Eine andere Sportpraxis wäre möglichvorstadt

Augustin Reportagestipendium 2021

Die Athletinnen Liu Jia, Sahar Hashimi und Nicole Ojukwu machen Sport auf Profi-Niveau. Sie stechen damit in Österreich in einem System hervor, das es Frauen immer noch schwer macht. Dieser Text ist als Ergebnis des Augustin-Stipendiums 2021 entstanden.

TEXT: TANIA NAPRAVNIK
FOTOS: ULRICH SPERL

«Seit jeher werden Burschen stärker als Mädchen in den Sport hinein sozialisiert», erklärt der Soziologe Otto Penz. Anders ausgedrückt: Sport wird seit Beginn seiner Entstehung in Ausführung und Organisation vom männlichen Geschlecht dominiert. Ein Blick auf die Gegenwart verdeutlicht dieses Phänomen. 2016 lag der durchschnittliche Frauenanteil in den Entscheidungsgremien der insgesamt 60 österreichischen Sportfachverbände bei 13 Prozent. Darüber hinaus zeigt eine Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 2017, dass in Öster­reich um 16 Prozent weniger Mädchen und Frauen im Alter von 14 bis 39 Jahren Sport betreiben als Burschen bzw. Männer derselben Altersgruppen.
Gabriele Heinisch-Hosek, Bundesministerin a. D. für Bildung und ­Frauen sowie Präsidentin des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC), führt die gegenwärtige Männerdomäne Sport auf die Tatsache zurück, dass Arbeit immer noch ungleich bezahlt wird. Auf einer Konferenz im Vorjahr der Arbeiterkammer Wien und des VIDC mit dem Titel Ein Hindernislauf – Inklusion und Teilhabe migrantischer Frauen & Mädchen im Sport ­erklärte sie, dass die unbezahlte Sorgearbeit von ­Frauen im Bereich der Freizeit und in der ehrenamtlichen Arbeit in Vereinen und Verbänden sichtbar sei. Dies ­lasse sich an folgenden Fragen aufzeigen: Wer hat welche Zeit für was? Wer engagiert sich freiwillig beim Fußballverein? ­Frauen hätten aufgrund ihrer häuslichen Verpflichtungen weniger zeitliche Ressourcen als Männer für Sport bzw. Vereinsmitgliedschaften. Insofern spiegele sich die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in der Freizeitorientierung bzw. in den Vereinsaktivitäten ­wider. Die zeitgenössischen Vereins­praxen und ­deren Organisationsstruktur orientieren sich oft am Alltag der Männer und an geschlechtsspezifischen Zuschreibungen: Kompetitives Training findet an entlegenen Orten am Abend statt. Der Politikwissenschaftler und Mitherausgeber des Fußballmagazins ballesterer Georg Spitaler bestätigt, dass «die Organisation der Care-Arbeit eine zentrale Herausforderung in Bezug auf die Sportpraxis in Öster­reich ist. Im klassischen Fall bringen die Mütter die Kinder zum Sport, anstatt selbst Sport zu betreiben.»
Ist Sport männlich? Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit ­Frauen nicht länger (indirekt) ausgeschlossen bleiben? Otto Penz konstatiert: «Wir müssen verstärkt darüber nachdenken, ­welche Art von Sportpraxen gefördert gehören und wie das männliche Sportfeld aufgebrochen werden kann. Wenn Sport jedem:r dabei hilft, ein gesundes und glückliches Leben zu führen, dann kann von Nachhaltigkeit die Rede sein.» Aber was sagen Sportlerinnen dazu?

Linz.

Wir treffen Ex-Tischtennisprofi Liu Jia an ihrem aktuellen Arbeitsort bei ­einem Familienunternehmen der Nahrungsmittelindustrie, ihr Zuständigkeitsbereich ist der ­chinesische Markt. Im Unternehmen gefalle es ihr recht gut, nur coronabedingt sei am Standort weniger los als vor Ausbruch der Pandemie. Wir ziehen weiter zu ihr nach Hause, wo sie mit ­ihrem Mann, ihrer Tochter und einer ­Katze lebt. Hell, gemütlich und modern ist es bei ihr daheim. Ganz anders als bei unserem nächsten Stopp im Olympiazentrum in Linz unweit von ihrer Wohnung entfernt. Die Tischtennishalle wirkt schroff und dunkel, kein einziges Fenster gibt es hier. Lichtblicke stellen lediglich die erfolgreichen Tischtennisspielerinnen dar, die auf großflächigen Plakaten abgebildet sind. «In Asien ist Tischtennis ganz anders aufgezogen. Schon in der Schule trainieren Kinder bis zu drei Mal am Tag. Daher spielen sie auf ganz einem anderen Niveau als in Europa», referiert Liu Jia. Nach einem kurzen Trainingsmatch treffen wir uns noch mit dem ehemaligen Präsidenten des Österreichischen Tischtennisverbands (ÖTTV) Hans Friedinger. Dieser berichtet paternalistisch über die Erfolge seiner «Susi», der österreichische Spitzname von Liu Jia. Zum Abschluss des Gesprächs erläutert Friedinger stolz die Zukunftspläne für die Sportförderung in Oberösterreich – eine neue Tischtennishalle soll es bald geben. Wo diese hingebaut werden soll bzw. wer davon profitiert, erfahren wir nicht.

