Eine Stadtschrift von WienArtistin

NEW ZELEK

Jede_r sieht sie, keine_r kennt sie: Wer in den Straßen Wiens unterwegs ist, sieht sie leuchten und in der Sonne funkeln, ist hundertmal über sie gestolpert: Die Rede ist von New Zelek. Eine Schrift, die die Stadt seit Jahrzehnten prägt, über deren Herkunft aber kaum jemand etwas weiß. Eine Spurensuche von Natalie Deewan (Text und Foto).

Foto im Foto: Marian Misiak

Hoch über dem Erdberger Häusermeer prangt der Schriftzug der ­Wiener Stadtwerke. Etwas weiter weg jener der Wiener Linien und zu ebener Erde, nämlich auf dem Kanaldeckel des Fernwärmenetzes, jener von Wien Energie. Alle drei sind in derselben Schrift gesetzt, einer sehr eckigen, sehr zackigen Schrift, deren Buchstaben ineinandergreifen, und zwar genau im Winkel von 45°C.

Die Schrift New Zelek wurde 1973 von dem polnischen Plakatkünstler Bronisław Zelek bei der französischen Firma Mecanorma eingereicht, die sogenannte Abreibeschriften herstellte und gewann im Wettbewerb tatsächlich den ersten Preis. Der glückliche Gewinner war damals in Polen bereits ein gefeierter und mehrfach ausgezeichneter Plakatgestalter (etwa für Filme wie Hitchcocks Die Vögel), der in seiner Arbeit Typografie und Fotografie als gleichwertige Elemente einsetzte. Damit schuf er ikonische Werke, die zuletzt 2017 als Motive in der jüngsten Kollektion von Junya Watanabe beim japanischen Modelabel Comme des Garçons eingesetzt wurden.

Kein Groschen.

Old Zelek ist also ganz schön New – das dachten sich wohl auch jene Grafiker_innen, die in grauer Vorzeit, «jedenfalls bevor die Wiener Stadtwerke 1999 privatisiert wurden» (Zitat: Wiener Stadtwerke Holding AG), auf diese Schrift stießen und sie dem Corporate Design der Wiener Stadtwerke einverleibten. Seit 2014 umfasst die GmBH so verschiedene Konzernbereiche wie die Wiener Linien, Wien Energie, Bestattung Wien, Friedhöfe Wien oder die Wiener Lokalbahnen. Als 2007 die Wiener Agentur Mark & Mark mit der Überarbeitung der Logofamilie beauftragt wurde, hieß es beim Briefing nur, die Verwendung der New Zelek sei «mandatory» – also Pflicht. Die Kür wäre es freilich gewesen, sich zu fragen, woher diese Schrift denn eigentlich kommt? Wer hat sie gemacht? Bronisław Zelek steht im Wiener Telefonbuch, seit 1970. Als ich mich letztes Jahr auf die Suche nach dem Ursprung dieser omnipräsenten Schrift machte, hatte ich einen quicklebendigen 82-Jährigen am Apparat, der den Teilnehmer_innen meines Stadt-Schrift-Spaziergangs ausrichten ließ: «Sagen sie ihnen, der Designer lebt, und er lebt in Wien!»

Dieser Satz sei auch der Stadt ins Stammbuch geschrieben, die auf Anfrage lediglich verlauten ließ: «Die Schriftart New Zelek ist nicht im Corporate Design der Stadt Wien, sondern in jenem der Wiener Stadtwerke Holding.» – Ping. Dort wiederum verweist man zurück an die Stadt Wien: «Die Schriftart in unserem Logo ist schon sehr alt. Ganz nachvollziehen lässt sich das nicht mehr (…). Zum damaligen Zeitpunkt waren die Stadtwerke noch in die Stadt Wien eingegliedert.» (Stellungnahme der Wiener Stadtwerke Holding AG, Abt. für Konzernkommunikation und Brand Management) – pong.

