Mindestsicherung neu: Arbeit, Arbeit, Arbeit
Die Reform der Wiener Mindestsicherung ist da! Nicht ganz so schlimm wie in anderen Bundesländern, aber gekürzt wird dennoch. Dahinter stehen die österreichischen Krankheiten Lohnarbeitsfixiertheit und Konfliktvermeidung. Martin Birkner über die Ideenlosigkeit der Wiener Sozialpolitik.
Illustration: Much
Ja, es hätte schlimmer kommen können. Die Reform der Mindestsicherung bringt in Summe nicht allzu viele Veränderungen, darunter aber kaum welche zum Positiven. Hintergrund ist die «Notwendigkeit» von budgetären Einsparungen. Dass auch Grüne bei Sozialkürzungen ok sagen, zeigten sie vor kurzem in Tirol. Die Wiener Landespartei aber gilt als die am weitesten links stehende. So ist die Novelle weniger schlimm ausgefallen als andernorts, und es gibt auch positive Entwicklungen, zum Beispiel bei der Geschlechtergleichstellung. Dennoch findet sich auch die eine oder andere Kürzung im Reformpaket: AMS-Sperren können künftig nicht mehr durch die Mindestsicherung ausgeglichen werden, ebenso wird Menschen zwischen 21 und 25 Jahren, die bei den Eltern wohnen, bis zu 50 Prozent der Mindestsicherung gekürzt. Dies mag zwar hinsichtlich anderer Mindestsicherungsbezieher_innen, die in eigenen Wohnungen leben, gerecht erscheinen, es kürzt das vorhandene Familieneinkommen der Betroffenen aber dennoch deutlich (siehe etwa www.bonvalot.net, «Wie Rot-Grün in Wien die Mindestsicherung kürzt»).
Jobanreize über alles
Das Hauptproblem der Wiener Sozialpolitik: 118.866 gemeldete Arbeitslose plus 33.445 in Schulungen ergibt 152.311 Erwerbsarbeitslose. Offene Stellen in Wien gab es 2016 (das sind die aktuellsten verfügbaren Zahlen) laut Statistik Austria etwa 5350, es sind also für rund 3,5 Prozent (!) der Erwerbsarbeitslosen Arbeitsplätze verfügbar. Was aber steht im Zentrum der Mindestsicherungsreform? «Größtes Augenmerk bei der Novelle des Mindestsicherungsgesetzes wird darauf gelegt, dass MindestsicherungsbezieherInnen am Arbeitsmarkt Fuß fassen und einer Erwerbstätigkeit nachkommen können», schreiben die Wiener Grünen auf ihrer Website.
Genau das ist das Problem: das neoliberale Motivationsmantra vom «Fordern und Fördern». Die Grünen bewerben die Reform gar mit den geschaffenen «Jobanreizen». Von dem offenbar allein seligmachenden Prinzip der gesellschaftlichen Integration durch Lohnarbeit wird also um keinen Millimeter abgewichen.
Das ist angesichts der genannten Zahlen, angesichts des Reichtums unserer Gesellschaft, angesichts der wichtigen sozialen Rolle von nicht entlohnter Arbeit und angesichts der ohnehin bereits existierenden behördlichen Schikanierung von Erwerbsarbeitslosen nichts anderes als eine Verhöhnung der Betroffenen: Anreize zum brutalen Kampf um ein paar wenige Jobs. Bevor die Regierenden auch nur ein Stück weit über Alternativen einer wirklich zeitgemäßen Sozialpolitik nachdenken, beschließen sie die sowohl unwirksamen als auch menschenunwürdigen Maßnahmen der Vergangenheit. «There is no Alternative» auf Wienerisch: Lohnarbeit, Lohnarbeit und nochmals Lohnarbeit. Die gibt’s aber schlicht und ergreifend nicht. Wenn das im Zeitalter von Digitalisierung, Milliardenprofiten und Rekordungleichheit die politische Perspektive sein soll, darf mensch sich nicht wundern, wenn immer mehr Menschen von so einer Art der Politik nichts wissen möchten.
Sachzwang = Mut- und Ideenlosigkeit
Warum aber finden sich keine wirklichen Alternativen in dem Paket? Ende der unwürdigen Sanktionen und Sperren? Ansätze einer wirklichen Politik der Umverteilung von Reich zu Arm? Gar über ein Grundeinkommen nachdenken? Njet. Argumentiert wird damit, dass spürbare Umverteilungspolitik nur auf Bundesebene möglich sei – und daher die Spielräume auf Landesebene beschränkt sind. Das ist zwar richtig, zeigt aber, dass die politische Auseinandersetzung mit der Bundesregierung erst gar nicht gesucht wird. In einem der reichsten Länder der Welt, das sich Eurofighter und Hypo-Rettung ebenso leisten kann wie den Verzicht auf auch nur einigermaßen wirksame Erbschafts-, Vermögens- und Kapitalertragssteuern und das Steuerschlupflöcher bewusst zulässt, muss dies als Armutszeugnis gewertet werden.
«Stopp von Mehrfachbefristungen (etwa durch Kettenverträge), keine Umgehungsverträge, keine Förderung der Scheinselbstständigkeit. Gesichert wird die Vorbildfunktion der Stadt durch ein ausbildungsorientiertes Praktikant_innengesetz, arbeitnehmer_innenfreundliche flexible Arbeitszeitmodelle, Altersteilzeit und Bildungskarenz auch im öffentlichen Dienst.» Das steht im Grünen Wahlprogramm von 2015 – und das wären Ansatzpunkte zumindest für ein «Begleitprogramm» der Mindestsicherungsreform gewesen. Natürlich hätte die SPÖ damit keine Freude gehabt, aber: Wer hat schon Freude mit der SPÖ? Somit bleibt es halt beim kleineren Übel. Auf Dauer wird das nicht reichen.