Eine Stadt im Umbruchvorstadt

Viel Rost und viel Grün: Ostrava

Fördertürme, Abraumhalden, Schlote – wo kann man das heute noch sehen? Zum Beispiel im tschechischen Ostrava, wie Wenzel Müller (Text und Fotos) bei einem Besuch in dem einstigen Schwerindustriezentrum der k. u. k. Monarchie feststellte.

Die Stiegen geht es hinab, immer weiter ins Erdinnere. Wir gelangen in einen spärlich beleuchteten Gang, mit Holzpfeilern zur Sicherung gegen den Bergdruck. Eng ist es hier unten. An der Seite in regelmäßigen Abständen Telefone, mal gelb, mal rot, in jener klobigen Form, die für die Prä-Handy-Ära charakteristisch war.

Einst dienten diese Telefone zum Notruf, heute sind es Ausstellungsobjekte. Wir befinden uns in der Grube Anselm in Ostrava, Tschechien, benannt nach dem Sohn des Wiener Bankiers Salomon Mayer Rothschild, der diese Grube im 19. Jahrhundert erwarb. Hier wurde bis Ende der 1980er-Jahre Steinkohle abgebaut, dann schloss der Betrieb, und ein Teil davon wurde zu einem Besucherbergwerk umgebaut.

Ostrava: Die mit rund 300.000 Einwohner_innen drittgrößte Stadt Tschechiens liegt nahe der polnischen Grenze, in Mähren. Wir fragten zwei Prager Studenten, was sie mit Ostrava verbinden. Ihre Antwort: verschmutzte Luft, rauchende Schlote und harte Arbeit. Ein Bild, das heute allerdings nur noch zum Teil zutrifft und vor allem der Vergangenheit dieser Stadt geschuldet ist. Hier befand sich einst ein, wenn nicht das bedeutendste Schwerindustrie-Zentrum der k. u. k. Monarchie, mit Kohleabbau und Eisenverarbeitung. Im letzten Jahrhundert sprach man auch gerne vom «mährischen Ruhrgebiet».

Wie die Maloche im deutschen Ruhrgebiet inzwischen ausgedient hat, so ist auch Ostrava nicht mehr fest in der Hand der Bergleute und Stahlarbeiter. Hier und da rauchen zwar noch Schornsteine, doch die Zahl der Betriebe ist stark zurückgegangen. Und dennoch: Die Vergangenheit der Stadt ist nach wie vor präsent, weil hier viele Industrieanlagen und Bergwerke mit ihren Fördertürmen und Abraumhalden nicht wie andernorts einfach plattgemacht bzw. zugeschüttet wurden. Sie stehen immer noch und verleihen der Stadt ihre charakteristische Silhouette.

Im Besucherbergwerk ist es feucht und stickig. Nichts für Menschen mit Klaustrophobie. Aber eine Attraktion für jene, die sich für frühere Arbeitswelten und Arbeitsgeräte interessieren. Mit Puppen, die Gesichter schwarz gefärbt, stellen die Museumsbetreiber nach, wie Bergleute vor hundert Jahren zu arbeiten hatten. Sie lagen in engen Spalten und rangen allein mit ihrer Hände Kraft, mit Schrämmeisen, dem Berg den wertvollen mineralischen Rohstoff ab. Zum Abtransport in kastenartigen Wagen, den sogenannten Hunten, wurden Pferde eingesetzt, die, wie der Museumsführer erklärt, schon nach wenigen Tagen im Dunklen erblindeten. Später kamen elektrische Maschinen zum Einsatz, mit wuchtigen Bohrern und Schaufeln.

Die Arbeit unter Tage war hart – und gefährlich. Nicht nur zum Brand kam es öfters, sondern auch zum Wassereinbruch. Das zeigt eine angeschlossene Ausstellung über das Rettungswesen im Bergwerk. Die Sicherheitsleute wurden auch als Taucher ausgebildet.

In dieser Unterwelt überkommt den Besucher leicht ein kleiner Schauder. So fremdartig wirkt diese Arbeitsstätte. So unsicher die Abstützung gegen den Berg. So monsterhaft jede einzelne Maschine.

Wer das Bergbaumuseum verlässt und wieder ans Tageslicht tritt, hat die Wahl: Gegenüber lockt ein Restaurant mit traditionellen bergmännischen Speisen und weiter unten ein Lokal mit tschechischem Bier. Und dann lockt auch noch ein Tennisplatz – das Areal, der Landek Park, ist Museum und Freizeitanlage in einem, inklusive eines Campingplatzes. Wenn man so möchte, ist dieser Arbeitsort gerettet und an die Wünsche und Bedürfnisse heutiger (Wochenend-)Besucher_innen adaptiert worden.

Auch viel Grün

Neue Nutzungen für alte Anlagen finden. Vor dieser Herausforderung steht Ostrava. Eine Chance für Pionier_innen und pragmatische Träumer_innen. Solche sind sicherlich Dita Pepe, Alexandra Bockova und Lucia Petrujova. Sie veranstalteten heuer in der Stadt zum ersten Mal ein Fotofestival, das Ostrava Photo 2015. Ausstellungsorte waren leer stehende Fabrikhallen und das morbide Gelände der alten Stahlwerke. Schöne Fotos vor rostiger Kulisse.

Eine Stadt befindet sich im Umbruch. Wo einst die Held_innen der Arbeit den Ton angaben, mischen heute auch Künstler_innen mit. Seit 2002 findet hier regelmäßig das Open-Air-Musikfestival Colours of Ostrava statt – ein Pendant zur Ruhrtriennale im Ruhrgebiet.

Den entscheidenden Anstoß zur Umstrukturierung im Ruhrgebiet gab die Bauausstellung Emscher Park. Das Ziel lautete: das Erbe bewahren und für die Öffentlichkeit öffnen. Diesem Beispiel möchte Ostrava offensichtlich folgen.

Im Bergbaumuseum geht es in die Tiefe, im Stadtteil Witkowitz in die Höhe. Auf den Hochofen. Die Witkowitzer Eisenhüttenwerke haben ihren Betrieb eingestellt, erhalten ist jedoch die riesige Industrieanlage, die der Besucher, gegen Eintritt, bis ganz nach oben begehen kann. Der Blick von einem New Yorker Wolkenkratzer ist kaum beeindruckender als der vom Café aus, das der tschechische Architekt Josef Pleskot in 80 Meter Höhe auf das Industriedenkmal gesetzt hat. Alles erscheint gewaltig, die Rohre, die Bauten, die Schrauben. Relikte aus einer Zeit, da noch in großem Maße produziert wurde. 2008 sind Teile dieses Ensembles in die Liste des Europäischen Kulturerbes aufgenommen worden.

Wer vom Landek Park zum Eisenhüttenwerk fährt, also von einem Ende der Stadt zum anderen, kann dies auf einem gut ausgebauten Radweg tun, der durch Parks führt und entlang des Flusses Ostrawitza. Dies hat Ostrava entgegen seinem Ruf als Industriestadt auch zu bieten: viel Grün. Und ein Stadtzentrum mit Jugendstilhäusern. Freilich auch mit der berühmten Stodolni-Straße, wo sich ein Lokal an das andere reiht. Das größte Amüsierviertel Tschechiens. Auch dies ein Erbe jener Zeit, als die Stadt noch ganz den Arbeitern gehörte.

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