Eine Kärntnerin auf RädernDichter Innenteil

Literatur

Ich bin stolz, eine Kärntnerin zu sein. Mein Kärntner Dirndl verfängt sich zwar manchmal beim Rollstuhlfahren zwischen Rollstuhlfelge und Reifen, was braune Flecken hervorruft, aber das trübt in keinster Weise meine patriotische Begeisterung.Mein Kärnten bietet mir als Frau im Rollstuhl unendlich viele Möglichkeiten, mit meinen Landsleuten in Kontakt zu treten. Egal, ob ich zum Kärntner-Lied-Wettbewerb fahre, an der Kür zur Salamiprinzessin teilnehme oder einfach nur durch die Gassen meiner geliebten Bezirkshauptstadt sause. Stets stoße ich auf Stufen vor Apotheken, Behörden, Arztpraxen, Schulen, Kindergärten, Museen usw., welche mir die große Chance bieten, fremde Menschen bitten zu dürfen, mich mit meinem Rollstuhl in die betreffende Räumlichkeit zu bugsieren. Es ist so ein erhebendes Gefühl, von echten Kärtner_innen getragen zu werden. Eine Welle der Hilfsbereitschaft schwappt auf mich über. Anpackend und kommunikativ wie meine Landsleute eben sind, hieven sie mich samt meinem Rollstuhl zum gewünschten Ort. Oder auch nicht.

Zum Dank darf ich während des Rollstuhltragens ihren spannenden, hochdramatischen Krankengeschichten lauschen, die oft mit dem verhängnisvollen Satz beginnen … «i hob a a Tante im Rollstuhl, de …». Von diesen tragischen Erzählungen kann ich einfach nicht genug bekommen. Man ahnt nicht, wie viele Kärntner und Kärntnerinnen schon in einem Rollstuhl gesessen sind. Einfach spannend – diese präzisen Schilderungen über Opas Schlaganfall, Mutters MS-Diagnose oder Tantes gebrochener Hüfte. Ganz zu schweigen von detailgetreuen Beschreibungen der darauffolgenden notwendigen Rehabilitationsmaßnahmen. Also, ich für meinen Teil kann wahrlich sagen, dass wir Kärntner Rollstuhlfahrer_innen sicher die best informierten Bürger_innen bezüglich Kärntner Krankengeschichten sind. Die Kärntner Gebietskrankenkasse mit ihren Infos und Datenschutz kann sich brausen. Ich kenne jeden! Fragen sie mich!

Sobald ich mein Haus verlasse, werde ich sofort von mir unbekannten Personen wegen meines Gebrechens angesprochen. So entrinne ich der furchtbaren Gefahr, einfach zu vergessen, dass ich querschnittgelähmt, also anders bin und plötzlich aufstehe und von dannen gehe. Wäre echt peinlich.

Auch ein anderer Aspekt erscheint mir erwähnenswert. Es gibt mir ein so unendlich befriedigendes Gefühl, scheinbar gesunden Menschen die Gelegenheit zu geben, etwas «Gutes» zu vollbringen. Ich als rollende Kärntnerin gebe den Menschen die Möglichkeit, ihre Hilfsbereitschaft auszuleben. Sie können sich bei mir wieder wertvoll und gut fühlen. Wie auf einer Sänfte getragen, schwebe ich mit meinem Rollstuhl durch mein Kärntnerland. Langsam hebe ich meinen Arm zum Gruße. Liebevoll streicheln mir meine Landsleute über die Haare oder tätscheln lächelnd meine Wange, nachdem sie mich z. B. grad wieder in eine Behörde oder in eine Arztpraxis in den ersten Stock getragen haben. Dann sitze ich selig im Warteraum und überlege mir krampfhaft, wen ich wohl für das Runterkippen des Rollstuhls auserkoren werde. Die Wahl fällt mir oft sehr schwer, da ich niemanden bevorzugen möchte. Jeder hat das Recht auf Gleichbehandlung. Manchmal muss ich ja auch nicht wählen. Zum Beispiel, wenn niemand in der Nähe ist, der mir über die Stufen helfen kann. Dann finde ich endlich die Zeit, einfach nur inne zu halten, tief und ruhig durchzuatmen und über mich und die Welt und deren Sinn nachzudenken. Wer hat schon sonst die Muße, im Alltag 1/2 Stunde z. B. vor einem Geschäft zu warten um dann unverrichteter Dinge nach Hause zu fahren.

