Eine Halle für alletun & lassen

Nachbar_innen machen gegen Abriss der Nordbahnhalle mobil

Eine offene Interessensgemeinschaft setzt sich für das Kultur- und Stadtteil­zentrum Nordbahnhalle ein. Die Stadt Wien schweigt bislang. Christian Bunke hat sich am Nordbahnhofgelände herumgetrieben.

Wien, wie hältst du es mit der Gemeinnützigkeit im öffentlichen Raum? Und wie hältst du es mit deiner Gedenkkultur? Wieder einmal müssen diese Fragen gestellt werden, dieses Mal im Nordbahnviertel. Hier entstehen gerade Wohnungen für rund 20.000 Menschen. In der Mitte des Geländes liegt eine ­Gstättn. Und darin die Nordbahnhalle, ein Relikt des historischen Nordbahnhofs.

Ein Grätzl lebt auf. Im März 2017 ließ sich hier ein Forschungsprojekt der TU Wien nieder. Studierende begannen die 4.500 Quadratmeter große Fläche umzugestalten. Es entstanden Veranstaltungshallen, Co-Working-Spaces, Werkhalle, Kantine und einiges mehr. Die Nachbarschaft fing an sich einzubringen. Kinder nutzten das Gelände zum Spielen. Anrainer_innen und Flüchtlinge gründeten eine Schachgruppe. Ein neuer Stadtteil fand etwas sehr Seltenes: ein sofort für alle verfügbares, niedrigschwelliges und offenes Nachbarschaftszentrum. 200.000 Besucher_innen nahmen an 521 Veranstaltungen in der Halle teil, 95 % davon waren frei zugänglich.
Und nun ist Schluss damit. Ende Juli läuft der Nutzungsvertrag mit den Eigentümer_innen der ÖBB aus. Anfang August könnten bereits die Bagger anrollen. Die Stadt Wien hüllt sich bezüglich der Zukunft des Geländes in Schweigen. Dabei hätte die Stadtregierung Handlungsspielraum, schließlich werden die ÖBB das Areal an Wien verschenken. Erinnerungen kommen hoch, zum Beispiel an das Kulturprojekt «Sargfabrik» in Liesing, welches nach einer Zeit der Zwischennutzung durch Kulturschaffende an den Immobilienkonzern Soravia verkauft wurde.

Räume zum Ausprobieren. Die bisherigen Nutzer_innen der Nordbahnhalle wollen nicht einsehen, dass bald alles vorbei sein soll. Auf einer Pressekonferenz richteten sie einen dringlichen Appell an die Stadtregierung, dem sie mit einer Onlinepetition Nachdruck verleihen wollen. Mit dabei ist Elke Rauth von der Stadtforschungszeitschrift dérive. Als Leiterin des urbanize!-Festivals konnte sie mehrfach die Nordbahnhalle für Vorträge und Workshops nutzen. Sie fordert «eine Stadt, die sich am Gemeinwohl orientiert». Im Stadtentwicklungsgebiet Nordbahnviertel gebe es aber «keinen einzigen gemeinnützigen Ort».
Bedarf dafür gibt es, die Initiator_innen der IG Nordbahnhalle berichten, dass es genügend Veranstaltungsanfragen gebe, um das Areal bis zum Jahr 2022 auszulasten. «Immer wieder wird die Halle auch von neuen Nachbar_innen entdeckt», ergänzt Cornelia Spiola, die als Anrainervertreterin am Podium der Pressekonferenz saß. Michael Obrist, Professor für Wohnbau an der TU Wien ergänzt: «Andere Städte würden sich um solche Räume, in denen auch alternative Lebensentwürfe ausprobiert werden können, reißen.»

Luft zum Atmen. In der Auseinandersetzung rund um das Nordbahnhofgelände gibt es auch einen historischen Aspekt. Der Nordbahnhof war während der Nazizeit neben dem Aspangbahnhof ein wesentlicher Knotenpunkt für die Deportation von Juden und Jüdinnen in Konzentrationslager. «Es stellt sich die Frage, ob eine lebendig genutzte Nordbahnhalle nicht auch Teil eines Gedenkortes sein könnte», so Elke Rauth.
Die IG Nordbahnhalle richtet ihre Forderungen an Bürgermeister Michael Ludwig, Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler und die neue Planungsstadträtin und Vizebürgermeisterin Birgit Hebein. Alle drei hätten in der Vergangenheit auf unterschiedliche Weise nicht-kommerzielle Begegnungsstätten gefordert, wie sie im Rahmen der Nordbahnhalle verwirklicht worden seien. Nun müsse man diese Politiker_innen beim Wort nehmen.
Hauptforderung ist die Verhinderung des Abrisses der sogenannten «großen Halle». Die Aktivist_innen der IG Nordbahnhalle könnten mit dem Abriss anderer Gebäudeteile leben, da dieser scheinbar für die lokale Straßenbahnführung notwendig ist. Weiters sollen rechtliche Rahmenbedingungen für eine langfristige, nichtkommerzielle, experimentelle Nutzung von Nordbahnhalle und Wasserturm gewährleistet werden. Diese sollen durch eine «zivilgesellschaftliche, gemeinnützige Trägerstruktur» langfristig vertraglich abgesichert werden. Dafür müssten «alle Stakeholder» in einen «transparenten und partizipativen Prozess» eingebunden werden, so die Forderung der IG Nordbahnhalle.
Tatsächlich wird es spannend sein, den weiteren Verlauf der Debatte rund um die Nordbahnhalle zu verfolgen. Kulturpolitisch hat die Stadt Wien in den vergangenen Jahren immer wieder auf Zwischennutzungen gesetzt, während gerade nichtkommerziellen Initiativen oft die Luft zum Atmen genommen wurde. Die Forderungen zum Bestehenbleiben der Nordbahnhalle können online unterstützt werden:

www.ig-nordbahnhalle.org