Es gäbe seriösere und nachhaltigere Maßnahmen gegen die städtische Überhitzung als Sprühnebelduschen: etwa das Freilegen von unterirdischen Bächen. Auf Lokalaugenschein mit Forscher:innen des Projekts «ProBACH».
Text: Christof Mackinger
Foto: Bettina Fleischanderl
«Die Einfassung ist gleich hinterm Haus», erklärt ein freundlicher Anwohner und deutet in Richtung Dickicht. Noch bevor der Mann den Weg weisen kann, mischt sich eine Bewohnerin vom Fenster im vierten Stock ein: «Als Kinder haben wir den Ottakringer Bach noch aufgestaut. Jetzt hat der aber nur mehr Wasser, wenn es viel regnet. Wegen dem Klimawandel.»
Noch aber gibt es sie, die Bäche mit konstantem Wasserstrom, die in die Stadt fließen. Vom Stadtrand Wiens werden gleich mehrere Wienerwald-Bäche übers Kanalsystem ins Zentrum geleitet. Ein Team aus Wissenschafter:innen untersucht jetzt, wie der eine oder andere von ihnen wieder an die Oberfläche geholt werden könnte. Sie wollen damit Grätzloasen am Wasser schaffen – gegen die städtische Überhitzung und soziale Isolation.
Mit dem Ottakringer Bach wird das vorerst aber wohl wirklich nichts, da hatte die Frau aus dem vierten Stock schon recht. Nur mehr ein Rinnsal plätschert nahe der Liebhartstalstraße, weit draußen im 16. Bezirk, leise vor sich hin. Die betonierte Einfassung aber lässt erahnen, wo bei Starkregen ein Bach rauscht und wo er aufhört zu rauschen – um exakt dort nämlich in der Kanalisation zu verschwinden. Der Bach, der einst noch entlang der Thaliastraße bis in den ersten Bezirk hinunter floss, wurde ab dem 13. Jahrhundert mehrmals umgeleitet, um dann ab 1837 unterirdisch geführt zu werden. Grund war eine Cholera-Epidemie. Die offenen Kanalsysteme stellten für die Bewohner:innen Wiens eine gesundheitliche Gefahr dar.
Warum es fürs Stadtklima aber eine gute Idee sein könnte, diesen Errungenschaften des modernen Hygieneregimes ein Upgrade zu verpassen, erklären die Stadtklimatologin Magdalena Holzer und der Architekt Philipp Stern. Sie haben sich am Platzl vor dem Kindergarten Altottakring unter einer großen Rosskastanie niedergelassen. Die ungewöhnlich hohen Temperaturen an diesem Mai-Nachmittag treiben viele in den Schatten der Bäume in dieser weitgehend zubetonierten Ecke der Stadt. Für ihr Projekt ProBACH erforschen Holzer und Stern mit zahlreichen Projektpartner:innen mögliche Klimawandel-Anpassungsmaßnahmen in Wien. Die Basis dafür liefern Erkenntnisse aus der Stadtklimatologie.
Wiener Stadtklima.
«Das Klima im urbanen Umfeld unterscheidet sich aufgrund der unterschiedlichen Oberflächen und Bebauung deutlich vom Klima des Umlandes», erklärt Magdalena Holzer. «Welche Oberflächen, etwa ob versiegelt oder unversiegelt», fügt Philipp Stern hin. Ein Zusammenspiel aus den physikalischen Eigenschaften der verbauten Materialien beeinflusst die Temperaturen, die gebauten Strukturen die Windgeschwindigkeiten in der Stadt. Dabei sind gerade Frischluftschneisen für das Wiener Stadtklima ein zentraler Faktor. «Im Bereich des Wienerwaldes entsteht Kaltluft und fließt nachts der Topographie folgend in Richtung Stadtzentrum», weiß Holzer. Das ist gut, aber keine Entwarnung: Stehen wir global bei einer Erwärmung von über einem Grad im Durchschnitt, ist es in Österreich bereits um zwei Grad wärmer. «Die Anzahl an Hitzetagen und Tropennächten nimmt in Wien statistisch gesehen extrem zu», fasst Holzer den mitgebrachten Ausdruck einer Studie mit allerlei Balken und Grafiken zusammen. «Eine Verdoppelung innerhalb von nur 30 Jahren.» Und gerade in Bezirken mit den meisten vulnerablen Bewohner:innen – Ältere, weniger Mobile, Armutsbetroffene – sei der Hitzedruck oft am größten. Was getan werden kann, um die städtische Klimaerwärmung abzufedern, damit beschäftigen sich Holzer, Stern und ihre Kolleg:innen bei ProBACH.
