«Eine Chance»vorstadt

Lokalmatador Nr. 361:

Josef Cser hat im Gemeindebau ebenso wie im Boxring vor allem eines im Auge – die Fairness. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)

In die Goschn hauen! Selbstverständlich kennt er diesen uralten Wiener Kraftausdruck. Immerhin ist er in Praternähe aufgewachsen, immerhin hat er jahrelang fünf Mal pro Woche in einem Boxclub trainiert. Er haut nur selbst niemanden in die Goschn. Und es muss schon allerhand vorgefallen sein, dass ihm überhaupt ein Kraftausdruck auskommt.

Training beim Boxclub Wien in einem der Zwischenräume des Happelstadions. Es riecht nach ehrlichem Schweiß und viel benutzten Boxhandschuhen. Josef Cser agiert hier als ehrenamtlicher Präsident. Er trägt das nicht vor sich her, aber er ist auch ein international anerkannter Ringrichter.

Doch noch immer muss er hinnehmen, «dass wir Boxer dumme, dumpfe Hinhauer sind». Er hält entgegen: «Ja, es stimmt, wir hauen uns im Ring in die Goschn, aber wir würden nie dem Gegenüber absichtlich auf die Zehen steigen. Fairness ist in unserem Sport oberstes Gebot.»

Gegen das Klischee ringt der 52-jährige Wiener auch im Gemeindebau. Josef Cser ist Mitbegründer und Leiter der «wohnpartner». Seine Leute, mehr als 150 heute, bemühen sich seit Jänner 2010 um ein gutes Klima in den 2000 städtischen Wohnhausanlagen mit 500.000 Bewohner_innen.

Krawallmedien und Krawallpolitiker_innen haben das Image des sozialen Wohnbaus in Wien, der von Fachleuten der Stadtforschung, Architektur und Kommunalpolitik weltweit als vorbildlich bewertet wird, ordentlich ramponiert. Dazu kommt, dass vor jedem Wahlkampf ein Kampf um den Gemeindebau ausgerufen wird.

Der oberste Wohnpartner kennt die Folgewirkungen: «Wenn ich erzähle, wo ich arbeite, sagen neun von zehn Leuten: Na bumm, da hast’ sicherlich viel Arbeit.»

Interessanterweise kennen sich beim Boxen ebenso wie beim Thema Gemeindebau alle aus. Und am besten kennen sich jene aus, die selbst noch nie einen Boxring oder einen Gemeindebau von innen gesehen haben.

Doch die Defensive ist dem Boxfan Cser gar nicht unangenehm. In die Ecke gedrängt, läuft er gerne zur Höchstform auf. So hat er, der weder ein brillianter Hauptschüler noch ein leidenschaftlicher Tischlerlehrling war, alle in seiner Familie auf dem falschen Fuß erwischt, als er im zweiten Bildungsweg, parallel zu seiner Arbeit das Jusstudium erfolgreich abschloss. Heute lächelt der spätberufene Magister: «Ich habe zuvor niemandem außer meiner Mutter von meinen Anstrengungen erzählt.»

Der Knackpunkt in seinem Leben war ein Vorstellungsgespräch in der Mietervereinigung: «Die haben damals Leute gesucht. Ich war schon Ende zwanzig und hatte auch keine Ahnung vom Mietrecht. Dennoch habe ich eine Chance bekommen. Und war erstmals in meinem Leben Feuer und Flamme.» Aus gutem Grund: «Ich konnte Menschen in einer akuten Notsituation unmittelbar helfen und bekam für meine Arbeit sofort eine Rückmeldung.»

Sein soziales Engagement blieb im Rathaus nicht unentdeckt: Erst durfte er die Arbeit der Gebietsbetreuungen koordinieren, später erhielt er die Chance, innerhalb der städtischen Verwaltung ein neues kommunales Nachbarschafts-Netzwerk aufzubauen.

«Das war nicht Malen nach Zahlen», sagt Josef Cser. «Es gab keine Vorbilder. Doch es war von Anfang an schnell klar, dass wir mehr auf die Sorgen der Menschen eingehen müssen.» So entstanden aus konkreten Beschwerden von Mieter_innen konkrete Projekte: Als sich ein Mieterbeirat in Favoriten beschwerte, dass die «Neuösterreicher» nicht grüßen können, wurde er postwendend zum ersten Sonderbotschafter im Gemeindebau ernannt und mit ihm die Aufklärungsaktion «Willkommen Nachbar» gestartet.

Als im Hof eines Gemeindebaus in der Donaustadtstraße ein Kulturkampf auszubrechen drohte, in der einen Ecke ältere Damen und Herrschaften, die nach Ruhe verlangten, in der anderen Ecke Kinder mit Migrationshintergrund, wurde mit allen Beteiligten eine Hof-Charta erstellt. Nicht zu überhörendes Unbehagen stand auch am Beginn eines Schachturniers für Gemeindebaumieter_innen, das inzwischen wienweit ausgetragen wird. Ebenso führten Misstöne zur Gründung des 1. Wiener Gemeindebauchors. Eine weitere Spezialität sind die Bewohner_innenzentren, in denen die Bewohner_innen selbst entscheiden, wie sie die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten nützen möchten.

Klar gibt es unter den 500.000 im Gemeindebau weiterhin Wickel. Josef Cser streitet das gar nicht ab, er wehrt sich aber gegen die Behauptung, dass im Gemeindebau Mord und Totschlag Tür an Tür wohnen. Seine Analyse basiert auf Erfahrung: «Jeder Konflikt ist ein Ersuchen um Veränderung, auch ein Schrei nach Aufmerksamkeit.» Wichtig ist ihm der Hinweis, dass die «wohnpartner» selten als Streitschlichter auftreten müssen: «Die Konfliktzahlen sind markant zurückgegangen: Von 5000 im Jahr 2010 auf 3500 im Vorjahr.»

Heute noch dankt der Ringrichter seinen Boxtrainern, die ihm das faire Miteinander nähergebracht haben: Sei fair zu deinen Mannschaftskollegen! Respektiere auch deinen Gegner im Boxring! Heute gibt der Sportsman seinen eigenen Leuten, den Mieter_innen und den Boxer_innen bei Turnieren von Anfang an zu verstehen: «Man kann hart in der Sache verhandeln, aber man muss dabei immer den Mitmenschen in seinem Gegenüber sehen.»