Eine Frage der Lagetun & lassen

Immo Aktuell

In der Oberen Augartenstraße Nummer 4 mussten denkmalgeschützte Hof­stallungen einem geplanten Neubau weichen. Die Begründung: städtebauliche Nachverdichtung und sozialer Wohnbau. Gleichzeitig wird in der direkten Nachbarschaft auf großem Fuß im Hochpreissegment neu gebaut.

Text: Christian Bunke
Illustration: Much

Es war einmal ein Überschwemmungs­requisitendepot, Baujahr 1864, im Besitz der Stadt Wien. Das zweigeschossige Haus befand sich im Hof eines Altbaukomplexes nahe dem Gaußplatz, im Dreieck zwischen der Oberen Augartenstraße, der Scholzgasse und der Oberen Donaustraße. Zwischenzeitlich waren hier Pferde untergebracht, lange Zeit auch Rettungsboote für den Donaukanal. Inzwischen ist das als «historisch wertvoll» eingestufte Haus pfutsch. Abgerissen.
Und zwar gegen den Widerstand zahlreicher Anrainer_innen. Die waren seit 2016 in einer Bürger_inneninitiative organisiert. Sie befürchteten die Entstehung von Hitzeinseln, den Verlust der sich an einer nun ebenfalls abgerissenen Mauer entlangwuchernden Pflanzen sowie generell eine schlechtere Lebensqualität. Alles nur «Sozialrassismus», konterten die Stadt Wien, der Bezirk Leopoldstadt und die Stadtplanung. Den Leuten gehe es in Wirklichkeit darum, die auf dem sich im Gemeindebesitz
befindenden Innenhofgelände geplanten 45 geförderten Miet- und Sozialwohnungen zu verhindern. Bis heute kränkt dieser Vorwurf eine Initiatorin der Bürger_inneninitiative, die ihren Namen nicht mehr in der Zeitung lesen möchte, aus Angst vor Repressalien. Es sei wirklich hauptsächlich darum gegangen, dass bereits beengter Raum durch den geplanten Neubau noch enger und somit unwohnlicher werde. «Viele von uns arbeiten doch selber in sozialen Berufen», sagt sie.

Luxuriöse Nachverdichtung

Aus der Sicht der Stadt Wien heißt das Zauberwort «Nachverdichtung». Weil Wien wächst, so das regelmäßig bemühte Argument, müsse man eben möglichst viele zur Verfügung stehende Freiflächen für den Wohnungsbau nutzen. Vor allem für den sozialen Wohnungsbau. Ebenso oft bemühen Kritiker_innen der Wiener Stadtplanung die Zahl zehntausender, aufgrund der Immobilienspekulation leerstehender Häuser in Wien. Erst Ende April gab es deswegen in der Nähe des Wiener Rathauses wieder eine kurzfristige Hausbesetzung.
Wie wichtig ist der Stadt der soziale Wohnbau wirklich? Immerhin hat der Gemeinderat 2018 eine Gesetzesänderung beschlossen, wonach es bei neuen Wohnbauprojekten einen geförderten Mindestanteil von zwei Dritteln geben muss. Nur ein paar Häuserblocks von der Oberen Augartenstraße 4 entfernt, weiter Richtung Donaukanal, zeigt sich: Zwei Drittel können ganz schön mickrig sein. Konkret geht es um den Bereich Obere Donaustraße 23–29. Hier lässt die in verschiedenen Ländern tätige Immobilienfirma UBM gerade das Gelände der ehemaligen A1-Zentrale schleifen. Es ist eine «Premium Location», wie die UBM auf ihrer Webseite selber schreibt: In zehn Minuten ist man zu Fuß in der Inneren Stadt, die U-Bahn-Station liegt um die Ecke, der Augarten ebenfalls.
Geplant waren hier ursprünglich eines der größten Hotels Wiens mit 700 Zimmern, 500 sogenannten Business Apartments und 200 Wohnungen. Das Hotel ist inzwischen in dieser Form nicht mehr geplant – die Covid-19-Pandemie ließ die Attraktivität des Städtetourismus als Geschäftsmodell einbrechen. An den Business Apartments wird jedoch festgehalten. Sie sollen Geschäftsreisenden einen angenehmen vorübergehenden Aufenthalt in der Hauptstadt ermöglichen.
Und die 200 geplanten Wohnungen? In einem Papier der Wiener Stadtplanung vom März 2020 heißt es dazu nur: «Im Sinne des Anspruchs der Stadt Wien auf soziale Durchmischung sollen neben geförderten Wohnungen auch frei finanzierte Wohnungen geschaffen werden.» Auf Anfrage über den konkreten Wohnungsmix hieß es von der UBM schriftlich: «Das Projekt befindet sich aktuell noch in der Entwicklungsphase und es liegen noch keine Verkaufspläne und Preislisten vor.» Man werde aber aktiv kontaktieren, «sobald wir Ihnen weitere Informationen zu den freifinanzierten Eigentumswohnungen im ‹LeopoldQuartier› mitteilen können.»

Gemeindebau statt Business Apartment

Lässt man die 700 Hotelzimmer außen vor, dann entstehen hier immer noch 700 Wohneinheiten. Die 2/3-Regelung gilt aber nur für die 200 auch als Wohnungen geplanten Einheiten – die Business Apartments sind ausgenommen. Letztere sind, ähnlich wie Hotelzimmer, als Kurzzeitwohnungen für Geschäftsreisende gedacht. Sie schaffen keinen dauerhaften Wohnraum für die Wiener Bevölkerung.
Warum baut man in der Oberen Augartenstraße 4 in einem beengten Innenhof und reißt dafür ein historisches Gebäude nieder? Warum werden die größten Teile des nahegelegenen Prestigebauprojekts «LeopoldQuartier» dem kommerziellen, profitorientierten Sektor überlassen? Es könnte auf einfache Art viel mehr sozialer Wohnraum geschaffen werden, würde man auf dem A1-Gelände einen Gemeindebau mit luftiger Grünfläche und rund 1.000 Wohnungen bauen – die 45 geförderten Wohnungen aus der Oberen Augartenstraße 4 hätten hier allemal Platz. Welcher Wohnbau den Vorrang kriegt, ist oft eine Frage der Lage. Wiener Stadtplanung, übernehmen Sie! 

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