. Schlussendlich ist es für uns aber kaum überraschend, dass wir und unsere Ideen genauso behandelt werden wie unsere Wohnungseinrichtungen. Für ein System, dass auf Ausbeutung basiert, sind Menschen, die sich keinem Leistungszwang ergeben wollen, nichts weiter als Müll. Alleine das ist traurig, und es ist an dieser Stelle nicht schwer zu begreifen, warum wir uns eine andere Gesellschaft wünschen.

Nach wie vor sind wir nun ohne Bleibe, und dieser Zustand muss sich ändern. Unser Haus ist weg, aber unsere Ideen und Träume sind noch da. Und wir werden dafür einstehen ein neues Zuhause zu bekommen. Wir werden es noch schöner machen als unser altes Zuhause war, aber wir werden uns ein neues Zuhause nehmen müssen. Deswegen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir weder von politischer, noch von staatlicher Seite, noch von irgendjemand anderem Ersatzräume angeboten bekommen haben. Auch das «Angebot» von den Eigentümern Avner Motaev und Nery Alaev beschränkte sich darauf, für einen begrenzten Zeitraum die Miete für ein «Lokal» zu übernehmen, von Wohnungen war nie die Rede. In Anbetracht dieser Umstände scheint es uns umso wichtiger, uns in der Zukunft neuen Raum zu nehmen. Auch um nicht Spielball für Immobilienspekulant_innen zu werden.

Fliegender Fernseher, faules Ei

Uns ist dabei nicht nur wichtig, das Thema Mietspekulation immer wieder aufzuzeigen. Jedes Projekt ist immer ein ganz neuer Versuch, Formen des Zusammenlebens auszuprobieren. In Anbetracht der Tatsache, dass immer weniger Menschen in der klassischen Kleinfamilie leben, sind Räume zum Ausprobieren neuer Lebensarten richtig und wichtig. Dass es 1.700 Polizisten gebraucht hat, um uns unser Haus weg zu nehmen, weiß heute die ganze Welt. Kaum einer hat allerdings mitbekommen mit welcher Brutalität vorgegangen wurde. Der Räumungspanzer ist auf Menschen losgefahren, einige festgekettete Aktivist_innen wurden mit einer Kettensäge dilettantisch gelöst, und wir sind im Knast bedroht worden, wenn wir uns geweigert haben, unsere DNA abzugeben. Wir fordern deswegen auch die sofortige Löschung unserer DNA und unserer Fingerabdrücke, denn wir sehen keine Rechtfertigung dieser Maßnahme. Im Gegenzug erfand die Polizei Fallen im Gebäude, welche die Presse niemals mit eigenen Augen zu sehen bekam, denn sie wurde von der Räumung ausgesperrt. So kamen zahlreiche absurde Geschichten zusammen. Zum Beispiel der angeblich fliegende Fernseher, diesen haben viele Medien erwähnt, aber keiner scheint ihn jemals gesehen zu haben. Dass sollte die These stützen, dass kein einziger Fernseher geworfen worden ist. Letztendlich ist es aber auch nicht verwunderlich, dass die Polizei nach diesem vollständig übertriebenen Aufgebot nach Rechtfertigungsgründen sucht. Uns ist auch klar, dass die gegen uns erhobenen Vorwürfe eher damit, als mit der Realität in Zusammenhang stehen. Eine Realität, in der sich Menschen mit Federn, Farbe und faulen Eiern Ausdruck verschaffen wollten. Dinge, die vielleicht unangenehm sind, die aber niemandem einen ernsteren Schaden zufügen können.

Viele der Geschehnisse sind also eher symbolisch zu betrachten. Die symbolische Kriegsführung gegen uns ging soweit, dass unsere Hausgestaltung und unser Garten gleich am nächsten Tag zerstört waren, als wir das Haus das erste mal wieder betrachteten. Die Altmietpartei musste feststellen, dass ihre Toilette von der Polizei zerschlagen worden ist. In dieser Hinsicht lässt sich nicht leugnen, dass die Polizei den Spekulanten Amtshilfe geleistet hat. Wir fragen uns, wieso es toleriert wird, dass sich die zuständigen Bürokrat_innen nun hinter Paragraphen verstecken. Im Grunde genommen könnte sich die Stadt einfach eingestehen, dass es kostenmäßig günstiger, und für das Zusammenleben innerhalb der Stadt förderlicher gewesen wäre, uns das Haus einfach zu überlassen. Nun wird es viele weitere Aktionen geben, bis wir wieder ein Zuhause haben.

Am 28. 7. 2014 ist also die Kluft zwischen den Herrschenden, und denjenigen, die weniger Möglichkeiten haben gehört zu werden, größer geworden. Denn die zuständigen Behörden haben öffentlich gezeigt, dass sie nicht gewillt sind, sich die Bedürfnisse der Menschen überhaupt nur anzuhören. Es wurde das Interesse eines finanzstarken Unternehmens gegen das Interesse vieler durchgesetzt. Es wurde gezeigt, dass Partizipation in Wien offenbar nicht gewollt ist. Das ist nur die Spitze eines riesigen Eisberges. Ein Eisberg, den wir weiterhin mit Aktionen zum Schmelzen bringen wollen. Zu diesen Aktionen gehört, dass wir unser sonntägliches Ritual weiter fortführen. Wir machen weiterhin Pizza, die wir gegen freie Spende verteilen. Für aktuelle Informationen, kann man sich weiterhin auf unserem Blog informieren. Es ist möglich sich zu wehren, und dabei soll niemand alleine sein. Also berichtet über unsere Geschichte. Und achtet auch aufeinander, ein gemeinsames Wien ist möglich! Dreams can’t be evicted!

Besetzer_innen der Pizzeria Anarchia

http://pizza.noblogs.org

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