Augustiner Ronny
Es gibt genug Ronnys in Wien. Ich allein kenn acht, die so heißen. Schausteller war ich. Da muss man unterscheiden zwischen Schauspieler und Schausteller. Letzterer kümmert sich um alles, was im Böhmischen Prater ist oder im Wurstelprater oder am Rummelplatz. Das habe ich 20 Jahre gemacht. Nachdem ich bis zu 16 Stunden jeden Tag gearbeitet hab, bin ich einmal zusammengebrochen. Wo ich dann gesagt hab: Nein, das mach ich nicht mehr! Und die Chefin gesagt hat: Du musst! Schau ich, dass ich was anderes krieg. 16 Stunden tagtäglich im Prater, sodass mein Bub nicht einmal was gehabt hat von mir. Soll die Frau alles allein machen? Da gehören immer zwei dazu. Meinen Vater habe ich eigentlich nie kennengelernt, aber ich hatte meinen Stiefvater, der war da. Mein Stiefvater hat nach meiner Mutter eine andere Frau geheiratet. Da ist auch noch ein Bub und ein Madl da. Die zwei sehe ich genauso als Geschwister. Wenn sie was brauchen, können sie zu mir kommen. Die Großmutter hat mich aufgezogen. Sie hat, als ich zwölf war, die Vormundschaft gekriegt, eben weil meine Mutter damals nicht in der Lage war, sich um mich zu kümmern. Damit ich nicht in ein Heim komme.
Seit 17. 6. 2005 bin ich beim Augustin – auch eine große Familie, würde ich sagen. Da muss ich ein bisschen ausholen: Meine Großmutter und meine zwei Brüder sind gestorben, 1999 / 2000. Das hat mich aus der Bahn gehaut. Aber ein paar Jahre später da habe ich mir überlegt: Was soll ich machen? Im Internet hab ich eine Info gefunden über den Augustin. Hab angerufen, meinen Termin gekriegt, bin hergekommen und hab angefangen. Ich hab zwar anfangs gehofft, dass es anders läuft in punkto Arbeit, aber leider. Damals hat es schon angefangen, überall, wo ich mich vorstellen gegangen bin: Der ist zu alt. Den können wir nicht brauchen. Bin ich halt hängengeblieben. Ich hab mir das Augustinverkaufen zur Aufgabe gemacht und ziehe das seit 2005 bei der Oper durch. Ich hab dort auch genug Kunden, Freunde gewonnen, von denen einige mir auch weiterhelfen. Das ist, was immer mein Gedanke war: Immer auf einer geraden Linie gehen. Immer auf Augenhöhe. Wenn das manche anders sehen, das höre ich schon nicht mehr. Durch die Pandemie ist es ein bissl weniger geworden mit dem Verkauf. Aber jetzt geht es langsam wieder bergauf. Es ist ein Geduldsspiel.
Arbeit ist Arbeit, sag ich immer, und Freizeit ist Freizeit. Ich verkaufe Montag bis Sonntag, 360 Tage im Jahr. Zu meinem Geburtstag brauch ich nicht verkaufen, sag ich, und zu Weihnachten auch nicht.
Protokoll: Jenny Legenstein
Foto: Mario Lang