In Meidling erwischt: wenn der Garten ein Rendezvous mit der Wolfganggasse hat
Es geht auch anders: In Meidling kümmert mensch sich nicht nur um sich selbst, sondern auch um das gemeinsame Grünleben vor der Tür- und Fensterfront. So entstand die Aneignung der verwahrlosten Brachflächen zwischen Häuserzeile und Straßenrand – zum Vorteil aller, beobachtete Karl Weidinger (Text und Fotos).Es riecht nach Pisse, Redbull und Redbull-Pisse. Saufen die Hunde hier auch schon Energydrinks? Geht die Vermenschlichung der «Viehbeiner» schon so weit? Und in den Brachlandschaften eine soziale Plastik von zertretenen Dosen, zerknüllten Tschickpackerln und Hinterlassenschaften von Vier- oder Zweibeinern. So schaut’s aus – im Hier und Jetzt. In Meidling.
Am 7. Mai war «World Naked Gardening Day», Welttag des Nacktgärtnerns. Er verstrich ungenützt. Aber nicht der 10. Mai, drei Tage später. Es gab das monatliche Treffen der «Wolfganggassengartler_innen». Ihr Motto lautet: Wir beleben unsere Umgebung. Die «Gartler_innen» haben eine Mission, und die fällt auf fruchtbaren Boden. «Wir pflegen unseren lieb gewonnenen Brauch weiter und treffen uns abwechselnd bei den Gartenmitgliedern», heißt es in der Einladung. Einiges hat sich seit der Gründung des Vereins getan zwischen Häuserzeile und Straßenrand. Im Reservat des urbanen Lebens erblühte eine Idylle im ungenützten, wertlosen Zwischenraum.
Jutta Wörtl-Gössler wurde 1967 in Admont geboren, studierte in Wien und arbeitet seit 1986 in Architekturbüros an vorderster Front. Aber nicht nur an der bebauten Glas- und Metallfront, wie andere Architekt_innen. Nein, sie verdingt sich auch an der Gartenfront. Ihr Herz schlägt für KÖR, Kunst im öffentlichen Raum. Vor mehr als 20 Jahren, 1994, erhielt sie ihr Diplom in der Meisterklasse Timo Penttilä von der Akademie der Bildenden Künste in Wien.
Seit 2007 macht sie in der «Stadterneuerung» mit. Bis 2011 war sie mit der Leitung der Wiental-Arbeitsgruppe betraut. Sie selbst ist Anwohnerin mit Gemeinschaftsgarten vor dem Haus und einem Smart Office im Hinterhof ihres Wohnhauses.
Seit 2009 engagiert sie sich vor Ort und bringt sich tatkräftig ein. Im Ödland zwischen den Alleebäumen, ehemals mit Rindenmulch befüllt, begrünen nun hier Wohnende aus Österreich, Türkei, Serbien, Frankreich, Deutschland und Amerika ihre zugeteilten Beete. Neben Rosen, Pelargonien, Himbeeren und Buxbäumchen finden sich auch Obstbäume, Wild- und Zierpflanzen mitten in der Vorstadt, dem vormaligen Refugium der Hundekot-Absonderer. Obwohl Flora und Fauna, also Strauch und Hund, gab es hier schon immer. Der frisch gegründete Gartenverein nahm die Pflege des nachbarschaftlichen Empowerments als Ziel ins Visier. Und das Unmögliche geschah.
Jetzt riecht es nach Flieder, Schattenmorelle, Salbei und Lavendel. Voller Holler. Kann es sein, dass sogar die Vierbeiner die neu geschaffenen Grünreservate respektieren? Dazu sind kleine, ebenso liebevoll wie künstlerisch gestaltete Barrieren hilfreich. Sogar Miniaturversionen des rustikalen Jägerzaunes haben sich etabliert.
Es gibt sie also doch, die friedliche Koexistenz. Aus dem Kunstprojekt, das unter der Flagge von «Garten.Meidling» segelte, entwickelte sich bis Mai 2010 der Verein «Garten Wolfganggasse», mit Unterstützung der zuständigen Gebietsbetreuung für Stadterneuerung, die unter dem Kürzel GB*5/12 in Margareten und Meidling agiert.
Öffentlicher Raum beginnt im Kopf, sagt und denkt Jutta Wörtl-Gössler. Irgendwann soll dann die Smart City vor der Vollendung stehen. Identifikation findet Stadt. Es ist definitiv keine egoistische Haltung, sondern geschieht zum Wohle der Allgemeinheit.
Als Anschubprojekt gestaltete Jutta Wörtl-Gössler gemeinsam mit Gleichgesinnten aus der Türkei, Serbien und Wien fünf Kunstgärten zur Initialzündung. Die inzwischen mehr als dreißig Gartenteile bilden zusammen mit den Alleebäumen einen großen gemeinsamen Grünraum. Individueller Ausdruck, Kommunikation, Integration und Verantwortung sind die sprießenden Triebe dieses partizipativen Stammes der Eigenermächtigung. Verwurzelt ist das Projekt auch beim Stadtgartenamt (MA 42) und der Bezirksvorstehung. Ein Haufen Erde wird in ein abgestecktes Territorium geliefert, sobald jemand aus der Umgebung ernsthaft mitwirken will (und das auch über eine gewisse Zeit durchhält). «Wohnnähe ist auch wichtig, weil es gut ist, einen Wasseranschluss zur Hand zu haben», sagt Jutta Wörtl-Gössler.
Aneignung versus Enteignung?
Auch die Straße gehört zum Garten und wird regelmäßig zur Bühne für Events, also zum Freiraum für alle. Anwesende bemalten den Asphalt und besetzten (mit Sitzgelegenheiten) das Territorium, das sonst nur den Autos gehört. Zwischen Tichtelgasse und Oppelgasse wurde abgesperrt. Ein an den Hydranten angeschlossener Springbrunnen symbolisierte die offene Quelle. Auf etwa 4000 Quadratmetern wurde Ball gespielt, gelaufen oder radgefahren, geskatet und auf Slacklines balanciert sowie in Liegestühlen gechillt. Ältere Personen besuchten die Gastgärten, Familien picknickten auf dem bunt bemalten Asphalt. Im dichten gründerzeitlichen Wien schuf die Initiative einen Potenzialraum, indem sie festgeschriebene Gewohnheiten hinterfragte und auf eine zeitlich begrenzte Dauer veränderte.
Ein Zukunftsdialog als Beitrag zum «Smart City-Prozess» schwebt ihr vor. Eine Landnahme mitten in der Großstadt. Aneignung versus Enteignung?
«Es kommt immer wieder vor, dass Pflanzen und Sträucher aus den Gärten unbefugt ausgegraben werden. Es sieht meist nicht nach Vandalenakten aus, sondern nach einem gezielten und bewussten Entfernen», sagt sie abschließend. Das jüngste Opfer war ein Skimmie aus Angelikas und Christians Garten. Nun, ein schmerzlicher Verlust, aber der Trennungsschmerz vergeht. Pflanzen wachsen nach, auch ohne persönliche Bindung.