Alterlaa.

Die Kickboxerin Sahar ­Hashimi treffen wir bei ihr zu Hause im 23. Wiener Gemeindebezirk. Sie wohnt mit ­ihrer Familie in einem Gemeindebau am Stadtrand. Kaum ist die ­Türschwelle der Wohnung überschritten, fühlt man sich in eine andere Welt versetzt. Knallige Farben bedecken Wände und ­Decken, Hundestatuen aus Glas begrüßen eine:n, sowie zahlreiche lachende Gesichter auf engstem Raum. Sahar Hashimi hat sechs Geschwister, das jüngste Geschwisterkind ist erst vor Kurzem auf die Welt gekommen. Die Mutter kümmert sich um das Baby. Der stolze Vater sitzt gelassen abseits des Geschehens und folgt interessiert dem Treiben. Ohne ihn hätte sie wohl nie mit Kickboxen angefangen. Doch nicht nur er war wichtig für ihre Motivation, Sport zu betreiben, sondern auch ihr Coach und Familienfreund ­Majid Sobhani. «Er hat mich immer unterstützt, vor allem wenn ich am Ende meiner Kräfte war», beschreibt Sahar Hashimi ihren Trainer.

Kaisermühlen.

Das Fußballtalent ­Nicole Ojukwu treffen wir an einem schönen Frühlingstag beim Trainingsplatz des SV Donau. Sie kommt in Begleitung einer neuen Pressesprecherin. Ojukwu ist hier im 22. Bezirk aufgewachsen, sie wohnt gleich ums Eck. Allerdings ist ihr derzeitiger Lebensmittelpunkt in St. Pölten, sie kommt nur mehr am Wochenende nach Hause. Oft hat sie ein Trainingsprogramm der ÖFB Frauenakademie im Gepäck mit dabei (inzwischen spielt Nicole Ojukwu für den First Vienna FC 1894, Anm.). Georg Spitaler spricht die Vielschichtigkeit der sozialen Kategorien an: «Wenn es kein Problembewusstsein über die unsichtbaren Ausschlussmechanismen wie etwa Rassismus oder Sexismus bei den Sportfunktionär:innen gibt, dann wird sich in Bezug auf (nachhaltige) Frauenförderung nicht viel ändern.»
Nicole Ojukwu spielt, falls sie mal weniger zu tun hat, gerne im Käfig gegen Erwachsene aus der Gegend. Dort trainiert sie, seitdem sie klein ist, die Gegner:innen sind seit jeher dieselben geblieben. «Meine Lieblingsgegnerinnen sind allerdings die großen und starken. Von ihnen kann ich am meisten lernen», erklärt sie.

Von China nach Österreich.

Liu Jia wurde auf einem Tischtennis-Sommercamp in Peking von Liu Yan Jun, späterer ÖTTV-Bundestrainer entdeckt. Eine Delegation des österreichischen Tischtennisverbands reiste in den 1990er-Jahren öfter nach China zum sportlichen Austausch und auf der Suche nach Talenten – um diese nach Österreich zu holen. Liu Jia wurde ausgewählt. In China hätte sie mit Sport aufgehört, sie wollte keinen Befehlen mehr gehorchen. In Österreich angekommen, sie war 15 Jahre alt, hatte sie oft Angst – selbst die Straßenbahn erschien ihr eigentümlich. Liu Jia wohnte bei ­ihrem Vereinschef, mit dem sie Deutsch beim Fernsehen lernte. Kontakt mit ihren Eltern hielt sie via Telefon­zelle. «Das kann man sich heute gar nicht vorstellen, wie das damals alles lief. Ich war einfach froh, dem Sportsystem in ­China entfliehen zu können. Ich habe mich dort auf dem Internat nicht wohlgefühlt», konstatiert sie.
Sie erhielt binnen eines Jahres nach ihrer Ankunft in der neuen Heimat die österreichische Staatsbürger:innenschaft. «Durch die Einbürgerung erhalten viele Sportler:innen die Möglichkeit eines ‹besseren Lebens› bzw. einer Karriere. Das ist schon seit den 1960er-Jahren ­gängige ­Praxis im Fußball», erklärt Georg ­Spitaler und fügt hinzu, «diese Verfahren ­betrachte ich nicht per se als ­problematisch. Sondern eher, dass die Einbürgerung bei anderen Menschen sehr lange dauert.»

