Eine grenzgeniale Reisevorstadt

Aus der Not eine Tugend machten Gaby und Peter Giovannini. Statt einer Asienreise hantelten sie sich während des Lockdowns mit ihrem Campingbus innerhalb Österreichs von Grenzübergang zu Grenzübergang. Schließlich konnten sie 215 verbuchen.

INTERVIEW: REINHOLD SCHACHNER

Wie kommt man auf die Idee, Grenzübergänge anzusteuern?
Peter Giovannini: Fürs Frühjahr war eine Tour durch Zentral­asien geplant, die im April hätte losgehen sollen. Na ja, im März hat es uns wie alle erwischt, neues Reiseziel ‹Dahamas›. Im April führte uns eine private Verkaufsanzeige nach Angern an der March. Dort haben wir gesehen, dass auf slowakischer Seite die Fähre eingemottet liegt: ‹Grenze gesperrt›. Schade, sagten wir uns, eigentlich wollten wir demnächst ostwärts starten. Daraufhin habe ich mir als eine Art Protestaktion gedacht: Wenn sie uns schon nicht weglassen, dann werden wir möglichst viele Grenzübergänge aufsuchen.

Was ist für euch auf dieser Reise grundsätzlich anders gewesen?
Gaby Giovannini: Die Einschränkung der Reisefreiheit. Du stehst bei einem Grenzübergang und darfst ihn nicht passieren. Der Person auf der anderen Seite wird plötzlich misstraut, oder sie ist zumindest gefährlich. Es hat geheißen, es sei zu unserem Schutz, nicht hinüberfahren zu dürfen … Ich stand an der Grenze zur Schweiz, und um meine Familie zu besuchen, hätte es eines großen bürokratischen Aufwands bedurft – ungewohnt und erschreckend. (Gaby Giovannini stammt aus der Schweiz, Anm.)
PG: In Passau erzählte mir jemand, seine Urgroßmutter könne sich nicht daran erinnern, dass dort jemals die Grenze gesperrt gewesen wäre. Jetzt gab es Grenzpatrouillen und Betonsperren, völlig abstrus, als könnte man – sinngemäß – einen Virus mit Stacheldraht und Militär besiegen. Die Selbstverständlichkeit des geeinten Europas ist in Frage gestellt worden.

Mit einer so starken Militärpräsenz hätte ich nicht gerechnet.
PG: Dabei muss man differenzieren, denn lustigerweise wurde die Grenze von der Polizei kontrolliert, und das Militär war für gesundheitliche Aspekte zuständig. Dann kontrollierten auch noch Bezirkshauptmannschaften die Ausnahmegenehmigungen für Grenzübertritte. Also irgendwie der österreichische Weg, alles dreifach zu besetzen. Im Namen der Sicherheit ist manches sehr irrational passiert.
GG: Wir machten einen Grenzbeamten-Lernprozess durch, denn anfangs haben wir gar nicht darüber nachgedacht und fotografierten bei den Grenzen, was uns interessiert hat. Das hat bei Uniformierten zu Aufregung geführt. Als wir begannen, unser Projekt zu erklären, war’s meist problemlos. Nur manchmal wurden wir als Spione oder Feinde verdächtigt. Nicht jeder verstand den Sinn, alle Grenzen zu besuchen.

Welches Resümee dieser Reise könnt ihr ziehen?
GG: Wir haben Gegenden kennengelernt, wo wir sonst nie hingekommen wären, die touristisch nicht präsent sind. Das war superschön!
PG: Viel kennengelernt, auch viel im Umgang mit Behörden gelernt, und es hat den Reiz des Unbekannten gehabt, denn auch in der Heimat kann Exotisches gefunden werden. Dann betrachte ich diese Reise als zeitgeschichtliche Angelegenheit, weil alle Grenzen gesperrt worden sind, was nicht mehr so schnell vorkommen wird. Österreich ist in Unwissenheit und der Ungewissheit, was mit dem Virus wirklich los ist, überrumpelt worden. Jetzt hat man schon etwas mehr Überblick.

