Ein Wissensnotstandtun & lassen

Die Polizei «kann nicht sagen», ob schon «Bettelmafiabosse» bestraft wurden

Wie berichtet, hatte der ranghöchste Bettlerbekämpfer der österreichischen Polizei, der Leiter der Anti-Menschenhandels-Abteilung des Innenministeriums Gerald Tatzgern, in einem Zeitungsinterview die Almosenspender_innen zu verunsichern versucht. Wer einem Bettler, einer Bettlerin Geld gebe, unterstütze die Mafia. Denn: 90 Prozent der Einnahmen durch das Betteln flössen, so Tatzgern, in die Tresore der Mafiabosse.Der Augustin (siehe Ausgabe Nr. 324) wunderte sich, warum Tatzgerns Behauptungen von den Journalist_innen meist ungeprüft übernommen werden. Dabei drängt sich eine distanzierte Hinterfragung geradezu auf. Die Zeitungsredakteur_innen könnten Tatzgern erstens fragen, wie er auf die 90 Prozent kommt, und zweitens, wie viele «Bettelmafiabosse» in Österreich schon verurteilt worden wären. Noch kein einziger, nach dem Wissensstand des Augustin.

Eine Mitarbeiterin der «Wiener Zeitung» wollte es genauer wissen und fragte im Innenministerium nach. Die Antwort der Bundespolizeidirektion Wien: «Bis November 2012 gab es insgesamt 1338 Anzeigen wegen Bettelei, davon vier Anzeigen wegen Bettelei mit Kindern und 28 wegen organisierter Bettelei. Die meisten Anzeigen gab es wegen aufdringlichen (771) und wegen gewerbsmäßigen Bettelns (423).» Und jetzt kommt die Beantwortung der Frage nach den Bossen: »Wie viele Menschen bestraft wurden, die andere zum Betteln zwingen, könne man nicht sagen», so zitierte die «Wiener Zeitung» (am 13. 12. 2012 im Online-Dienst) die Polizeidirektion.

Wie sollte mensch diese Aussagen anders interpretieren als mit der Erkenntnis, dass die «Bekämpfung des Menschenhandels» mehr oder weniger ausschließlich die Form eines Krieges gegen die Opfer der angeblichen Mafia angenommen hat. Wenn Polizei und Innenministerium wissen, wohin die Almosen zu 90 Prozent fließen, warum bleiben die angeblichen Empfänger_innen dieser Einnahmen unsanktioniert?