Graphic Novel: B. Traven – Porträt eines berühmten Unbekannten
Eine aktuell wieder unbedingt lesenswerte Geschichte gibt es vom französischen Zeichner Golo. Das Totenschiff, der Roman des um 1882 geborenen Autors B. Traven, sein reelles Leben und Fiktion verbinden sich zu einer facettenreichen Graphic Novel, wie Barbara Eder beschreibt.
So viel steht fest: B. Travens Roman Das Totenschiff (1926) ist im Zeitalter von Migration und Flucht hochaktuell. Dass Teile daraus zum Bestandteil einer Graphic Novel wurden, ist deshalb umso erfreulicher. In der Comic-Biografie B. Traven – Porträt eines berühmten Unbekannten kreiert der französische Zeichner Golo das Leben und Werk einer Figur, die mit dem realen Autor B. Traven nie ganz identisch wird. Gleich zu Beginn bezeichnet diese sich als «Toter auf Urlaub». An seinen Freund und Genossen Erich Mühsam schreibt der B. Traven des Comic im Jahr 1923: «In einigen Stunden gehe ich an Bord eines Schiffes, das mich über den Atlantik bringen soll. Dann werde ich aufgehört haben zu existieren.»
Autor ohne Geschichte.
Nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik im April 1919 zum politischen Flüchtling geworden, versucht B. Traven unter dem Namen Ret Marut in verschiedenen europäischen Städten Arbeit zu bekommen; als Emigrant ohne Papiere fällt er fortan durch sämtliche Raster sozialer Zugehörigkeit. Gemeinsam mit anderen Geflüchteten, von denen viele mit Ende des Ersten Weltkriegs staatenlos wurden, beginnt er über mehrere Jahre hinweg auf Schiffen zu arbeiten, die unter fremder Flagge auslaufen. Viele davon sind nicht seetauglich, aber gut versichert. Nach den Mitgliedern der Besatzung, deren Existenzen bereits zu Lebzeiten nicht mehr nachweisbar sind, wird sich nach dem Untergang niemand auf die Suche machen. In der Inschrift über dem Mannschaftsquartier Das Totenschiff, die Golo eins zu eins übernimmt, heißt es:
«Wer hier eingeht, des Nam’ und Sein ist ausgelöscht. Er ist verweht, von ihm ist nicht ein Hauch erhalten in der weiten, weiten Welt. (…) Er ist das Nichts, das Nie, das Nimmer. Er ist das Niegewesen und das Niegedacht!»
In Das Totenschiff taucht die Figur Ret Marut in Gestalt des Kohlenziehers Gale auf. Die Biografie des Erfinders dieser Figur wird hingegen zur Fiktion. Denn als Ret Marut 1923 von der Londoner Fremdenpolizei aufgegriffen wird, gibt er vorerst zu Protokoll, als Otto Albert Max Feige im brandenburgischen Schwiebus geboren worden zu sein. Einige Tage später ändert er seine Aussage und sagt von sich, als Ret Marut in San Francisco das Licht der Welt erblickt zu haben. Zu diesem Zeitpunkt ist die empirische Person Ret Marut bereits Geschichte; sie existiert nur mehr als ein Vermerk im Polizeiregister. Zeitlebens hat B. Traven alle Spuren, die auf Existenzen unter anderen Namen hindeuten könnten, zu verwischen versucht; als Autor ohne Biografie ging er in die Literaturgeschichte ein.
Surrealer Bildersog.
Der bei B. Traven mit seiner politisch motivierten Verfolgung einhergehende Prozess der Ab- und Aufspaltung von Identitäten wird in Golos Graphic Novel mittels großformatiger und aufwändig kolorierter Einzelbilder dargestellt, die sich über ganze Seiten erstrecken; insofern heben diese sich vom Rest der zu weiten Teilen farblos gehaltenen Lebenserzählung deutlich ab. Auf diese Weise bebildert Golo das Innenleben eines Autors, der sich seiner vormaligen Existenz entledigt. Im dazugehörigen Bild ist die letzte Szene aus Das Totenschiff zu sehen, in der Gale auf einem losen Stück Metall über den Atlantik treibt. Bei der Figur, die vor seinem geistigen Auge in die Tiefe sinkt, handelt es sich jedoch nicht um seinen Freund Stanislaw, der im Roman ertrinkt. Vielmehr ist die Person, die gerade untergeht, eine Personifikation der nunmehr zu verdrängenden Anteile des Autors selbst. Innenwelt- und Außenweltwahrnehmung kollidieren in einem surrealen Bildersog, die Gewissheit, irgendwann wieder festen Boden unter den Füßen zu erlangen, schwindet mit jedem weiteren Wellengang.