Natürlich kann es von Zeit zu Zeit auch zu unschönen Szenen kommen – wie der folgende Dialog in einer Bäckerei aufzeigt/beweist:

Ich: Grüß Gott, 1/2 kg Brot bitte!

Verkäuferin: Was ist denn ihnen passiert?

Ich: Ich will bitte nur 1/2 kg Brot kaufen!

Verkäuferin: Hab eh verstanden, aber warum sitzen sie da drin?

Ich flehe förmlich um das Stückchen Brot. Aber keine Chance – die Verkäuferin ist unerbittlich und verwehrt mir den Laib. Triumphierend hält sie ihn zwar vor meine Nase, aber lässt nicht los. Meine Hände ergreifen gierig diesen Laib, während die Verkäuferin ihn noch immer festhält. Die Szenerie ist unheimlich und erinnert an Brechts Kreidekreis. Dann ergebe ich mich und befriedige ihre Neugierde, indem ich mit leiser Stimme von meinem ach so schlimmen Schicksal erzähle. Erst jetzt überlässt sie mir mit einem siegreichen Lächeln das essbare Gut. Zustimmung heischend in Richtung einer weiteren Kundin bemerkt die Verkäuferin: «Göllns, es gibt scho orme Leit».

Ich zog nach Wien!

Zum Abschied rief ich noch:»Passt mir auf mein Kärnten auf»!

Die Zeit in Wien war für mich als Kärntnerin im Rollstuhl eine große Herausforderung. Ich fühlte mich recht einsam. Selten bot sich mir die Gelegenheit, fremde Menschen ansprechen zu dürfen. Fast überall haben diese Wiener statt Stufen, Rampen oder Lifte errichten lassen. Wohin man schaut, erblickt man abgeschrägte Gehsteigkanten, unzählige leere Rollstuhlparkplätze, Rollstuhl-WC zum Abwinken. Also wirklich, kaum glaubte ich endlich wieder Stufen und damit einen Grund zur Kontaktaufnahme gefunden zu haben, wurde mir schon freundlich und bestimmt Richtung eines Aufzugs gedeutet. Es bot sich mir fast nie eine Möglichkeit, andere zu beglücken sprich, um Hilfe zu bitten! Diese Wiener sind scheinbar auf den besten Wege alle erdenklichen baulichen Maßnahmen zu ergreifen und behindertenfreundlich zu bauen, nur um ja nicht mit uns Rollstuhlfahrer_innen in Verbindung treten zu müssen. Sie wollen scheinbar einfach jegliche Kontaktaufnahme mit uns Menschen mit Behinderung meiden. Ich habe während meiner Wiener Jahre bloß drei ! Krankengeschichten erfahren, und diese auch nur, weil ich aus Verzweiflung mit der no na rollstuhlgerechten U-Bahn in den 10. Bezirk nach Favoriten (so was wie die Bronx von Wien oder die Fischlsiedlung von Klagenfurt) gefahren bin. Wenige Tourist_innen verirren sich dort hin. Dort findet man im Gegensatz zur Wiener Innenstadt, wenn man Glück hat, noch hie und da Stufen ohne Rampen im Eingangsbereich. Da sind auch Rollstuhlparkplätze wieder öfter von Menschen ohne Behindertenplakette besetzt und keine Behinderten-WC’s weit und breit zu sehen. Hin und wieder kann man auch ein zärtliches «Du Negerhure» hören. Vieles erinnerte mich hier an meine alte Heimat und ich wurde nostalgisch und wehmütig. In meiner Wiener Zeit war kein Hundehaufen vor meinen Rollstuhlreifen sicher. Durch den mir anhaftenden Hundekot-Geruch wurde ich täglich an meine schöne Kindheit am Bauernhof in Kärnten erinnert. Mit dem Kärntner-Lied «valossn … valossn» rollte ich in Richtung Amalienbad. Dort stürzte ich mich in eine Bäckerei, wo mir tatsächlich «Negerbrot» angeboten wurde.. Die Nostalgie übermannte mich förmlich, ich rollte aus dem Laden, erwarb in der Buchhandlung nahe des Viktor-Adler-Platzes das Buch mit dem Titel: «Die 10 kleinen Negerlein», und wusste, ich bin angekommen. Das wird meine zweite Heimat. Wir zogen nach Favoriten.

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