Der Tschocherl-Report (12. Teil)
Für die Innengestaltung eines Lokals scheint es zurzeit nur wenige Optionen zu geben: etwa den trendigen Designer-Stil (mit Möbelhaus-Atmosphäre) oder den Retro-Look. Letzterer mag originell sein, er ist aber auch nur das geringere Übel, ein müder Abklatsch des Originals. Somit stellt sich die Frage: Welches Lokal hat heute noch so etwas wie Stil?
Antwort: das Espresso Heini. Wer das Zinshaus in der Schwendergasse 19, unweit des Schwendermarktes, passiert, ahnt nicht, welch Kleinod sich hinter der abweisend kahlen Fassade verbirgt. Gehalten im nüchtern-sachlichen Stil der 1950er Jahre erzeugt die seit Jahrzehnten unveränderte Einrichtung, in Verbindung mit den hohen Wänden, eine besondere Atmosphäre, der man sich nur schwer entziehen kann. Zu einem wahren Ereignis wird das Heini aber erst durch seinen Besitzer, Herrn Willi Spring («Onkel Willi» für seine Gäste). Der gelernte Buchdrucker, aufgewachsen in Melk, der in Horn bei der Druckerei Berger Maschinenmeister war, bevor er dort zehn Jahre ein Espresso betrieb, um sich nach der Scheidung von seiner Frau in Wien ein neues zu suchen, hat den Schmäh und das Äußere eines Heinz Conrads und weiß, was Stil ist. Wenn er hinter der Budl steht, trägt er Anzughose, Hemd und Gilet. Und wenn er einem Gast einen Schnaps hinstellt, was nicht selten passiert, kommt immer auch ein Glas Wasser dazu. Manche Dinge gehören sich einfach.
Im Flanellmantel mit Innenpelz und Nerzkragen kam er einst nach Wien, auf der Suche nach einem neuen Lokal. Da gab es eins, da wollte er sich nicht einmal hinsetzen, so dreckig war das. Beim Espresso Heini aber, da gab es nichts zu überlegen. «Um fünf hob is gsegn und um acht hob is kauft», weiß Willi heute noch.
Erst vor ein paar Tagen ist er 80 geworden, doch man will es nicht glauben. Er sieht aus wie 65, so als wäre er gerade in Pension gegangen, doch das ist eben 15 Jahre her. Vielleicht liegt der Schlüssel zu Willis Jugend ja darin, dass ihm die Arbeit noch immer Spaß macht, jedenfalls mehr Spaß, als den ganzen Tag zu Hause fernzusehen oder ein Buch zu lesen, wie Willi betont. Vielleicht hält ihn auch seine Beziehung zu Monika jung, seiner Lebensgefährtin, die ihm nicht nur im Heini unterstützend zur Seite steht.
Die Gründe für Willis Vitalität könnten aber auch ganz anderer Natur sein. Dem Spiritus wird ja konservierende Wirkung nachgesagt, und es ist der Schnaps, zu dem Willi eine ganz spezielle Beziehung unterhält: Er trinkt nichts anderes. Als Sepp, ein Gast, die Bemerkung fallen lässt: «Es heißt, ein Stamperl am Tag schadet nicht», sagt Willi: «Drei, viere a ned. Nur gehört a Wasser dazu. Dafür gibts für mi ka Bier, da kenntast 5000 Euro herlegen, trink i a ka Seiterl Bier. Und von drei Achtel Wein hob i an Rausch und muas hamgehen. Aber fünf, sechs oder acht doppelte Schnaps trink i ohne weiteres.» Von den doppelten Schnäpsen nimmt Willi zwar derzeit Abstand, weil er nach zwei Augenoperationen etwas kürzer treten muss; ein paar einfache Schnäpse pro Tag gehen aber trotzdem. Sie lassen sich auch gar nicht vermeiden, weil es Willi geradezu liebt, seine Gäste auf ein Stamperl einzuladen. Gerne auch auf einen Rochelt. Zwei Exemplare hat er von dem Tiroler Edelbrand, der 150 Euro pro Flasche kostet. Es sind die Kronjuwelen in Willis Bar, und: «Es gibt nix Bessers, dir sag is», verrät Willi. Man glaubt es ihm aufs Wort, auch ohne Blick auf die Plakette über der Bar, die ihn als «k.u.k. Schnapsprofessor» ausweist. Als solcher entlarvt er jeden Laien, der einen Rochelt nicht sofort erkennt. Streng verfährt er auch mit dem, der sich beim Schmecken von Geschmacksrichtungen eine Blöße gibt und «a Marün» mit «an Birndl» verwechselt. Der ist schnell ein «Wöhli», also einer, der nicht ganz richtig tickt.
