Für Kveta Schubert hat alles seine Zeit
Sie strahlt mich schon von weitem an aus dem Auto. Während sie einparkt und ihrem Sohn den Ablauf der Geburtstagsparty erklärt, zu der sie ihn gerade fährt, findet sie ohne Anstrengung auch noch die Zeit, mir ein Lächeln zu schenken, das mir erklärt, dass mein Anliegen auch gleich ihres sein wird.
Ihr Sohn, Maurice, ist sechs Jahre alt, darf heute zu einer Kindergeburtstagsparty. Deshalb habe ich auch das Glück, einen Interviewtermin mit der Künstlerin Kveta Schubert bekommen zu haben. Denn Zeit ist das Einzige, woran es dieser Frau mangelt. In einem Kaffeehaus in einem Wiener Außenbezirk setzen wir uns hin, ich genieße das Privileg, hier noch rauchen zu dürfen. Und Freiheit das ist, was Kveta in ihrem Sein verkörpert.
Die 35-jährige Künstlerin und Mutter zweier Kinder widmet ihre Inspiration der Fotografie autodidaktisch: Ich machte erst mit 27 meine ersten Fotos auf einer Reise in eine Romasiedlung, in der Slowakei. Was ich dort sah, hat mich zutiefst berührt. Dörfer, in denen die Menschen ohne fließendes Wasser, ohne Elektrizität, aber auch ohne Wissen oder Information über ihre Bürgerrechte leben. Chancengleichheit oder Beistand durch Institutionen ist in keiner Form gewährleistet. Die Realität dieser in tiefster Armut lebenden Menschen weckte in mir einerseits das Bedürfnis, der Welt mitzuteilen, was dort passiert, andererseits fühlte ich in mir die Gabe, jene Bilder zu machen, für die andere vielleicht blind sind. Die Fotografie und das Filmemachen retten meine Seele … Sie geben mir die Möglichkeit, aktiv ein Fenster für jene Menschen zu sein, die sonst keinen Einblick in die Situation jener Menschen hätten. Sie zitiert noch Schiller: Die Kunst ist eine Tochter der Freiheit man muss sie einfach lieben, fügt sie hinzu.
Rolle als Beobachterin
Kveta hat einen ganz besonderen Bezug zu der Minderheit der Roma, denn sie selbst betrachtet sich als ein Teil davon, auch wenn das nicht immer mit positiven Erfahrungen verbunden ist. Sie selbst stammt jedoch aus geordneten Verhältnissen, besuchte die Schule und hatte ein intaktes Elternhaus.
In Tschechien, wo ich aufgewachsen bin, gibt es viele Vorurteile gegenüber der Volksgruppe der Roma und Sinti. Diskriminierung gibt es offensichtlich und täglich. Auf die Frage, wie ihre persönlichen Erfahrungen seien, meint sie: Ich selbst habe glücklicherweise nur wenige schlechte Erfahrungen gemacht, jedoch habe ich immer die Rolle einer Beobachterin eingenommen und habe als solche viele negative Dinge gesehen.
Ich blättere während der Plauderei in Abzügen ihrer Fotos. Darauf ist nichts zu sehen, was die Gesellschaft als ästhetisch oder im normalen Sinne als schön bezeichnen würde. Menschen, die vor ihren Lehmhäusern stehen oder sitzen. Notdürftig bekleidet, oftmals mit leeren Augen. Doch Kveta schafft es, eine wilde Poesie einzufangen, die das bloße Auge oftmals übersehen würde.
Der Liebe wegen nach Wien
Sie kam aus Tschechien nach Wien aus Liebe. Mein Mann ist mir eine große Stütze, er steht hinter mir und gibt mir Kraft, jene Dinge zu vollbringen, die mich glücklich machen in der Kunst wie auch privat. Ich brauche viel Freiheit, und er gibt sie mir. So wie die Liebe zu ihrem Mann vertiefte sich auch ihre Beziehung zu Wien. Ich habe vorher neun Jahre lang in Prag gelebt. Die Architektur ähnelt jener in Wien sehr, das macht mir diese Stadt vertraut. Nur ist es in Wien noch schöner, renovierter, und auch die Natur, das Grün hat hier seinen Platz.
