Eine Melodie ging um die WeltArtistin

Marco Polo und der liebe Augustin

Das Lied vom lieben Augustin ist in Wien entstanden glauben zumindest die WienerInnen. Die junge chinesische Sängerin hingegen, die mir das Lied auf Chinesisch vorsang, hielt es für ein chinesisches Kinderlied …

Wenn wir nur zusammen stehn,

sammen stehn.

sammen stehn,

ist das Leben doppelt schön,

doppelt so schön.

Mein Freund ist dein Freund

und dein Freund ist mein Freund.

Wenn wir nur zusammen stehn,

ist es so schön …


So lautet der Text in etwa auf Deutsch. Vermutlich stammt er edel bzw. pädagogisch wie er ist nicht aus grauer Vorzeit, aber das sagt ja nichts über die Melodie aus. Wurde diese also in China geboren? Und wenn ja, wie kam sie von dort nach Wien? Oder umgekehrt?

Ich dachte mir: Fantasieren geht über Recherchieren, und biete Ihnen fürs erste vier Theorien an genauer gesagt zwei Doppeltheorien, die auf historischen Fakten basieren. Der Rest ist frei erfunden. Was jedoch nicht heißt, dass nicht was Wahres dran sein könnte.

Doppeltheorie Nr. 1: Attila, der Hunnenkönig, kam bekanntlich mit seinen Mannen von Ostasien bis nach Europa, u. a. zu uns an die Donau, wo er sich mit Vertretern der Nibelungensage traf. Als er dann starb, kehrte nur einer seiner Söhne mit einem Teil der Krieger nach Asien zurück. Der andere blieb hier samt Personal, das in der einheimischen Bevölkerung gewissermaßen versickerte.

Das heißt: Entweder brachte ein fröhlicher und sangesfreudiger Hunne das Liedlein zu uns oder ein anderer fröhlicher und sangesfreudiger Hunne hatte es hier kennengelernt und nahm es mit bis zur Chinesischen Mauer …

Doppeltheorie Nr. 2: Schon im 16. Jahrhundert, als England mit Hilfe der Schifffahrt zu einer globalen Wirtschaftsmacht wurde, gab es zu China lukrative Kontakte. Und dort schnappte ein musischer englischer Handelsmann besagte Melodie beim Einkauf von prächtigen Seidenstoffen auf und sang sie nach seiner Rückkehr nach London seinem inzwischen neu geborenen Kindlein vor. Das hörte ein Wandermusikant und exportierte sie flugs nach dem europäischen Kontinent.

Oder aber: Der Wandermusikant spielte das Lied, bevor er nach Mitteleuropa reiste, in London auf dem Dudelsack, der Kaufmann hörte es, und als er sich in China in eine verbotene Liebe verstrickte, benutzte er es als Erkennungszeichen. So wusste seine Geliebte sofort, wann er in der Nähe war. Leider aber war die Melodie so ein Ohrwurm, dass sie sich unter den Chinesen wie ein Lauffeuer verbreitete die Affäre nahm bald ein Unhappy End.

Non voglio cantare cinese


Wie Sie inzwischen sicherlich erkannt haben, sind noch viele Doppeltheorien möglich, deren Protagonisten den Seeweg oder die Seidenstraße benützen hätten können. Beschränken wir uns also auf meine Lieblingsvariante:

Als Marco Polo von seiner großen Weltreise heimkehrte, befand sich auf seinem Schiff neben zahlreichen Souvenirs darunter exotische Gewürze, prächtige Stoffe, Kunstgegenstände und Edelsteine auch ein kleiner chinesischer Schiffsjunge, der der vor allem wegen seiner Kochkünste sehr beliebt war. Giovanni, der Steuermann, hatte ihn an Bord gebracht. In Venedig angekommen war die Überraschung groß: Der Schiffskoch entpuppte sich als liebliche junge Dame namens Mu Lan. Giovanni hatte sie in China kennen gelernt, sich unsterblich in sie verliebt und sie sich in ihn. Sie hatten keine andere Möglichkeit gesehen, beisammen zu bleiben, als sich auf diese nicht ungefährliche Maskerade einzulassen. In Venedig heirateten sie und waren sehr sehr glücklich, bis ….

Damit Sie das Folgende begreifen können, muss ich etwas weiter ausholen. Einer der Gründe, warum die beiden einander so gut verstanden, war ihre Musikalität. Und Mu Lan hatte darüber hinaus auch eine glasklare, wunderbare Stimme. Giovanni konnte sich nicht satt hören, wenn sie die Lieder aus ihrer Heimat sang. Irgendwie war er ja auch in die chinesische Kultur verliebt und beherrschte sogar die chinesische Sprache genauer gesagt: die Sprache seiner Frau. Und am liebsten hörte er das Lied, das wir hierzulande Sie wissen schon gemeinhin als das Lied vom lieben Augustin kennen.

Mu Lan lebte sich in Venedig bald gut ein, lernte erstaunlich rasch die Landessprache und alle liebten sie. Sie brachte den Venezianerinnen köstliche Nudelgerichte bei und lernte ihrerseits betörende alte Volksweisen, darunter viele Melodien, die Jahrhunderte später in die so genannte Italienische Oper einflossen.