Fritz, ein Gast, der immer, bevor er dienstlich in die Nachtschicht muss, ins Espresso Heini kommt, sagt lapidar: «Schnaps is Schnaps und Dienst is Dienst.» Der gebürtige Fünfhauser war schon vor Willis Ära Stammgast im Heini. Er weiß daher zum Beispiel, dass der Schwendermarkt früher bis zum Lokal reichte, und er kennt die Geschichte von jenem Marktbesucher, den ein derart dringendes Bedürfnis plagte, dass ihm in seiner Not gar nichts anderes übrig blieb, als sich auf den Stufen des Espresso Heini zu erleichtern. Seitdem ist das Lokal als der «Stiagnscheißer» bekannt. Auch heute noch. Willi: «Wenn S an Taxler fragen, an oidn, wo der Stiagnscheißer is, da kennen S kumma von Simmering, waß er a, dass es do is.»
Herr Willi lebt von den Übriggebliebenen mit Geld
Etwas mehr los war früher im Heini auch. Vor Jahrzehnten war die Reindorfgasse ums Eck eine Geschäftsstraße, die sich hinter der Mariahilfer Straße nicht zu verstecken brauchte. Drei Juweliere hätte es da gegeben, heute keinen mehr. Auch Laufkundschaft gebe es nicht mehr. «36 Jahr bin i do, seit 76», resümiert Willi, «30 Prozent san ma weggstorben, 30 Prozent san wegzogn, 30 Prozent hom ka Göd, und von die zehn Prozent leb i.»
Nicht ganz unbeteiligt am Gästeeinbruch im Espresso Heini ist natürlich die allgemeine demografische Entwicklung. Wen wunderts, wenn Sepp bemerkt, dass die Österreicher immer weniger, die «Türken- und Jugolokale» aber immer mehr werden. Seit 25 Jahren lebt er im 15. Bezirk, dem mit dem höchsten Migrantenanteil Wiens (47 Prozent). Wenn Sepp sagt: «I fühl mi da richtig ausgegrenzt», sagt er das aber nüchtern und ohne Groll; er sagt auch: «I bin ja ka Rassist oder ka Fanatiker ned.» Und Willi ergänzt: «Des san ma olle ned.»
Mit Arbeitsmigration hat Sepp doppelt schlechte Erfahrung gemacht. 22 Jahre war er bei der Aufzugsfirma Schindler, hat sich bei «Überstunden en masse» und vielen Wochenendschichten das Kreuz ruiniert, dann kam eines Tages eine Lautsprecherdurchsage: «Sie könne alles liegen und stehen lassen und nach Hause gehen.» Seine wegen eines Kartellvergehens mit Strafzahlungen belastete Firma ging ins Ausland, in die Slowakei, und Sepp war arbeitslos. Nach seiner Entlassung setzte er sich zwar gegen 150 Mitbewerber durch und wurde Schulwart an der Filmhochschule, wo er «den Haneke und wie sie allen heißen» kennengelernt hat. Doch sein Rücken hielt der harten Arbeit nicht stand, weshalb man ihm die Kündigung nahegelegt hat. Sepp, frustriert: «Heite steh i do mit 55 als Spitzenfacharbeiter, der was a Wissen hat, des kann ma si ned vorstellen, und da hol ma Ausländer eina, bis zum geht nimmer, und Facharbeiter, was machst denn mit di, di haben ja null Ahnung!»
Sepp ist nicht der Einzige, der für seine tägliche Portion Trost ins Heini kommt. Da ist auch der 42-jährige Christopher (kurz: Stoffl). Von den vielen Tiefpunkten seines bisherigen Leben war die Zeit bei minus 20 Grad in einem Schlafsack auf der Donauinsel nur einer von vielen. Er sagt: «Ich habe mich bisher trotz allem immer mit Ehre und Anstand gehalten.» Und er werde dies auch weiter tun, «bis zu dem Tag, an dem ich zurückschlagen kann». Bis dahin wird es wohl noch die eine oder andere Partie Schach mit Willi geben. Stoffl ist einer der wenigen, die es nach wie vor mit Schachgroßmeister Willi aufnehmen (Stoffl: «Ich kann verlieren»). Von Willis Schachaffinität zeugt auch ein Geschenk zum 80er: ein essbares Schachset, von dem noch das halbe Schachbrett und ein paar Schokospielfiguren übrig sind.
Fotos: Peter M. Mayr
ESPRESSO HEINI
Bier: 3, (nur aus der Flasche)
Spritzer Weiß: 1,80
Espresso: 2,
Schnäpse: von 2, bis 3,50
Schanigarten:
Ambiente: Originaldekor aus den 1950ern
Achtung: Nichtraucherlokal!
Öffnungszeiten: Mo.Sa., 1324 Uhr
Adresse: Schwendergasse 19, 1150 Wien
Tel.: (01) 893 64 47