Ein Vormittag mit dem Großmeistervorstadt

Adam Bisaev hat eine eigene Kampfsport entwickelt, die heute in dutzenden Ländern ausgeübt wird. Latar Do sieht zwar brutal aus, im Vordergrund stehen aber soziales Engagement, Entwicklung des Charakters und Förderung der Gesundheit.
Text: Hannes Gaisberger, Fotos: Carolina Frank

Kennen Sie eine österreichische Sportart? Skifahren? Haben die Norweger_innen erfunden. Eisstockschießen? Auch die Skandinavier_innen. Faustball? Die Römer. Aber Latar Do kommt aus Österreich. «Wenn ich nach Schweden gehe, werde ich dort als Österreicher gesehen, und Latar Do als österreichische Kampfsportart. Wir haben jetzt Vertretungen in 30 Ländern weltweit, in drei davon sind wir schon ein offiziell anerkannter Sport. Jetzt kommt bald Algerien dazu. Jeder Österreicher kann stolz sein auf Latar Do!» Gründer und Großmeister Adam Bisaev kommt gerade aus Schweden, wo er der dortigen Vertretung einen Besuch abgestattet hat. Nun trifft er sich mit dem AUGUSTIN auf einen Kaffee, um das Phänomen Latar Do zu erklären.
Was bewegt jemand dazu, einen Sport zu «erfinden»? Und wie schafft er es, in gerade einmal sechs Jahren Vertretungen in 30 Ländern aufzubauen? «Das hat schon mit meinem Hintergrund zu tun.» Bisaev holt ein wenig aus, erzählt von seinem Werdegang. «Ich habe in der früheren Sowjetunion eine Grundausbildung als Bauingenieur bekommen, neben dem Sport immer gearbeitet. Später in der Verwaltung, wo Kommunikations- und Managementfähigkeiten gefragt sind.» Der Kampfsport habe es ihm schon als Kind angetan. Angefangen hat er mit Judo, wegen dem großen Bruder, aber er war nicht total begeistert davon. Mit 16 Jahren hat er etwas geboxt, bevor er seine wahre Leidenschaft gefunden hat: Karate. «Das hat mich wirklich fasziniert. Ich wurde sowjetischer Meister. Später wechselte ich zu Vollkontakt-Karate, Kyokushin. Da wurde ich als landesweit Zweiter. Kyokushin-Karate ist mein Background.» Er hatte auch schon als Trainer unterrichtet, als er 2003 nach Österreich kam.

Wiener Mischung.

In Österreich hat er sich weitere Sporen in der Karate-Welt verdient. «Nach einem halben Jahr habe ich meinen ersten Kyokushin-Verein gegründet.» Es folgen Ausrichtungen internationaler Turniere in Wien, hochrangige Funktionärsposten und sportliche Graduierungen. «Ende 2009 flog ich nach Japan und habe dort meinen dritten Dan abgelegt. Ich war der einzige Europäer und wurde von den Japanern sehr gut aufgenommen. Mit dem dritten Dan kommt auch der Übergang, man wird vom Kämpfer zum Manager und Entwickler seiner Schüler und seines Klubs.» Die Geschichte der Kampfsportarten ist eine Abfolge von Spaltungen, Neugründungen und Vermischungen der Stilrichtungen. Herr Bisaev fühlte sich eingeladen: «So wie alles in der Welt ist auch Kyokushin-Karate nicht perfekt. Alles muss sich weiterentwickeln. Sehr gut gefallen hat mir die Philosophie, dass es bei einer Kampfkunst weder um Sieg noch Niederlage geht. Zuerst kommt die Formung des eigenen Charakters. Es geht überhaupt nicht darum zu kämpfen. Das ist nur ein Training, ein Mittel dafür.»
In ihm reifte aber auch die Erkenntnis, dass dem Kyokushin etwas fehle: «Es ist Vollkontakt-Karate, aber wir hatten keine Kopfschläge. Mit den Knien und den Beinen schon, ohne Schutzausrüstung, voller Kontakt, aber keine Faustschläge auf den Kopf. Dadurch war das einerseits ein harter Kampf, aber andererseits nicht sehr gefährlich.» Bisaev fand diese Einschränkungen realitätsfremd. «Dazu fehlten auch noch Wurftechniken und Ringen, das gehört zum Alltag, wenn es auf der Straße zu einem Kampf kommt. Ich habe das alles dann in mein Karate-Training involviert.» Man habe von allem nur «die Essenz, das Beste» rausgenommen, von Karate, Judo, Boxen, etwas Jiu-Jitsu und Krav Maga. Yoga und Gymnastik steuern vorbeugende Übungen bei. «Es hat mir immer leidgetan, wenn ich die alten Meister gesehen habe, die mit 60, 65 Jahren mit einem Stock gehen müssen. Da ist doch was falsch. Wenn man das Training richtig macht, muss man auch im Alter fitter sein als die anderen.» Der langjährige Leistungssportler Bisaev spricht aus Erfahrung, auch er hatte gröbere Probleme mit den Gelenken.

