Ein Übergang aber wohin? Mit wem?Artistin

Holländische Künstlerinnen gründen Markt Akademie Naschmarkt (MAN)

Lucia Babina und Henriette Waal, zwei Künstlerinnen aus den Niederlanden, gründen die Markt Akademie Naschmarkt (MAN). Der polnische Künstler Pawel Althamer, Mitarbeiter der MA48 und KunststudentInnen laden MarktbesucherInnen ein, gemeinsam den Naschmarkt zu reinigen. Und in der Langen Nacht am Naschmarkt läutet das Stimmgewitter Augustin (als Vorgruppe von Ret Marut) lautstark seine Punk-Phase ein. «Im Paradiesgarten» nennt sich Wolfgang Schlags Festwochen-Projekt, das sich mit den Menschen und der Geschichte des Marktes auseinander setzen soll. Im Augustin-Gespräch mit Henriette Wahl geht es auch um die Frage, ob ein Kunstprojekt behilflich sein kann, die Verkrustungen aufzubrechen, die bisher in Wien wirkliche Bürgerbeteligungsprojekte verhindern.   Wie kommt es, dass eine Künstlerin aus den Niederlanden ein derartiges Interesse für den Wiener Naschmarkt entwickelt?

Ich arbeitete an Projekten wie «The Cook, the Farmer, his Wife and their Neighbour» oder «Perfect Day» in typischen Stadtteilzonen des Übergangs vom Alten ins Neue. Jeweils eine bestimmte Stadtteil-Community war Partner dieser Gemeinschaftsgarten-Projekte. Eine weitere Initiative hieß «Essbare Landschaft». Ich wurde eingeladen, in einem alten kommunalen Wasserreinigungssystem an der Grenze von Tilburg zu arbeiten. Ich tat mich mit privaten Bierbrauern zusammen, die ihr Bier in Garagen oder Schuppen produzieren. Mit ihnen entwickelte ich das Modell einer mobilen Brauerei. Die Welt der Amateur-Bierbrauer wurde so gleichzeitig vorgestellt und mit ihrer Umgebung in einen neuen Zusammenhang gebracht. Eigentlich bin ich ausgebildete Raumplanerin. Mich interessieren die Bedeutungen von Plätzen und inwiefern die Menschen auf diese Plätze einwirken können. Meine Kollegin Lucia Babina und ich verbringen immer eine lange Zeit der teilnehmenden Beobachtung auf Plätzen, auf die wir uns einlassen. Der Wiener Naschmarkt faszinierte uns. Er ist einer der typischen Orte des Übergangs.

Erfahrenen Wienerinnen und Wienern fällt es schwer, zu glauben, dass euer Kunstprojekt MAN die Chance bringt, dass die Menschen des Naschmarktes die Zukunft des Marktes aktiv mitgestalten können, wie es in einer Werbung für die «Wiener Festwochen» heißt. Wenn die Stadt das wollte, hätte sie längst ein Partizipationsprojekt gestartet. Alle bisherigen Bürgerbeteiligungsprojekte führten aber nicht zur Teilung der Entscheidungsmacht zwischen Stadtverwaltung und Zivilgesellschaft, sondern waren nur mehr oder weniger raffinierte Verschleierungen bürokratischer Entscheidungsprozesse. Die Modernisierung der Straßenbeleuchtung am Naschmarkt war ja eben ein gutes Beispiel dafür. Ob die hundertjährigen gusseisernen Sockel der alten Straßenbeleuchtung entlang des Naschmarktes bewahrenswert sind, hat man die Menschen nicht gefragt. Man hätte ja die letzten erhaltenen Reste der Stadtmöblierung aus der Zeit des Jugendstil durch originalgetreue Replikate ersetzen können. Gusseisen-Kandelaber werden doch auch in Barcelona, Paris oder Prag als erhaltenswerter Teil des Stadtbildes betrachtet, restauriert und gegebenenfalls rekonstruiert. Die Leute, die diesen Verlust nicht hinnehmen wollten, hatten keine Chance, sich einzubringen. Hast du Hoffnung, dass ausgerechnet euer Kunstprojekt demokratische Planungsprozesse stimuliert?

Lucia und ich erwarten uns, mit Hilfe der MAN die verschiedensten Positionen und Visionen zur Zukunft des Naschmarktes zu sammeln. Wir werden auf unsere Erfahrungen und Methoden der Interaktion mit den Leuten zurückgreifen. Ich glaube nicht, dass StadtplanerInnen die Hilfe der Kunst unbedingt brauchen, um den Naschmarkt der Zukunft zu gestalten. Mit unserer «Akademie» bieten wir der Stadt nur ein Hilfsmittel dazu an. Natürlich würde es uns freuen, wenn unser Projekt reale Veränderungen auslösen könnte. Aber wenn wir es hinkriegen, mit den Menschen des Marktes Ideen zu sammeln und sie öffentlich machen zu können, wäre es schon ein Erfolg.

Kannst du über euer Amsterdamer Community Garden Projekt etwas Erfreuliches berichten? Hat es sich als ein nachhaltiges Projekt herausgestellt?