Mu Lan fühlte sich also sehr wohl in der Heimatstadt ihres Mannes. Nur eines trübte ihr Glück: das Heimweh. Damals konnte man ja noch nicht mit China billiger telefonieren als innerhalb einer europäischen Stadt. Überhaupt war das Telefon noch gar nicht erfunden. Und auch nicht das Flugzeug, ja nicht einmal die Transsibirische Eisenbahn. Daher wurde Mu Lan jedes Mal, wenn sie ein chinesisches Lied sang oder mit ihrem Mann Chinesisch sprach, schmerzlich bewusst, dass sie ihre Familie, ihre Freunde und ihre Heimat wohl niemals wieder sehen würde. Also sprach sie mit ihrem Mann Italienisch und sang venezianische Gassenhauer. Giovanni gefiel das ganz und gar nicht. Und er weigerte sich stur, mit ihr in seiner Muttersprache zu reden.

Bitte, sagte er auf Chinesisch, sing doch wieder einmal dieses Lied, du weißt schon, das mit dem doppelt so schönen Leben.

Bitte nicht, antwortete sie auf Italienisch. Ich will nicht Chinesisch singen. Non voglio cantare cinese. Das macht mich immer so traurig.

Da hätte ich ja gleich eine Venezianerin heiraten können, schrie er zornig auf Chinesisch. Und marschierte ab ins Beisel. Präzise gesagt in die Kaschemme, die dort stand, wo sich sehr viel später dann Harrys Bar etablierte und wo damals täglich Raufereien bzw. Verbrüderungen zwischen betrunkenen Matrosen stattfanden. Giovanni hatte aber keine Lust auf derartige Lustbarkeiten, sondern wollte sich nur still betrinken. Bebere per dimenticare.

Schließlich war es der erste Streit zwischen ihm und Mu Lan. Ein nicht unwesentlicher Grund für den bisherigen Ehefrieden war ja auch, dass damals chinesische Frauen ihren Männern niemals widersprachen. Und jetzt das …

Während Giovanni schweigsam vor sich hin litt, setzte sich ein freundlicher böhmischer Seemann namens Bohumil an seinen Tisch. Er war glücklich in Venedig, denn er liebte das Meer, an dem Böhmen ja auch damals nicht lag, und er wollte alle anderen auch glücklich sehen. Giovanni klagte ihm sein Leid und sang ihm bei der Gelegenheit das Liedchen vom doppelt so schönen Leben vor. Auf Chinesisch selbstredend. Bohumil war beeindruckt. Vor allem weil sein Kollege so gut Chinesisch konnte. Doch auch die Melodie gefiel ihm. Polka sei sie zwar keine, meinte er mit typisch böhmischem Akzent. Aber sie passe doch irgendwie besser nach Böhmen als nach China. Er habe auf seinen Reisen über die Weltmeere auch schon chinesische Lieder gehört und die hätten ganz anders geklungen. Und nun begann er eine der unzähligen Jasminliedvarianten zu trällern.

Giovanni erkannte die Melodie sofort und sang mit. In chinesischer Sprache. So eine Situation verbindet insbesonders, wenn Alkohol und der Zauber Venedigs mit im Spiel sind. Und so fühlte sich Bohumil verpflichtet, seinem neuen Freund auf die Sprünge zu helfen. No, sagte er. Hasdu Frau, wos is jung und scheen und kocht scheen und singt scheen, Jeschisch Maria, und sizdu do in schiache hospoda. To je blby ….

Vom U Fleku aus nach Wien


Recht hast du, meinte Giovanni und eilte schnell wie der Wind nach Hause zu seiner geliebten Mu Lan.

Irgendwann, meinte er zu ihr ein wenig lallend, aber auf Italienisch, irgendwann wirst du schon wieder Chinesisch singen wollen. Und wenn du in der Zwischenzeit lieber Italienisch singst mir solls recht sein. Hauptsache, du singst.

Da war Mu Lan überglücklich. Und sie sang ihm sogleich ein Lied vor, das sie erst kürzlich von ihrer Nachbarin gelernt hatte: O mio babino caro.

Und schon war Giovanni vollends dahingeschmolzen. Nicht nur weil musikalische Menschen halt leicht manipulierbar sind, sondern weil er trotz seines alkoholisierten Zustands begriffen hatte, was ihm seine Frau auf diese Weise mitteilte: Er würde bald Vater werden.

Und so kam es auch. Mit der Zeit wurde die Familie des ungewöhnlichen Ehepaars immer größer und Mu Lans Heimweh immer kleiner, die Kinder wuchsen zweisprachig auf und die Mutter sang ihnen und ihrem geliebten Mann auch wieder chinesische Lieder vor. Das Lied vom babino caro aber wurde 600 Jahre später von Giacomo Puccini zu einer weltberühmten Arie geadelt.

Doch was wurde aus Bohumil? Er heiratete ein liebenswürdiges Mädchen vom Lande, das hervorragend böhmische Knödel kochte und ebenso gut Polka tanzte. Aber auch die Melodie des Lieds vom doppelt so schönen Leben ging ihm nie mehr aus dem Kopf. Und als er sie in Prag im U Fleku sitzend und schwarzes Bier trinkend wieder einmal vor sich hin pfiff, schnappte sie ein böhmischer Musikant auf und integrierte sie in sein Repertoire. Auf diese Weise gelangte die Weise in die angrenzenden Länder und eben auch nach Wien.