«Eine historische Chance»vorstadt

Lokalmatador

Thomas Wrbka ist Biodiversitäts­forscher. Er pflegt nicht nur die hehre Wissenschaft.

TEXT: UWE MAUCH
FOTO: MARIO LANG

Sein Lieblingsort im Botanischen Garten ist weit oben, fast schon beim Gürtel, dort, wo die Golddisteln wachsen und die ostösterreichische Vegetation zu betrachten ist. Hier wurde auch eine typische Wienerwaldwiese angelegt, die mit ihrer Artenvielfalt besticht.
Fürs Foto führt uns Thomas Wrbka weiter zum Silikatrasen, der wiederum an die mageren Böden des Waldviertels und an das «­Grüne Band» erinnert. Womit wir auch schon bei ­einem Lieblingsthema des Biodiversitätsforschers sind.

Grünes Band.

Der grüne Grenzstreifen wuchs nach dem Zweiten Weltkrieg, im Kalten Krieg. Damals spaltete sich Europa in zwei feindliche Teile, Ost und West. Im hermetisch abgeriegelten Niemandsland, am Eisernen Vorhang, ­bestand Lebensgefahr für Zivilist:innen. Genau deshalb konnte sich dort die Natur ein halbes Jahrhundert lang ungestört entfalten.
Das «Grüne Band» ist 12.500 km lang. Es verläuft vom Eismeer in Norwegen quer durch Europa bis zum Schwarzen Meer. Der Fotograf dieser Porträtserie ist die alte Grenzlinie mit Faltrad und Zelt in zig Etappen abgefahren. Thomas Wrbka fasziniert sie indes als Naturforscher und Naturschützer.
«Es ist heute das Rückgrat von Europas Biodiversität», betont der Mitarbeiter des Departments für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien. Seit einigen Jahren untersuchen Forscher:innen dort ­diese niemals geplante Einzigartigkeit von Flora und Fauna. So konnten Thomas Wrbka und sein Team mit Hilfe von Satellitenbildern und eigenen Kartierungen die Grenzregion an der ­Thaya präzise studieren.
Bei Forschungsergebnissen will es der Biodiversitätsforscher aber nicht belassen. Er leitet daraus konkrete Forderungen an die Politik ab: «Es geht darum, eine historische Chance nicht leichtfertig zu vergeben. Wir sollten die Natur hier auf lange Sicht schützen.»

Roter Berg.

Aufgewachsen ist Thomas Wrbka in einer Siedlung der Stadt Wien, im rundum bürgerlichen Bezirk Hietzing. Der Rote Berg und der Lainzer Tiergarten vor der Haustür dienten dem Gemeindebaukind als erste prägende Erkundungslandschaften.
«Viel gelernt habe ich auch vom Großvater mütterlicherseits», erzählt er. Der war Eisen­bahner in Südmähren. Als überzeugter Sozialdemokrat wurde er zuerst von den Nazis verfolgt und nach 1945 vom kommunistischen Regime geächtet. Nach seiner Flucht habe er auch in Wien immer geradeheraus gesagt, was er sich dachte: «Das hat mir sehr imponiert.»
Das Rote Wien, das grüne Wien, die Biolo­gie-Lehrer:innen im Gymnasium, die ­seine Inter­essen erkannten und förderten, dann der erste Bericht des Club of Rome, den er als ­gerade einmal 14-Jähriger eingehend studiert hat: Dieses Gemenge brachte Thomas Wrbka fast naturgemäß zum Studium der Biologie.
Während und nach dem Studium hat er sich in unterschiedlichen Funktionen und Institutionen für den Naturschutz eingesetzt: Unter anderem war Thomas Wrbka im Umweltbundesamt tätig. Vor dem Beitritt Österreichs zur EU hat er das Büro für Vegetationsökologie und Landschaftsplanung mitbegründet und dann im Distelverein landwirtschaftliche Betriebe und örtliche Behörden in Sachen bäuerlicher Landschaftspflege beraten.
Seit 1992 forscht und lehrt er an der Universität. Seine Expertise stellt er auch WWF, Natur­schutzbund und Biodiversitätsrat zur Verfügung. Und wenn es notwendig ist, irgendwo eine Orchideenwiese oder einen Trockenrasen zu mähen, legt er gerne selbst Hand an.

Blaues Wunder.

Ist alles gut? Nein, natürlich nicht! Fünfzig Jahre nach dem ersten Bericht des Club of Rome sagt Thomas Wrbka geradeheraus wie einst sein Großvater: «Langsam werde ich ungeduldig. Was ist in den fünfzig Jahren passiert, außer dass alles noch viel dramatischer geworden ist?»
Gut, es gibt heute beispielsweise den Biosphärenpark Wienerwald. Wenn er aber die ­lokale Politik sieht, wie sie sich selbstgefällig auf die Schultern klopft, kann er sich nur wundern: «Mit dem Naturschutz ist es wie mit der Demokratie. Er ist ständig bedroht, auch dort, wo etwas gelungen scheint. Daher müssen wir viel wachsamer sein.»
Oft genug, betont der kritische Forscher, hat er viel Energie benötigt, «um Ent­scheidungs­träger:innen davon abzuhalten, naturzerstörerische Vorhaben umzusetzen». Schwarz-weiß-Malen ist aber auch nicht seines: «Zu viele junge Menschen leiden heute an Depressionen. Wir müssen auch auf die guten Nachrichten aufmerksam machen.»
Immerhin wären seine drei erwachsenen Töchter für den Klimaschutz sensibilisiert, aber nicht hoffnungslos. «Darüber» freut sich ihr Vater oben beim Silikatrasen.

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