Bronisław Zelek jedenfalls hat «von der Stadt Wien nie einen Groschen gesehen», ist diesem Groschen aber auch nicht aktiv nachgelaufen. «Um die finanziellen Dinge hat er sich nie wirklich gekümmert», meint Hertha Grimm, seine Lebensgefährtin, mit der er seit 2010 zwischen Wien und Ybbsitz im Mostviertel pendelte. «Als er damals den ersten Preis gewonnen hatte, hat er sich sofort damit eine Segelausrüstung gekauft.» Auf das Einklagen von Rechten hatte er, der «das Leben, die Menschen, das Reisen und die ganze Welt» liebte, höchstwahrscheinlich «keine Lust».

Dachmarke und Kanaldeckel.

New Zelek war vor 1989 im kommunistischen Polen sehr präsent, erlebte mehrere «wilde» Digitalisierungen und war schließlich eine international sehr populäre Schrift, besonders im Musik- und Sport-Bereich. Es sollte aber mehr als 40 Jahre dauern, bis dank Marian ­Misiak – ein junger polnischer Schriftgestalter – 2017 eine mit Bronisław Zelek akkordierte und um zahlreiche Ligaturen und Zusatzzeichen erweiterte digitale Version bei threedotstype erschien. Die New Zelek Pro enthält einen lateinischen und kyrillischen Zeichensatz und soll in Kürze auch in einer arabischen Version erhältlich sein.

Was passiert nun mit den Ecken und Kanten der New Zelek in Wien? Im Zuge eines Dachmarkenprozesses sollte das «’Martialische’ aus der alten Schrift ausgebügelt» werden. Das bedeutet, dass nur mehr der Anfangsbuchstabe, das W, in der aktuellen Logofamilie aus der New Zelek gesetzt ist, der Rest wurde «verleserlichert». Bei meterlangen Leuchtreklamen in schwindelnder Höhe (wie z. B. am Praterstern, siehe Foto) bügelt es sich aber wohl schwerer. Ebenso scheint der Dachmarkenprozess beispielsweise bei Logo-Aufdrucken auf den Plastiksitzen in den Bussen der Wiener Linien verlangsamt. Vom Neuguss sämtlicher Abdeckungen fürs Fernwärmenetz mit Wien-Energie-Aufschrift ganz zu schweigen.

Der Plakatkünstler, Schriftgestalter, Grafiker und – zuletzt fast ausschließlich – Maler Bronisław Zelek hätte am 6. Juni auf Einladung der typgrafischen gesellschaft ­austria (tga) einen Vortrag über seine Arbeit halten sollen. Statt eines Vortrags erscheint nun am selben Tag dieser Nachtrag, diese Nachschrift. Denn der stets so hellwache Bronisław Zelek ist am 28. Februar dieses Jahres völlig unerwartet gestorben. Er hinterlässt Ikonen, darunter eine Schrift, die nicht in einen Grabstein, sondern in das kollektive Gedächtnis der Stadt Wien – und jeden zweiten Kanaldeckel eingraviert ist.

 

Bronisław Zelek

1935 geboren in Nastasow bei Tarnopol, Polen (heute Ukraine)

1939-45 verbrachte er, teilweise getrennt von seinen Eltern, in sibirischen Zwangsarbeitslagern

1955-61 Akademie der Bildenden Künste, Warschau

1962-1970 Assistent bei Prof. Tomaszewski. Gestaltung von über 100 mehrfach preisgekrönten Plakaten, international vertreten in zahlreichen Sammlungen

1970 Übersiedelung nach Österreich

1974 erster Preis beim Internationalen Schriftdesign-Wett-

bewerb von Mecanorma, Paris, für New Zelek

2017 wird New Zelek als New Zelek Pro von Marian Misiak bei threedotstype neu herausgebracht

2017 Einzelausstellung Malerei in der Stadtgalerie Waidhofen/Ybbs

2018 gestorben in Ybbsitz, Österreich

bronislawzelek.com

threedotstype.com/product/new-zelek-pro