Erfolge feiern.

Sahar Hashimi kam mit ihrer Familie aus Afghanistan zunächst in Griechenland an. Auf Rat ihres Vaters begann sie dort Gymnastik zu machen, um sich von den Strapazen der Flucht abzulenken. Doch schon bald ­bemerkte die Familie, dass das nicht das richtige Land für sie war. Die Hashimis zogen weiter nach Österreich, zuerst der Vater, dann der Rest der Familie. «2015/16 haben sich mit der Ankunft zahlreicher Flüchtlinge in Österreich viele Sportvereine für ‹Neue› geöffnet bzw. sind ­viele Vereine neu gegründet worden, wie z. B. Kicken ohne Grenzen», erklärt Georg Spitaler. Angekommen in Wien ­entdeckte Sahar ihre richtige Leidenschaft. «Mit Kick­boxen hat alles angefangen. Im Sport konnte ich meine ganze Wut rauslassen und allen zeigen, dass ich es draufhabe. In Afghanistan haben Frauen nichts zu ­sagen und werden nicht ernst genommen. Sie machen keinen Sport und hören immer nur auf die Männer. Das war nicht meine Zukunftsvision. Ich wollte ­Erfolge feiern als Sportlerin.»
Nicole Ojukwu, 2005 in Österreich geboren, kam über ihren älteren Bruder zum Fußball, weil dieser oft grinsend vom Training heimkam. Da sei sie neugierig geworden. Begonnen hat sie mit zarten fünf Jahren beim SV Donau. Sie möchte später einmal im Ausland spielen und Stammspielerin im A-Nationalteam werden. Die junge Fußballerin hat zahlreiche ausländische Vorbilder, ­unter anderem Sakina Karchaoui, die bei ­Paris Saint-Germain FC spielt. «Sie ist einfach schneller als alle anderen und sticht ­immer heraus», erklärt Ojukwu.
Sahar Hashimi ist mehrfache österreichische Staatsmeisterin in Kick­boxen. Für sie kam Teamsport nie in Frage. Nachdem sie mehrmals den Verein gewechselt hatte, wurde sie bei T. Fighting Gym erfolgreich, dessen Vereinsmotto «train hard – fight fair» lautet. In ihrer Paradedisziplin sind neben Lowkicks auch Kniestöße zum Kopf und Körper der Gegnerinnen erlaubt. Abseits ihrer eigenen Erfolge ist es ihr auch wichtig, ihr sportliches Wissen und ihr Selbstbewusstsein weiterzuvermitteln, vor allem an andere Afghaninnen, für die sie Workshops hält. «Viele haben zu mir gesagt: Du kannst das nicht, du bist ein Mädchen. Oder: Hör auf dich zu verletzen!» Gegenwärtig müsse sie sich auf die Schule und ihren Job als Bürokraft in einer Fahrschule konzentrieren, zum Trainieren fehle ihr daher die Zeit. Aber bald möchte sie wieder beginnen, denn es gebe für sie noch ein paar Medaillen zu holen. Derzeit mache sie nur ein bisschen Fitness, aber das sei auch o. k., nach dem vielen harten Training tue ihrem Körper Ruhe gut. Außerdem sei sie mittlerweile weniger wütend als während und kurz nach der Flucht, meint die Kampfsportlerin.

Dabeisein ist alles.

