Eine Lebensweise, die sich nicht für alle ausgehttun & lassen

Ulrich Brand über Umweltfragen und soziale Gerechtigkeit

Imperiale Lebensweise? Das ist der fair gefangene Biolachs zum Frühstück genauso wie der schrottprämierte SUV in der Innenstadt­garage. Der Politologe Ulrich Brand hat gemeinsam mit Markus Wissen ein Buch über die «Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus» geschrieben. Individuelle Konsumverantwortung sei wichtig, aber nicht der Königsweg, sagt er im Gespräch mit Alban Knecht und Anita Roitner.

Foto: Carolina Frank

Was bedeutet die «imperiale Lebensweise» im Titel Ihres Buches?

Wir wollen mit diesem Begriff thematisieren, dass unser alltägliches Leben, insbesondere was die Produktion und den Konsum betrifft, nur deshalb möglich ist, weil wir ständig auf billige Arbeitskräfte und billige Ressourcen aus anderen Teilen der Welt zurückgreifen. Der Reichtum der entwickelten Staaten basiert wesentlich auf dieser Ausbeutung. Das ist allerdings den meisten nicht bewusst oder wird ignoriert.

Ist das eine neue Erscheinung?

Nein, überhaupt nicht. Aber wir glauben, dass es eine Intensivierung gibt. In den 1970er-Jahren gab es eine gewisse Politisierung und ein größeres Verständnis für diese Zusammenhänge; etwa über die Ökologie- und Solidaritätsbewegung, aber auch über die zweite Frauenbewegung. Mit dem Neoliberalismus und der digitalen Revolution – Produktion von Computern und Handys, Digitalisierung im und um das Auto –, die ja unglaublich ressourcenintensiv ist, gibt es eine Vertiefung der imperialen Lebensweise im globalen Norden. Zusätzlich breitet sie sich auch in den Ländern des globalen Südens immer weiter aus.

Wieso ist das so problematisch?

Insbesondere seit den 1990er-Jahren entstanden Ansätze, den Klimawandel, den Verlust der biologischen Vielfalt und andere sozial-ökologischen Probleme einzudämmen: Die Umweltkrise galt noch als bearbeitbar. Die ökonomische Krise 2008 hat aber deutlich gemacht, dass die notwendigen Schritte in Richtung einer nachhaltigeren und gerechteren Politik nicht gegangen werden. Es hätte die Chance gegeben umzusteuern, hin zu mehr Nachhaltigkeit, aber die wurde nicht ergriffen, im Gegenteil: Denken wir an die Schrottprämie für alte Autos – mit staatlicher Unterstützung konnten sich Leute neue Autos kaufen. Dahinter standen natürlich die Interessen der Großunternehmen, aber auch der Gewerkschaften und damit der Politik.

Welche Rolle spielt in dem Zusammenhang das Gefälle zwischen Arm und Reich?

Wir nehmen nicht nur die Unterschiede zwischen den reichen Ländern im globalen Norden und den ärmeren Ländern im globalen Süden in den Blick. Die imperiale Lebensweise, wie sie in Europa gelebt wird, ist eine statusorientierte Lebensweise, die nicht nur die Umwelt zerstört, sondern auf sozialer Ungleichheit basiert und diese auch verlängert. Die Mittelschichten grenzen sich gegen die unteren Schichten bewusst ab, indem sie zeigen, dass sie sich aufgrund ihres hohen Einkommens ein Auto und viel Konsum leisten können. Das führt dazu, dass Menschen mit weniger Geld umso mehr ausgeschlossen werden: Es wird eben am Land nicht in einen guten öffentlichen Verkehr investiert, sondern in Straßen. Gleichzeitig wird suggeriert: «Streng dich an, dann hast du auch genug Geld zur Verfügung!» Ansonsten wirst du abgewertet, sollst dich zweitklassig fühlen. Staatliche Unterstützung in prekären Lebenslagen wird nicht als soziales Recht gesehen, sondern als Almosen.

Andererseits hat die imperiale Lebensweise eine globale Dimension, die sich mit einer unglaublichen Wucht zum Beispiel in der Flüchtlingskrise zeigt, die ja vor allem eine Krise der Geflüchteten ist. Die Menschen fliehen unter anderem auch, weil der globale Norden ihre Lebensverhältnisse zerstört: Beispielweise werden lokale Märkte zerstört, wenn die EU mit hohen Subventionen ihre überschüssigen Lebensmittel dorthin exportiert. Auf diese Folgen der imperialen Lebensweise reagiert der Westen mit Abschottung. Man denke nur an Trump, der mit allen Mitteln versucht, die «US-amerikanische» Lebensweise zu schützen und Menschen aus Lateinamerika draußen halten möchte.


Wie hängen soziale und ökologische Probleme zusammen?

Die Ursachen und Folgen der Umweltprobleme finden nicht «da draußen» statt, sondern sind ein Teil davon, wie in unserer Gesellschaft grundlegende Prozesse wie Ernährung, Wohnen, Mobilität organisiert werden. Die expansive kapitalistische Logik und die damit verbundene Produktions- und Lebensweise sind dafür wesentlich verantwortlich und bringen auch immer soziale Ungleichheiten mit sich. Man denke nur daran, wer in seinen Wohnverhältnissen vom Lärm in der Stadt betroffen ist oder wer sich das Fliegen leisten kann. Im Kampf um Gleichheit müssen ökologische Fragen mitgedacht werden – und umgekehrt.

Beispielsweise kann bei der Frage der Mobilität nicht das Ziel sein, dass alle fliegen können, sondern es muss insgesamt weniger geflogen werden. Ebenso ist es beim Autofahren: Nicht alle sollen immer und überall mit dem Auto hinfahren können, sondern der Autoverkehr muss weniger werden und Menschen müssen auf andere Weise mobil sein.

