Ein trauriger SeptemberDichter Innenteil

Die Abenteuer des Herrn Hüseyin (65)

Für den Hüseyin fing der September nicht gut an. Erstens starb der Vater der Freundin plötzlich, zweitens auch der Vater seines besten Freundes. Er hatte ihn öfters fotografiert.

Illu: Carla Müller

In so kurzen Abständen starben Menschen in seiner näheren Umgebung aus zwei Weltreligionen, das macht den Herrn Hüseyin traurig. Zuerst fuhr er mit seiner Freundin nach OÖ. Am Totenbett sah er er das erste Mal, wie ein Mensch sich mit letzten Atemzügen auf dieser Erde schwer tut. Ein ungutes Gefühl. Der Mensch, der noch vor einer Woche auf der Bühne für die Kinder Theater spielte, liegt da und versucht nur zu atmen. An diesem Totenbett ist Hüseyin in seinem ganzen Leben das erste Mal. Er fragt sich, ob auch sein Tod naht!

Nach fünf Tagen stirbt der Vater der Freundin. Einen Gehirnschlag hat er gehabt. Nach einer Woche war eine Messe. Hüseyin nahm auch an dieser teil. Es wird nicht laut geweint, aber allen rinnen die Tränen. Hüseyin muss auch Tränen vergießen. Das erste Mal ist der Hüseyin in seinen 35 Jahren in Österreich bei so einer Zeremonie in einer Kirche und sitzt bei der Familie im vordersten Teil der Kirche. Obwohl er nicht religiös ist, ist er dabei.

Zwei Tage später stirbt ein kurdischer Verwandter vom Hüseyin. Der kannte auch den Vater Hüseyins. Sie waren die ersten Gastarbeiter aus dem kurdischen Teil der Türkei. Der Verstorbene und Hüseyins Vater trafen sich immer an den Wochenenden. Entweder im Prater oder am Südbahnhof. Das waren damals die Treffpunkte der Gastarbeiter. Hüseyins Vater ging zurück nach seiner Pensionierung, aber sein Freund holte Kinder und Frau nach und blieb in Wien. Sie haben sich auch nicht mehr gesehen.

Der Tote wurde auf dem Zentralfriedhof gewaschen. Die Nachricht wurde sehr schnell unter den Verwandten und Bekannten verbreitet. Jeder wollte sich von ihm verabschieden. Obwohl es ein Arbeitstag war, waren hunderte Menschen dort. Die Frau und Schwester der Verstorbenen sangen im Weinen Klagelieder über ihn. Nachdem man ihn in einen Sarg getan hatte, schweißte man diesen zu. Mit einem Lieferwagen wurde der Sarg zum Flughafen gebracht. Anschließend ging die Familie zum alevitischen Verein der Kurden im zehnten Bezirk, um Beileidswünsche der Menschen entgegenzunehmen. Jede_r bekommt auch dort gleich etwas zum Essen und Trinken. Wie viele andere Gastarbeiter ist er auch in der Fremde gestorben. Fast ein Jahr war er im Bett gelegen.

Bei allen Unterschieden zwischen beiden Toten innerhalb von zehn Tagen – Hüseyin standen beide nahe. Es ist traurig, Menschen sterben zu sehen. Am meisten leiden die Verwandten.

Herr Hüseyin ist bei einer Familie zum Essen eingeladen. Zu später Stunde musste er eine kurdische Künstlerin mit dem Auto zu ihr nach Hause führen. Obwohl er sie aus den Medien und von diversen Veranstaltungen kennt, haben sie nie miteinander gesprochen. Sie ist in Österreich geboren. Aber sie fühlt sich hier nicht wohl. Unglücklich ist sie hier. Sie möchte auf dieser Welt, zumindest, wenn sie selber sich nicht wohl fühlt, trotzdem anderen Menschen helfen. Sie wird in den Irak fliegen, um dort in einem Flüchtlingscamp Kurdisch zu lernen. Auf die Frage Hüseyins, ob sie wieder zurück nach Wien kommen werde: Sie weiß es nicht. In Wien ist sie unglücklich. Hüseyin versteht sie nicht. Viele wollen von dort hierher kommen, um in Europa zu leben, und diese kurdische Künstlerin möchte in so ein Krisengebiet fahren.

Gute Reise.

Ihr Hüseyin