Bald soll Baustart für die Ostumfahrung bei Wiener Neustadt sein. Gegner:innen wollen aber nicht Straßen verbinden, sondern sich mit Gleichgesinnten. Ein Lokalaugenschein.
Lichtenwörth, eine 3.000-Seelen-Gemeinde im südöstlichen Niederösterreich, ist geprägt von Landwirtschaft. Mais- und Getreidefelder soweit das Auge reicht. Aus der schmucklosen, flachen Gegend ragen hohe Betontürme empor, Speichertürme der örtlichen Getreidemühlen. Für Getreide, wie es auch Johann Gribitz anbaut.
Der 55-jährige Vollerwerbsbauer sitzt auf einer Bank im Schatten eines Walnussbaums auf seinem Grundstück am Ortsrand von Lichtenwörth. Den Grund habe er von seinen Eltern vor 35 Jahren übernommen, erzählt er, ebenso eine Ferkelzucht. Vor fünf Jahren aber, da hat sich was verändert: «Ich hob de Schweinezucht nimma mit mein Gwissen vereinbarn können.» Zu seinem 50. Geburtstag habe er auf biologische Landwirtschaft umgestellt. «Im Zuge dessen bin ich auch Vegetarier geworden, das ging Hand in Hand.» Das Kraftfutter, das er früher für die Tiere angebaut hatte, wich Sonnenblumen für die Ölgewinnung, Soja und Buchweizen für den menschlichen Konsum. «Ich hab da einen ganz anderen Fokus auf die Natur bekommen», beschreibt Gribitz seine innere, seine persönliche Entwicklung. Aber erst ein Ereignis von außen machte ihn zum aufmüpfigen Bauern, der er heute ist.
Enteignung
Denn heute beleben sein Grundstück am Ortsrand etwa ein Dutzend Klimaaktivist:innen. Mit gemeinschaftlichem Gärtnern und einer Besetzung sind aber noch viel mehr Menschen am Grundstück aktiv, zweimal schon hat hier ein Klimacamp stattgefunden. Zusammen will man ein Straßenbau-Projekt verhindern. Und darüber hinaus solidarisches Zusammenleben und politisches Wirken erproben.
Nahe Gribitz’ Grund grenzt ein «Natura 2000»-Schutzgebiet um die Warme Fischa, einen etwa fünf Meter breiten Wasserstrom. Hier will die niederösterreichische Landesregierung ein Straßenbauprojekt umsetzen, gegen das «sicher 95 Prozent» der Leute in Lichtenwörth sind, wie der Bauer freihändig schätzt.
Ein fünfseitiges Schreiben mit dem Titel «Übereinkunft» ist mit ein Grund, warum der niederösterreichische Bauer gemeinsame Sache mit Klimaschutz-Aktivist:innen macht. Gribitz bringt das Schriftstück in einer Kartonmappe mit zum Interview. Es ist eine schriftliche Übereinkunft zwischen dem Bauern und dem Land Niederösterreich, mit dem Inhalt der «Grundeinlösung für den Ausbau der Landesstraße B17 – Umfahrung Wiener Neustadt Ost Teil 2». Konkret heißt das: Das Land Niederösterreich will dem Bauern 7.000 Quadratmeter Land abnehmen und bietet ihm im Gegenzug eine Entschädigung von 17.000 Euro an. Auf Johann Gribitz’ Grund soll ein Teil der Umfahrungsstraße B17 für Wiener Neustadt gebaut werden. Nicht nur auf seinem Land, sondern auf dem Dutzender weiterer Bauern und Bäuerinnen.
Auf der letzten Seite der «Übereinkunft» ist schon eine Unterschrift eines Vertreters des Landes Niederösterreich. Das Feld rechts daneben aber ist leer geblieben. Johann Gribitz hat nicht unterschrieben, seit November 2022 nicht. Und das soll auch so bleiben. Wer aber nicht freiwillig verkaufen will, soll im öffentlichen Interesse enteignet werden – geht es nach dem Willen der Landesregierung. Deswegen ist Gribitz mit fünf weiteren Grundeigentümer:innen vor Gericht gezogen, sie wehren sich gegen den Beschluss des Landes. Erst Mitte Juli fand die jüngste Verhandlung am Landesverwaltungsgericht in St. Pölten statt. Eine Entscheidung am Rechtsweg stand zu Redaktionsschluss noch aus.
