Eine Saison spätervorstadt

Migrant_innen im Wiener Fußball

Wie hat sich der in puncto Migration ereignisreiche Herbst 2015 auf den Wiener Fußball ausgewirkt? Wer hat wie geholfen, wie geht es weiter? Eine Suche nach Antworten von Hannes Gaisberger.

Foto: Stefan Schlögl

Als Ousman Manneh am 15. Oktober das 2:1-Siegestor für Werder Bremen gegen Bayer Leverkusen erzielt, greifen die internationalen Sportjournalist_innen ins ganz große Register: «Show», «Märchen», «Flucht ins Glück». Der 19-jährige Gambier war nur zwei Jahre vorher aus seiner Heimat geflohen. Vom Flüchtling zum Bundesliga-Star: Das nennt man Integration. Doch der junge Ousman verfügt mit zehn Jahren Erfahrung im gambischen Nachwuchsbetrieb über erhebliches Vorwissen und stammt aus einem fußballaffinen Umfeld. So viel Glück hat nicht jeder. Das unterstreichen auch drei Zahlen: 96, 113 und 145. Diese Ränge belegen Syrien, Irak und Afghanistan in der FIFA-Weltrangliste. Und aus diesen Ländern stammt das Gros der Flüchtlinge, die ab September 2015 in Wien untergekommen sind. Doch auch wenn ihre Nationalmannschaften mäßig erfolgreich sind und an einen normalen Spielbetrieb in vielen Ländern nicht zu denken ist, die Begeisterung für das runde Leder ist bei vielen der jüngeren Semester ungebrochen. Fast jeder hat seinen Lieblingsklub, kennt die Topstars aus Premier und Champions League und will nun endlich auch selber kicken.

 

Allgemeine Hilfsbereitschaft

Um das zu ermöglichen, bildeten sich bald Initiativen, Hobbyfußballteams wurden gegründet, Spenden gesammelt, Spielbesuche und Trainingseinheiten organisiert. Nationalspieler_innen und Bundesligavereine haben sich engagiert, natürlich auch Wiener Vereine bis hinunter in die Verbandsklassen. Wenngleich das in der Realität oft komplizierter ist, als man glaubt.

Der Wienerligist SC Simmering ist als sozial engagierter Verein bekannt. Der Anteil von Spielern mit migrantischem Hintergrund ist hoch, auf die Nachwuchsarbeit wird höchstes Augenmerk gelegt, und es gibt Institutionen wie den Lernclub, in dem von Montag bis Freitag jeden Nachmittag Lernhilfe und Deutschunterricht angeboten werden. Obmann Mirko Sraihans hat im Augustin-Interview vor einem Jahr von geplanten Aktionen für Flüchtlinge auf der Simmeringer Had gesprochen. «Nach Weihnachten wurden aber viele Massenunterkünfte in unserer Nähe aufgelöst und die Menschen über ganz Wien verteilt. So hat sich das zerschlagen.» Es gab dann noch ein Benefizspiel auf dem Platz. «Von Zeit zu Zeit werden wir von Organisationen angerufen, die uns Kinder und Jugendliche zum Sichtungstraining schicken.» Wer gut genug ist, wird genommen. Der Papierkram bei der Anmeldung halte sich in Grenzen, so Sraihans.

Ein Anruf beim Wiener Fußballverband soll Klarheit bringen. Andre Raisinger ist in der Geschäftsstelle zuständig für das Meldewesen. Eine Anmeldung sei wirklich nicht kompliziert, so Raisinger. Ist der Spieler über 18, benötige man nur die Flüchtlingskarte. «Darauf steht der Name und Geburtsdatum. Ist der Spieler unter 18, braucht man noch eine Bestätigung vom Asylamt und einen aktuellen Meldezettel.» Das war es auch schon. In letzter Zeit sei ein Anstieg von Anmeldungen von Flüchtlingen zu bemerken, wenngleich im überschaubaren Rahmen. Raisinger schätzt, es seien nun «um 40 Prozent mehr». Die sportbegeisterten Neo-Wiener_innen kommen also in den Vereinen an.