Liu Jia war insgesamt schon sechs Mal bei Olympia. Sie erinnert sich an jedes einzige Mal zurück, als wäre es gestern gewesen. Vor allem an jenes Olympia in Rio de Janeiro 2016, wo sie die österreichische Fahne trug. Damit ging ihr ein Traum in Erfüllung, doch leider habe sie eine Olympia-Allergie – zur Medaille hat es nie gereicht –, Europa­meisterschaften liegen ihr mehr, 2005 holte sie sich diesen Titel. Das Tischtennis-Ass fügt grinsend hinzu: «Ich habe während meiner Karriere viele ­Angebote aus dem Ausland bekommen. Aber hier hat es mir immer gut gefallen, ich ­wollte nie weg. Wahrscheinlich bin ich zu gemütlich, zu österreichisch sozusagen. Hier habe ich gute Kontakte im Verband und mit der Presse. Wer weiß, ob ich dieses Netzwerk woanders aufbauen hätte können.» Trotz ihres Netzwerks fehlen die Zuschauer:innen bei den Wettkämpfen. Es ist schon erstaunlich, dass die Hallen bei europäischen Frauentischtennisbewerben leer sind. Bei den Männerbewerben ist das Publikum vor Ort und Stelle», meint Liu Jia.

Gleichstellung.

«Frauen waren die längste Zeit von sportlichen Aktivitäten ausgeschlossen. Sie werden zunehmend in diese männliche Domäne miteinbezogen, ohne das Grundsystem in Fragen zu stellen. Daher müssen Mädchen und Frauen extra gefördert werden», sagt Otto Penz. Zudem zeigt eine Studie des österreichischen Sportministeriums aus dem Jahr 2016, dass unter Mädchen und Frauen kaum eine Nachfrage nach wettkampf- bzw. leistungsorientierten Bewegungsformen besteht. Von dieser Zielgruppe werden oft Angebote nachgefragt, die exklusiv für Frauen offenstehen. Weiters wünschen sich viele Mütter Vormittagsstunden zur Sportausübung, während ihre Kinder woanders betreut werden. Allerdings nützen viele Vereine Sportstätten von Schulen, die ihnen tagsüber nicht zur Verfügung gestellt werden. Auch werden Trainingsstätten in aller Regel am Stadtrand errichtet, was lange Anfahrtswege nach sich zieht.
Um mehr Frauen in den Sport zu holen, müssten genderspezifische Angebote gesetzt werden. So will der Allgemeine Sportverband Österreichs (ASVÖ), der zu den drei Sportdachverbänden des Landes gehört, seine Mitgliedsvereine bezüglich Frauenförderung sensibilisieren, unterstützen und den Anteil an Funktionärinnen stark erhöhen. Er verfolgt dafür zwei Ansätze: Erstens soll in jedem Landesverband ein:e Ansprechpartner:in bzw. Multiplikator:in im Bereich Gender Equality vorhanden sein. Manuela Fally, Leiterin des Breiten- und Gesundheitssport beim ASVÖ Steiermark, erklärt: «Wir versuchen im Verband als Vorbild voranzugehen – durch interne Sensibili­sierungsmaßnahmen konnte der Anteil an Frauen in Leitungsgremien auf Bundes- wie auf Länderebene in den letzten Jahren bereits erhöht werden. So war beispielsweise von 18 Personen im Präsidium auf Bundesebene im Jahr 2020 nur eine einzige weiblich, mittlerweile sind es immerhin 4.» Zweitens gelang es für 2021/2022 das neue Projekt ASVÖ – aktiv.feminin.vernetzt. ins Leben zu rufen. Im Zuge dessen sollen diverse Gremienarbeiten in Vereinen insbesondere Frauen «schmackhaft» gemacht werden. Ob diese Maßnahme Früchte trägt, wird sich erst nach einer längeren Laufzeit zeigen.

Erfahrungen und Träume.