Dafür ist einerseits ein gutes Angebot an öffentlichem Verkehr wichtig. Andererseits spielen auch die hohen Wohnungspreise in der Stadt eine Rolle, die die Menschen dazu zwingen, an den Stadtrand zu ziehen, von wo aus sie an ihre Arbeitsstätte mit dem Auto pendeln müssen. Die hohen Mieten sind also nicht nur ein soziales Problem, sondern erzeugen auch mehr Verkehr.


Oft wird argumentiert, dass wir alle mit bewusstem Konsum die imperiale Lebensweise zurückschrauben können. Inwiefern ist die Änderung des inviduellen Verhaltens Teil der Lösung?

Das Ringen im Alltag um eine solidarische Lebensweise und damit auch um andere Konsummuster ist ein wichtiger Ansatzpunkt, aber das allein reicht nicht aus. Zentral ist es, den Blick auch auf die Produktionsseite zu werfen, auf die damit verbundene Profitlogik. Und es gibt darin noch einen anderen Punkt: Oftmals werden die Hoffnungen in neue «grüne Technologien» gesteckt, doch die ist ja auch ressourcenintensiv. Prominent ist etwa die Diskussion um Elektroautos. Die Batterie der E-Cars benötigt Lithium und das Schwermetall Dysprosium, eine sogenannte «Seltene Erde», damit die Batterie nicht zu heiß wird. Die Karosserie braucht Aluminium, die Autos verstopfen weiterhin die Städte etc. Es geht also nicht nur um den Motor, sondern darum, wie wir aus der Automobilität und dem Vielfliegen herauskommen und solidarisch und ökologisch Mobilität für alle ermöglichen.

Wie können wir den gesellschaftlichen Umschwung schaffen?

Wir argumentieren in dem Buch, dass es sehr viele Einsatzpunkte für eine solidarische Lebensweise gibt: Proteste gegen Flughafenpisten, Nischen wie solidarische Landwirtschaft, oder die Arbeitszeitpolitik, bei der es darum gehen muss, nicht nur weniger zu arbeiten – und das in guten und auskömmlichen Verhältnissen –, sondern damit auch von der Orientierung an Produktivismus und Konsumismus wegzukommen. Oder die Stadtentwicklung Wiens: Da scheint alles auf Wachstum getrimmt, aber es wird nicht überlegt, welche sozialen und ökologischen Wohn- und Lebensformen angemessen sind. Beispielsweise weniger, aber eben gemütlicher und klug gestalteter Wohnraum oder ein autobefreites Wien.

Sehen Sie Potenzial in unserer Gesellschaft?

Bei allen Beharrungskräften und starken Interessen an der Erhaltung der imperialen Lebensweise, gibt es auch gesellschaftliche Gegenkräfte, etwa in NGOs und den kritischen Flügeln von politischen Parteien. In gesellschaftliche Nischen wird mit neuen, vielfältigen Ansätzen einer solidarischen Lebensweise experimentiert. Obwohl viele von uns in der imperialen Lebensweise verhaftet sind, steigt das Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen kann. Dieser Unmut könnte eine sozial-moralische Mehrheit erreichen. Inwiefern diese Aspekte im nun beginnenden Wahlkampf von politischen Akteuren thematisiert werden, das wird eine spannende Frage.

www.facebook.com/ImperialeLebensweise

Buchvorstellung:

21. Juni, 18.30 Uhr

AK Bibliothek, 4., Prinz Eugen Straße 20-22

 

Ulrich Brand & Markus Wissen: Imperiale Lebensweise

Kapitalistische Reparaturphantasien

Wirkliche Nachhaltigkeit ist in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht zu haben. Das ist die Schlussfolgerung, die Ulrich Brand und Markus Wissen aus ihrer Analyse des gegenwärtigen Zustands unserer Welt ziehen. Auch Reparaturphantasien wie «Grünes Wachstum» oder «nachhaltigen Kapitalismus» verweisen sie in das Reich der Legenden. Kapitalismus ist ein schrankenloses System, es basiert strukturell auf der Vermehrung von Kapital. Dies hat nichts mit der – zweifellos existenten – Gier von Managern und Unternehmerinnen zu tun, sondern ist Teil seiner Logik. Wer sich nicht daran hält, wird von diesem System ausgesondert. Das gilt für Menschen – aber genauso für unsere Umwelt. Da diese im wesentlichen kostenlos verfügbar ist, bedienen sich Unternehmen rücksichtslos und befördern die Rückstände der Produktion ebenso rücksichtslos zurück in die Umweltkreisläufe – mit den bekannten Folgen wie Klimawandel, Übersäuerung und Erosion der Böden, Plastik in den Weltmeeren.

Mit dem Begriff der «imperialen Lebensweise» zeigen die Autoren auf, wie die rücksichtslose Vernutzung unserer Umwelt mit den Mustern unseres Konsums zusammenhängt. Der Lebensstil der wachsenden «globalen Mittelklasse» inkl. Einfamilienhaus, regelmäßiger Flugreisen und großer Autos zerstört systematisch die Natur – vor allem in den ärmeren Ländern des globalen Südens. Diese Lebensweise kann nicht für alle gelten, da sonst die ökologischen Kreisläufe noch schneller zusammenbrechen würden. Brand und Wissen zeigen auf, dass nur ein grundlegender Systemwechsel eine wirklich nachhaltige Gesellschaft hervorbringen kann. Dass die Zeit dafür immer knapper wird, sollte uns sowohl zur Änderung unserer Konsumgewohnheiten als auch zu politischer Organisierung motivieren.

Ulrich Brand, Markus Wissen: Imperiale Lebensweise.

Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus

oekom Verlag 2017, 224 Seiten, 15,40 Euro

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