Das Pilotprojekt «The Cook, the Farmer, his Wife and their Neighbour» intendierte eine Regenaration der Grünflächen in der Amsterdam New West Gardencity. Indem wir dem Stadtteil einen öffentlichen Garten und eine Art Volksküche anboten, schufen wir erst die Community, die diese Angebote aktiv annahm. Es war ein wirkliches Empowerment-Projekt: Die Leute lernten, für ihren Gemeinschaftsgarten zu kämpfen. Das Projekt hat überlebt. Jael, ein leidenschaftlicher Sozialarbeiter, hilft AnrainerInnen auf ihrem Wehg zu einem autonomen Leben. In diesen Tagen haben die BewohnerInnen ihren Garten für die neue Saison vorbereitet. Ein «grünes Haus» wird geplant. StadtplanerInnen aus dem In- und Ausland haben sich für das Modell interssiert. Vergangene Woche war der Stadtrat von Heerlen, im Süden von Holland, zu Gast im Community Garden, um von den AktivistInnen zu lernen. Das Kürzel KKVB (steht für De kok, de kweker, zijn vrouw en hun buurman, deutsch: Der Koch, der Bauer, seine Frau und ihr Nachbar, die Red.) ist inzwischen das Logo eines starken regionalen Netzwerkes für Projekte geworden, die die Visison einer neuen «Gartnstadt» teilen.

Worin besteht der künstlerische Gehalt solcher sozialen Projekte? Was kann die Rolle der Kunst auf dem Feld der sozialen Bewegungen sein? Ist MAN ohne Kunst-Zusammenhang vorstellbar? Ist Community Garden ohne den Kunst-Konnex möglich? Kann man heute Kunst machen, ohne das Soziale im Blick zu haben?

Solche Fragen habe ich mir noch nie gestellt. Die Frage ist: Was ist überhaupt Kunst?Im Fall des KKVB hat die Kunst eine Pionierrolle gespielt, hat die Frage einer Stadtplanung von der Basis her aufgeworfen. Als Teil der Stadtsanierung in New West Amsterdam hat die Stadregierung offene Büroräumlichkeiten für eine ihr unbekannte Bewohnerschaft zur Verfügung gestellt. Wir bieten diesen BewohnerInnen eine Plattform an. Das könnte eine Keimform einer selbst organisierten neuen Gartenstadt sein. Politiker, Unternehmer und Stadtplaner sind gut beraten, wenn sie sich für solche Kunstprojekte interessieren. Denn KünstlerInnen finden zu einem bestimmten Problem einen völlig anderen Zugang als Politik und Verwaltung. Während die Politik immer neue Grenzen generiert, schafft es die Kunst, Grenzen auszudehnen und Horizonte zu erweitern. Mancher Künstler lässt sich von Farben inspirieren. Er arbeitet mit den Farben. Meine Farben sind die Menschen. Sie sind bunter als die Farbenpalette des Malers. Zusammen mit den Menschen baue ich mir meine Welt.

Die Fragen stellte Robert Sommer

Markt Akademie Naschmarkt

MAN-Rezeption: der Info-Point und die Kaffee-Ecke der Akademie. Öffnungszeiten: 29. Mai: 9 bis 24 Uhr, 31. Mai, 1. und 2. Juni: 9 bis 18 Uhr.

MAN-Gespräche: werden von Marktstandbetreibern zu bestimmten Tageszeiten in der Rezeption und in der MAN-Knödel Fakultät abgehalten. Reservierungen werden in der MAN-Rezeption entgegengenommen.

MAN-Knödel Fakultät: ist eine informelle Küche, die mit hochwertigen Obst- und Gemüseresten des Marktes experimentiert und zu MAN-Gespräche einlädt. Nähere Informationen erhalten SIe in der MAN-Rezeption.

MAN-Pamphlet: beabsichtigt eine Debatte anzuregen, indem Statements von Experten, Aktivisten, Politikern, Marktstandbetreibern und Verkäufern eingeholt werden.

MAN-Drechsler: Wie Herr Drechsler – vom gleichnamigen Cafè – es jahrzehntelang gemacht hat, wird den Verkäufern am Vormittag der Kaffee nach ihren jeweiligen Vorlieben an den Stand gebracht.

Im Paradiesgarten. Eine lange Nacht am Naschmarkt

29. Mai – 5. Juni 2010 (außer Sonn- und Feiertag)

AUSSTELLUNG IM ÖFFENTLICHEN RAUM MIT Pawel Althamer (PL) / Lucia Babina (I/NL) / Anna Jermolaewa (RU/A) / Leopold Kessler (D) / Hubert Kostner (I) / Kristina Leko (HR/D) / Heike Nösslböck (A) / Klaus Taschler (A) / Henriette Waal (NL)

ORT Wiener Naschmarkt

SAMSTAG 29. Mai 2010 / ab 19 Uhr

KONZERTE MIT Ret Marut (D), Doctorella (D), Stimmgewitter Augustin (A), Marilies Jagsch (A), Son of the Velvet Rat (A), Ernst Molden & Walther Soyka (A), Fritz Ostermayer (A). Das Stimmgewitter ist auf der Bühne Schleifmühlgasse zu hören. Eintritt frei.

SAMSTAG 29. Mai 2010 / ab 19 Uhr

Hundepicknick am Naschmarkt

Ein großes Picknick für Hunde, bestehend aus einem Berg Hundefutter (Durchmesser 1,50 m) wird organisiert. Für Hunde aller Rassen, Größen, jedes Alters (mit Leine). Es soll ein gemeinsamer Event sein, der die Vielfalt der Wiener Bevölkerung – Mensch und Tier – abbildet. Um einen geordneten Ablauf zu gewährleisten werden erfahrene Hundetrainer anwesend sein. Die Teilnahme ist kostenlos.

Ort: Wiener Naschmarkt/Kettenbrückengasse

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