Durchschlagender Erfolg.

Bei einem Turnier in Belgien im Jahr 2013 hat er sein Konzept mehreren Kollegen geschildert. Er konnte sich binnen kürzester Zeit die Unterstützung von fünf Ländern sichern, weitere haben sich dazugesellt. «Neben unserem einzigartigen Konzept spielt natürlich auch das Internet eine große Rolle für unsere Verbreitung. Ich konnte nicht viel reisen oder groß einladen. Wir haben Videos online gestellt, und die Leute haben das gesehen und sich bei uns gemeldet. Ich kontaktiere keinen. Die kommen alle von alleine.» Der größte Landesverband ist übrigens in Nepal, vor zwei Jahren war Adam Bisaev bei einer großen Veranstaltung vor Ort. Vom Erfolg seiner Erfindung ist er nicht überrascht. «Ich habe es mir fast besser vorgestellt.»
Dann reden wir noch über das schwierige Verhältnis zu den Mixed Martial Arts. «Das ist nur Show und Business. Da werden die Gewalt und die Instinkte gefördert. Ich finde das schlimm.» Noch dazu nehme man eine schwere Verletzung des Gegners in Kauf, was bei Latar Do weder die Regeln noch die Ausrüstung zulassen. «Wir haben einen Kampfsporthelm, dadurch ist man geschützt. Wir hatten schon sechs, sieben Turniere in Wien, und nie ist auch nur ein Tropfen Blut geflossen.» Für einen Laien sehen die Wettbewerbskämpfe, die nur einen Teil des Sports ausmachen, jedoch schon reichlich hart aus.
Es gibt ein eigenes Training für Mädchen und Frauen, mit weiblicher Übungsleiterin. Das sei für alle, die in einem geschützten Raum trainieren wollen. «Wir haben aber auch ein gemischtes Training, eine reine Männergruppe, es gibt alles.» Herr Bisaev freut sich, wenn die Kinder in problematischem Alter zu ihm kommen. «Wenn die daherspringen, wie ein junger Hase aus dem Wald, der sich nicht auskennt, aber frech und ängstlich ist, alles durcheinander.» Nur wenige kämen als Leistungssportler in Frage, aber alle seien ihm willkommen. «Es gibt keinen Druck, nur positive Spannung. Und gegenseitigen Respekt.» Er begegne den «jungen Hasen» auf Augenhöhe, nur so kann es funktionieren. Er liebt die soziale Komponente seiner Tätigkeit, und: «Ich mag die Menschen.»

Härtetest.

Nach dem Kaffee darf ich Herrn Bisaev noch zu einer besonderen Einheit begleiten. In einer Einrichtung zur Berufs- und Bildungsförderung für Jugendliche gibt er regelmäßig Unterricht. Vor der Tür trifft er eine seiner Lieblingsschüler_innen, die Betreuerin Ingrid. «Sie hat mit 56 noch zwei Gürtel gemacht!» Auch sie hat sich vom Charisma des Großmeisters ansprechen lassen, wohl auch, weil er kein allzu strenger Lehrer ist. Die Zigarette vor dem Training gesteht er ihr zu. «Sie braucht das als Auspuff.» Besser sei natürlich Latar Do, und Frau Ingrid ist dabei geblieben, weil ihr das Training gutgetan hat.
Die Jugendlichen können zwischen mehreren Aktivitäten auswählen. Heute sind es nur eine Handvoll bei Latar Do, viele haben sich spontan für Billard entschieden. Diese Schüler und Schülerinnen wecken nicht nur den Trainer in Herrn Bisaev. Er fragt, wie es läuft, was ihre Ziele sind. Ein Bursche berichtet von seiner Schnupperwoche in einer Spenglerei, ein Mädchen hat noch keinen Hauptschulabschluss. Info-Poster an den Wänden stellen Großkonzerne und Branchen wie Reinigungstechnik als potenzielle Arbeitgeber vor. Adam Bisaev geht auf sie ein, versucht sie zu motivieren. Es ist definitiv eine andere Trainingssituation als in seinem Verein. Aber er unterbricht die Teenies nicht, wenn einmal die Übungen nicht exakt stimmen oder schlampig gezählt wird. Auch sie sind schließlich junge Hasen.