«Beim Kick­boxen ist es wichtig, dass du keine Angst vor der direkten Konfrontation hast. Ich habe oft schrecklich ausgesehen nach ­einem Training bzw. Wettkampf. Aber es war immer egal. Es war mir auch immer egal, was andere über mich denken», erzählt Sahar Hashimi. Trainiert habe sie meistens mit gleichaltrigen Jungs, sogar mit ihrem Bruder. Der Gender-Mix habe sie nie gestört, sagt sie.
Auch Nicole Ojukwu hat in ihrer frühen Kindheit immer mit Jungs trainiert. Als sie elf Jahre alt war, sei das Training seriöser geworden, sie begann mit Mädchen zu trainieren. «Es war eine Umstellung. Frauen ticken schon anders als Männer – sie halten mehr zusammen», erklärt sie. Im Fußball sei es prinzipiell eine große Herausforderung als Team zusammenzuwachsen. Daher sei sie froh, dass eine Psychologin für das Teambuilding zuständig ist und regelmäßig Gespräche als auch Übungen mit der Gruppe durchführt. Liu Jia meint lachend: «Nur für Fußball und Ski gibt es Geld in Österreich. Beim Tischtennis steht uns nicht mal ein Masseur zur Verfügung. Wir müssen uns um fast alles selbst kümmern.»
Sahar Hashimi spricht vier Sprachen und will nach der Matura studieren, vielleicht irgendetwas mit Marketing. Die Kickboxerin glaubt nicht daran, dass sie einmal vom Sport leben wird können. Sport bleibe aber immer wichtig für sie, er habe sie sehr geprägt. Für Ojukwu dreht sich alles um Fußball. Sie will Karriere machen und für dieses Ziel werde sie sehr viel tun, um es zu erreichen.
Liu Jia kümmert sich mittlerweile viel um sportorganisatorische Angelegenheiten. Sie sicherte sich heuer zum 22. Mal den Frauen-Tischtennis-Meisterinnen­titel und beendete damit ihre aktive Kar­riere, bleibt aber dem Tischtennissport verbunden: Sie leitet das neue ÖTTV-Girls Winning Project und debütierte als Trainerin, obwohl das ein undankbarer Job sei. «Du verdienst kaum etwas, bekommst wenig Anerkennung und bist die ganze Zeit unterwegs», erklärt die Ex-Topspielerin. Allerdings, meint Georg Spitaler, der sich intensiv mit Fragen des Politischen im Sport beschäftigt, sei die Idee, Frauen nach Beendigung ihrer aktiven Karriere durch Jobangebote an die Vereine zu binden, progressiv.

Die Zukunft des Sports.

In einer Sportkultur, die sich gesellschaftlicher Ungleichheiten nicht bewusst ist, bleiben traditionelle Rollenzuschreibungen bzw. patriarchale Ordnungsmuster bestehen. «Geschlechterdifferenzen stehen immer im Zusammenhang mit anderen sozialen Kategorien, wie etwa Klasse. Daher spielen Bildungsinstitutionen eine wichtige Rolle, um genderspezifische Sozialisationsmuster – Mädchen gehen tanzen, Burschen spielen Fußball – aufzuweichen. In Kindergärten und (Vor-)Schulen oder aber auch auf öffentlichen Sportplätzen können junge Menschen sportliche Aktivitäten kennenlernen, die nicht dem ­engen fami­liären Umfeld entsprechen», erläutert Soziologe Penz. «Mädchen sollten im Speziellen schon im frühen Alter erfahren, wie Sport dem Körper guttut und Spaß macht.» Systemimmanente Unterscheidungsmerkmale wer, wie zu welchem Sport kommt, sind strukturell entscheidend, aber engagierte Coaches und Betreuungsteams können diesen Tendenzen entgegentreten. «Bei der Schulsportförderung ist nur aufzupassen, dass es nicht zu einem Mittelstandsphänomen wird. Es muss darauf geachtet werden, dass man auch jene Kinder erwischt, die nicht im Bildungsbürger:innentum verortbar sind», wendet Georg Spitaler ein. Darüber hinaus tragen Role Models zur Dekonstruktion von Geschlechter­stereotypen im Sport bei und dienen dazu, dass Frauen und Mädchen Angst vor bestimmten Sportarten verlieren.
In Hinblick auf Geschlechtergleichstellung bezweifelt Georg Spitaler allerdings die Trickle-down-Effekte durch die Vorbildwirkungen einzelner Sportler­innen. Viel wichtiger seien Grassroots-Organisationen und deren inklusive Ansätze – wie etwa Kicken ohne Grenzen, resümiert der Politikwissenschafter. Zudem sei zu hoher Druck auf Athletinnen, wie im Spitzensport üblich, nicht der beste Weg, um den Nachwuchs zu fördern, konstatiert Liu Jia. «Topsportlerin» müsse ihre Tochter nicht werden. Auch Otto Penz hält wenig vom Spitzensport, dieser zerstöre Körper und Umwelt: «Wollen wir einen durchkapitalisierten ‹Zuschauer:innen-Sport› mit all seinen negativen Erscheinungen – angefangen bei Korruption über Doping bis hin zur Errichtung von Spielstätten unter menschenrechtswidrigen Bedingungen, die nie wieder verwendet werden – fördern? Das hat mit Nachhaltigkeit nichts zu tun.»

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