Was sind für euch die Highlights gewesen?
GG: Historisch betrachtet der Wurzenpass mit den Stellungen des 1. Weltkrieges, landschaftlich hat mir das Südburgenland beim Dreiländereck am besten gefallen.
PG: Mir hat das Mühlviertel am besten gefallen, das hängt natürlich auch vom Wetter und den sozialen Resonanzen ab. So betrachtet waren wir dort gut aufgehoben.

Macht ihr sonst auch Urlaub in Österreich?
PG: Wir machen nie Urlaub, das würde implizieren, am Badesee oder an einem Inselstrand herumzuliegen. Hin und wieder würden wir es gern machen, aber wir schaffen das nicht. Wir reisen immer mit Neugier, der Blick ums nächste Eck treibt uns an.
GG: Wir schaffen es nur selten, zwei Nächte am selben Ort zu verbringen.

Seid ihr inzwischen wieder gereist?
PG: Ja, wir sind in Island gewesen. Wir hätten mit Grönland spekuliert, aber dort wurde niemand hineingelassen.
Mit dem Campingbus?
PG: Natürlich, wir haben auch relativ rasch einen Platz auf der Fähre erhalten. Normalerweise beträgt die Vorlaufzeit ein Dreivierteljahr, coronabedingt war nicht viel los, so konnten wir kurzfristig buchen.
GG: Es war herrlich, weil kein Massentourismus.

Geht euch das viele Herumfahren mit dem Campingbus nicht manchmal auf den Wecker?
PG: Wir fahren nicht immer gleich 500 Kilometer, manchmal sind es nur 20 oder gar nur bis ans andere Ortsende. Wir fahren lieber kürzere Strecken, dafür jeden Tag, es geht uns nicht ums Kilometerfressen. Dass wir bei den Grenzübergängen immer wie an eine Gummiwand gestoßen sind, konnten wir auch ganz witzig finden, das entspricht irgendwie unserem Reisestil.
Trauert ihr der ursprünglich geplanten Reise nach?
GG: Die ist nur aufgeschoben, die wird sicher stattfinden, außerdem ist Samarkand (Stadt in Usbekistan, Anm.) ein Sehnsuchtsort für mich, da muss ich unbedingt hin und am liebsten über Land.

Beim Klosterneuburger Ehepaar Gaby und Peter Giovannini handelt es sich um Reiseprofis. Auch wenn Peter Giovannini hauptberuflich an einem Wiener Gymnasium als Lehrer für Leibeserziehung und Geschichte tätig ist, beschäftigt er sich seit Jahrzehnten intensiv mit dem Thema Reisen. Er hat Ende der 1980er-Jahre im Büro für Studentenreisen neben dem Studium zu arbeiten begonnen und 1992 den Traveller Club Austria (TCA), einen «Beratungsverein für Individualreisende», wie es in der Selbstbeschreibung heißt, gegründet. Alle fünf Jahre lässt er sich als Lehrer freistellen, um mit seiner Frau Gaby, und früher auch mit den Kindern, die Welt zu erkunden. Peter Giovannini hat regelmäßig im Audimax der Uni Wien Reisevorträge gehalten und verfasst Reportagen in Text und Bild für Reisemagazine, wobei er sich immer stärker aufs Fotografieren konzentriert. Gaby Giovannini arbeitete früher in einem Reisebüro, unterstützt beim TCA und vermarktet nun die Reisefotografien ihres Mannes.
Kennengelernt hat sich das spätere Ehepaar natürlich auf einer Reise, genauer in Griechenland. Ihre erste gemeinsame Tour machten sie 1992 in einem Renault 4 u. a. durch den Iran nach Indien und Nepal. In Asien verschifften sie das bescheidene Automobil nach Kenia, um noch ans Kap der Guten Hoffnung zu fahren. Die beiden bewältigen «möglichst alle Distanzen über Land», denn es tue fast weh, so Gaby Giovannini, über eine Landmasse zu fliegen und nicht zu sehen, was darunter liegen würde.
Zur Webpräsenz, auch des TCA: aufunddavon.at

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