 

Ein Cup für alle

Mit Benefizveranstaltungen wie Hobbyfußballturnieren oder Bowling sammelt der Verein Goodball seit mehreren Jahren Geld für diverse soziale Einrichtungen. Die Hilfsbereitschaft der «Zivilgesellschaft» hat den Vereinsvorstand bewegt: «Es hat uns sehr gefreut, dass ab Herbst 2015 so viele Initiativen entstanden sind, die in Wien und Niederösterreich angekommenen Refugees die Möglichkeit bieten, regelmäßig Fußball zu spielen. Für diese Initiativen und ihre Kicker_innen wollten wir ein Fußballturnier organisieren.» Der erste «Goodball Refugee Cup» hat im März stattgefunden und war von Anfang an nicht nur als Sportveranstaltung geplant, wie Stefanie Schlögl von Goodball betont: «Es war von uns als eine Plattform zum Austauschen und sportlichen Kennenlernen der verschiedenen Initiativen und als ein Netzwerktreffen gedacht. Gleichzeitig sollte es den in den verschiedenen Unterkünften untergebrachten Refugees eine Möglichkeit geben, aus ihrem Alltag herauszukommen und ein gemeinsames positives Erlebnis zu haben.»

Den Verlauf des Turniers empfanden die Veranstalter_innen als geglückt und harmonisch, es mangelte weder an Kommunikation noch an Kooperation: «Für mich persönlich ist immer noch der Moment prägend, als wir bemerkten, dass wir nach dem Turnier mehr Fußbälle hatten als davor. Bei unseren anderen Turnieren ist es immer so, dass im Laufe des Turniers Bälle einfach verschwinden. Weil sie verschossen werden oder versehentlich mitgenommen. Beim Refugee Cup haben die Kicker wirklich jeden einzelnen Ball zu uns zurückgebracht und zusätzlich noch am Gelände liegende Bälle mitgenommen und bei uns abgegeben.» Eine Neuauflage der Veranstaltung sei definitiv geplant, wenngleich es sich vermutlich erst wieder im Frühjahr ausgehen werde, so Schlögl. Bei der ehrenamtlichen Vereinsarbeit stoße man ressourcentechnisch schon mal an die Grenzen.

 

Nachhaltig nicht einschlafen

An diesen Punkt kommt auch das Gespräch mit Martin Roßbacher, seit sieben Jahren Obmann der «FreundInnen der Friedhofstribüne» des Sportclub. Ehrenamtliche Arbeit sei immer eine «große Ressourcenfrage, da schlafen manche Sachen schon mal ein». Wobei man schon darauf achte, dass die eigenen Aktionen nachhaltig wirken. So werden beim Sportclub regelmäßig 50 irakische Jugendliche zu Spielen eingeladen. Es gibt Aktionswochen – zuletzt zum Thema LGBT-Flüchtlinge – und Gedenkminuten, Spendenaktionen, ein Refugee-Team, Probetrainings undundund. Dazu veranstalten die «FreundInnen» den Ute Bock Cup, mit dem in den letzten drei Jahren etwa 100.000 Euro für diverse gute Zwecke eingespielt werden konnten. Der entscheidende Funken, das auslösende Moment, das sei meist die Initiative von Einzelnen, so Roßbacher: «Die meisten Sachen kommen von der Basis. So wie das Projekt Kicken Ohne Grenzen, das von zwei Künstlern ins Leben gerufen worden ist. Daneben gibt es aber auch Fairplay, die Initiative für Vielfalt und Antidiskriminierung im Sport, die sicher die beste Übersicht über die existierenden Aktionen hat.» Denn es besteht weiterhin Bedarf an sportlichen Angeboten, obwohl sich die «Flüchtlingskrise» dank einiger unsauberer politischer Deals scheinbar beruhigt hat.

Wenn allerdings aus einem Ausnahme- ein Dauerzustand wird, sind die Reserven an Kraft und Zeit irgendwann aufgebraucht. «Langfristig müsste man sich überlegen, was institutionell eingerichtet werden muss. Man kann nicht alles den Vereinen und ehrenamtlichen Helfern umhängen», findet Simmering-Obmann Sraihans. Die Zivilgesellschaft hat in den vergangenen Monaten bewiesen, wie lebendig und tatkräftig sie ist. Aber auch die größten Kämpfer_innen können in der Verlängerung schon mal einen Krampf kriegen.

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