ProBACH.
Während der Ottakringer Bach am Stadtrand vor sich hintröpfelt, erhoffen sich Magdalena Holzer und Philipp Stern von anderen Bächen ein größeres Potenzial, um die Erhitzung in der Stadt einzudämmen. Für ihr Forschungsprojekt untersuchen sie in Kooperation mit der Universität für Bodenkultur Wien, wie viel Wasser die jeweiligen Bäche führen und wo sie heute verlaufen. «Dann schauen wir uns an, an welchen Orten es aus stadtklimatologischer Perspektive Sinn machen würde, diese an der Oberfläche zu nutzen, weil dort neuralgische Bereiche sind, die Ausgleichsmaßnahmen bräuchten», erklärt Magdalena Holzer. Maßnahmen wie Wasser, Verdunstung, sattes Grün und Schatten – Abkühlung also.
Gleich aufgerissen wird der Straßenbeton vorerst aber nicht. Derweil soll als «temporäre Installation» nur ein Abschnitt gestaltet werden – «so eine Art Wiener Schanibach», wie es Holzer nennt, wo Wasser durch eine begrünte, konsumfreie Erholungszone fließen kann. Eine Teststrecke, die wissenschaftlich begleitet wird und zum Verweilen einlädt. «Natürlich messen wir dort den klimatologischen Effekt, die Temperaturen», erklärt Philipp Stern. «Uns interessiert aber auch der soziale Aspekt. Nehmen die Menschen so etwas an? Kommt es zu Vandalismus?» « … Oder: Wie hoch ist der Wartungsaufwand?» ergänzt seine Kollegin. Das so erlangte Wissen soll auf lange Sicht jedenfalls für eine dauerhafte Umsetzung dienen.
Wer also schon bald das Wasser durch den 16. Bezirk rauschen hören will, wo heute noch die Blechlawine dröhnt, braucht nicht nur viel Optimismus, sondern mindestens genauso viel Geduld.
Befragung.
Zwei Bänke weiter am Ottakringer Platzl befragt indessen ein Student eine ältere Frau, die in der Gegend wohnt: «Wo würden Sie am liebsten hingehen, wenn es heiß ist in der Stadt?» Sein weißes T-Shirt trägt das Logo der BOKU. In Kooperation mit ProBACH führen Studierende eine Anwohner:innen-Befragung durch. Als mögliche Antwort stehen ein klimatisierter Innenraum, ein Wäldchen im Grätzl, ein Platz im Schatten unter Bäumen oder eine Wasserfläche in der Nähe zur Auswahl. Vor der Befragten steht ein Tablett mit vier beschrifteten Gurkengläsern. Zur Abstimmung stehen getrocknete Bohnen zur Verfügung. Die meisten von ihnen sammeln sich im Glas mit der Gewässer-Option. Bei der Befragung gehe es auch darum herauszufinden, was es braucht, dass Menschen Erholungszonen in der Stadt auch annehmen, sagt Holzer.
Bach mit Potenzial.
Die Forscher:innen brauchen dafür in erster Linie mal Wasser. Der Ottakringer Bach taugt für die bewässerte Erholungszone also nicht. Vielversprechender wäre da schon der Alsbach, der habe am meisten «hydrologisches Potenzial», wie es Philipp Stern nennt. Aktuell verschwindet der Bach in Neuwaldegg im sogenannten Mischwasserkanal, wo er mit Abwasser verunreinigt wird, um später in der Kläranlage wieder gesäubert zu werden. «Den könnte man im Rohr sauber bis zur Alszeile bringen, um dort dann eine oberflächliche Fließstrecke zu schaffen», imaginiert Stern im Schatten der Rosskastanie. Am Ottakringer Platzl weht mittlerweile eine leichte Brise und trägt der Klimaforscherin just ihre Zettel mit Statistiken davon.
Ein Vorbild von ProBACH sei Zürich, erzählt Magdalena Holzer und sortiert ihre Papiere. Dort lässt man schon seit den 1970er-Jahren Bäche an der Oberfläche fließen. Dass in Wien aber alles Gute etwas länger dauert, ist man schon gewohnt. Und noch finden ja auch viele ihre Wege, damit umzugehen. Zwei Bänke weiter etwa, da verabschiedet sich die Anwohnerin aus der Befragung und kündigt voller Vorfreude ihre persönliche Klimawandel-Anpassungs-Sofortmaßnahme an: «Ich geh’ jetzt in den Eissalon ein Eis schlecken.»