Sympathien
Andere Wege hingegen gehen die Klimaaktivist:innen. Sie haben auf dem umstrittenen Grund einen Folientunnel errichtet. Gemeinsam mit Leuten aus der Umgebung wird hier Gemüse angebaut, die Erträge werden wöchentlich verschenkt. Einer der Neo-Gemüsebäuer:innen ist Dominik. Der junge Mann im bunten Hemd ist gebürtiger Lichtenwörther. «Hier ist ein super Ort zum Connecten», findet er. Vor allem aber brauche es keine neuen Straßen, schon gar nicht bei Wiener Neustadt, der Betonhauptstadt, wie sie der Mittzwanziger nennt. Tatsächlich ist der Bodenverbrauch hier «extrem hoch», wie der Kurier im Jahr 2021 berichtete. Mit 583 Quadratmetern verbauter Fläche pro Einwohner:in ist die Bezirkshauptstadt österreichweit an erster Stelle, vor St. Pölten und Villach.
Zudem ist das Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln in Niederösterreich besonders schlecht ausgebaut. Einer Studie der Arbeiterkammer zufolge haben mehr als ein Drittel der Beschäftigten keinen oder schlechten Zugang zu Öffis. Rund zwei Drittel pendeln mit dem Auto in die Arbeit. Dominik sagt, die Sympathie für den Widerstand in Lichtenwörth sei sehr groß. «Auch wenn wir manchen vielleicht ein bisschen zu anarchistisch und queerfreundlich sind», sagt er lachend und lehnt sich an einen Steher des Folientunnels. Hier sind die Tomaten schon reif, auch Paprika, Fenchel, vieles andere Gemüse ist am Gedeihen.
Kreative Proteste
Etwas abseits von Gribitz’ Land haben Aktivist:innen ein Baumhaus errichtet. Zwischen zwei verwucherten Eschen hängt die Holzhütte, hoch über den Köpfen, halb über dem Fluss in dicken Seilen.
Darunter sitzt eine Handvoll Aktivist:innen im Schatten, eine lässt ihre Füße im Bach baumeln. Lisa, eine Frau mit rotem Halstuch, erklimmt die schwebende Unterkunft geschickt über ein Seil. Sie beteiligt sich am Protest, «weil wir unsere Mobilität dringend überdenken müssen», sagt sie, nachdem sie wieder am Boden gelandet ist. Mehr Straßen bedeute immer mehr Autos. Aber was, wenn die Gerichte entscheiden, dass Johann Gribitz enteignet werden soll? «Tja, dann müssen wir in unseren Protestformen kreativer werden», grinst die Aktivistin.
Früher war auch Gribitz politisch organisiert: «Ich war Mitglied beim Bauernbund und auch ein Zeitl im Bauernrat.» Auf Dauer sei das aber nichts für ihn gewesen, dann sei er ausgetreten. «Ich bin immer neugierig und gehe auf alle unterschiedlichen Menschen zu», sagt er, «abgesehen von so rechten Gschichten.» Er, die Leute am Feld, die Besetzer:innen vom Baumhaus, seien mittlerweile eine «große Gemeinschaft», wie er es nennt. Auch wenn er nicht alle von ihnen kenne. Für ihn sei klar, «wir müssen diesen Weg gemeinsam gehen. Mir geht’s nicht um den Grund, den ich verlieren könnte. Würde da hinten etwas Sinnvolles entstehen, was für die Natur, dann trete ich das gerne ab.» Einen Straßenbau aber wolle er nicht unterstützen. Er wolle sich in den Spiegel schauen können, immerhin gehe es um die Zukunft. «Da muss ein Umdenken her. Wenn wir so weiterbetonieren, dann schaden wir langfristig vor allem uns selbst», findet Gribitz. Eine mögliche Enteignung koste ihn keine schlaflosen Nächte. Wirklich bewegen würde ihn, was jetzt auf dem Feld passiere: «Es ist schön, dass ich mit meinen Ansichten nicht alleine dastehe, stattdessen werden wir immer mehr.»
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Die Ostumfahrung
Von der Straße, die an die B60 anschließt und in Richtung Süden bis zur B53 beim Anschluss zur S4 führen soll, erhoffen sich Befürworter:innen eine Verkehrsentlastung von Wiener Neustadt und den Gemeinden. Geplante Bauzeit: Herbst 2024 bis Sommer 2027. Kosten: 40 Millionen Euro. Die Plattform «Vernunft statt Ostumfahrung» hat eine Petition gegen den Bau laufen (www.vernunft-statt-ostumfahrung.at). Auch Biodiversitätsforscher:innen und Verkehrsplaner:innen von BOKU und TU Wien kritisierten das Projekt widerholt.