Indem die Figur Ret Marut auf Grund läuft, geht mit ihr auch ihre Geschichte zugrunde, je tiefer sie sinkt, desto intensiver wird jedoch auch die Konfrontation mit derselben: Am Meeresgrund angekommen, verlautbaren Fische mittels Gedankensprachblasen noch einmal die Namen, auf die B. Traven nicht mehr hört. Im linken Bildrand finden sich zusätzlich dazu Anspielungen auf seine Verfolgung im Deutschen Kaiserreich, ein Stück weiter unten wird aus dem Haifisch, mit dem man metaphorisch gegen ihn zu Felde zog, eine Personifizierung der SPD, die die anarchistischen Akteur_innen im Umfeld von Der Ziegelbrenner – einer von Ret Marut herausgegebenen Zeitschrift – im Visier hatte. Fast schon am Ursprung angekommen, erweist jede Rückkehr dorthin sich als unmöglich. «Wir fahren zurück nach Schwiebus?», fragt der Untergehende den Gestrandeten ein letztes Mal, während die herbeihalluzinierten Vertreter_innen der Staatsgewalt Pass, Seemannskarte und Geburtsurkunde von ihm fordern.
Ein Leben als Vogelfreier.
Als Everybody der Literaturgeschichte hat der Schriftsteller B. Traven auch in Golos Graphic Novel viele Namen. Als Emigrant, der seinen gefälschten Pass verliert, findet dieser sich als Sans Papiers avant la lettre wieder, der Umstand, dass er keinem Staat mehr angehört, macht ihn zum modernen homo sacer (Vogelfreien). Er lebt ein Leben auf der Flucht und wird erst in Mexiko ankommen; vermutlich gelangte er als Seemann in einem rostigen Dampfschiff dorthin. Fortan stellt er sein Schreiben in den Dienst der indigenen Befreiungsbewegungen Mexikos und bezeichnet die europäische Arbeiter_innenbewegung als angepasst.
Auf seinen Debütroman Das Totenschiff folgt 1928 Die weiße Rose. Der Roman spielt zu einer Zeit auf einer fiktiven Hazienda in Mexiko, als das Land noch der größte Erdölexporteur der Welt war und mächtige Ölgesellschaften begannen, es sich anzueignen. Travens Held Yanez weigert sich, sein Land zu verkaufen; er hätte es von seinen Vorfahren nur geliehen und sei deshalb nicht mehr als der Verwalter für die, die dort später leben würden.
Niemals derselbe.
In B. Traven – Porträt eines berühmten Unbekannten erfahren die Leser_innen viel über die flüchtige Existenz eines politischen Schriftstellers zwischen den Zeiten und Kontinenten; gerade deshalb sollte B. Traven nicht vergessen werden. In der Graphic Novel folgt auf den berüchtigten Übergang ins «Nichts und Niegewesen» beim Betreten des Totenschiffs jedoch der Beginn einer Existenz, die selbst Gegenstand des Buches ist. Golos Darstellungsformen des «berühmten Unbekannten» bleiben, dem Thema gemäß, unterschiedlich und facettenreich; er setzt Farben gezielt ein und behält sich die vollständige Kolorierung für traumhaft irreale Momente vor. Für die Vielschichtigkeit einer komplexen Biografie hält er die geeigneten Stilmittel bereit. Niemals – und das haben viele Comicfiguren aufgrund der Dynamik erzeugenden Bildverkettungen sonst an sich – ist sein Protagonist ein und derselbe; als wellenförmig umrissene Silhouette taucht er nur deshalb im schwarzen Bildhintergrund unter, um auf der nächsten Seite wieder aufzutauchen – als ein anderer.
Golo:
B. Traven – Porträt eines berühmten Unbekannten
Avant-Verlag 2011
144 Seiten, 24,95 Euro