Obwohl Kvetas Terminkalender übervoll ist, findet sie immer wieder Zeit für Projekte. Ich durfte gemeinsam mit Ceija Stojka beim Verein Exil in einem Projekt zur Sensibilisierung von SchülerInnen mitwirken. Das Projekt bestand aus zwei Teilen: Im ersten Teil erzählte Ceija von ihren schrecklichen Erfahrungen im Konzentrationslager, im zweiten arbeitete ich mit den Jugendlichen. Besonders die SchülerInnen der 6. Klasse des Gymnasiums Hagenmüllergasse waren sehr engagiert. Die ProfessorInnen, die uns betreuten, waren auch sehr engagiert, besonders Professorin Gerti Pieper hat mich sehr unterstützt. Man gab uns viel Freiheit in der Gestaltung des Projekts, das vom Verein Exil finanziert wurde. Also bin ich mit den Jugendlichen gemeinsam auf die Straße gegangen, um Straßenmusiker, aber auch Bettler zu interviewen. Das sollte ihre Perspektive, was Menschen, die in Armut leben, betrifft, verändern.
Kveta erzählte in den Workshops aber auch aus ihrem Leben und brachte den Jugendlichen die Geschichte der Roma näher, um die Inhalte abzurunden.
Ich will verhindern, dass man Themen wie Armut und Betteln nur oberflächlich behandelt, ich wollte mit den SchülerInnen auch in die Tiefe gehen, die Ursachen ergründen.
Kveta gestaltete den Workshop absichtlich kontrovers: Sie als positives Roma-Role-Model aus geordneten Verhältnissen taucht mit den Jugendlichen in Tiefen unserer Gesellschaft, vor denen viele nur allzu gerne ihre Augen verschließen. Das provoziert einerseits und trägt andererseits zur Aufarbeitung jener heiklen Themen bei. Die Tabus, die sie zu brechen versucht, betreffen jedoch nicht nur Mehrheitsgesellschaft, sondern die Gruppe der Roma selbst. Damit geht sie selbstbewusst um: Mein Ziel ist es, etwas in der Gesellschaft zu bewegen, ich will die Menschen dazu bringen, diese Themen aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Die Jugendlichen waren sehr offen und haben, nachdem sie mit den Menschen auf der Straße gesprochen hatten, ein ganz anderes Bild als jenes, das ihnen die Medien tagtäglich vermitteln. Zum Abschluss veranstaltete das Gymnasium Hagenmüllergasse einen eigenen Roma-Tag in Kooperation mit dem Verein Exil. An jenem Tag wurden die Themen Betteln und Straßenmusik noch einmal verstärkt behandelt und bearbeitet. Das Ergebnis der Zusammenarbeit war ein kurzer Film und eine Fotoaustellung, die von den Gymnasiasten aktiv mitgestaltet wurde. Bei der Abschlussveranstaltung gab es auch eine Diskussion darüber.
Die Künstlerin sei sehr stolz auf die Teilnehmenden, denn sie hätten gemeinsam viel geleistet, und darüber hinaus hätten sich die Jugendlichen geöffnet. Ich glaube, sie betrachten die Dinge jetzt ganz anders als vorher, differenzierter. Sie verstehen jetzt, dass hinter dem Wort Roma Menschen stehen, die genauso sind wie sie: mit individuellen Gefühlen, Problemen und Erfolgen.
Tabuthemen öffnen
Die Thematik des Bettelns wird auch in ihrem Kurzfilm behandelt. Dieser beschäftigt sich mit dem Betteln, aber auch mit Straßenmusikern und den Reaktionen, die diese bei Passanten auslösen. Sehr authentisch und ehrlich werden sowohl die freiwilligen als auch die unfreiwilligen ProtagonistInnen des Films gezeigt. „Straßenkunst Kunst zum Überleben“ zeigt, dass mehr in Kveta Schubert steckt als nur eine begabte Fotografin. Sie hat auch das Talent der Empathie, das Talent, Tabuthemen zu öffnen, ohne Hass und Aggressionen auszulösen.
Die Zukunft wird schön, ist sie sich sicher. Ich bewerbe mich gerade an der Filmakademie, im September wird darüber entschieden, ob ich aufgenommen werde. Doch wie auch immer die Filmakademie urteilt der nächste Film ist schon in Planung. Wieder soll es um Roma gehen, wieder sollen Tabus gebrochen werden. Doch zu viel darf sie von dem Projekt noch nicht erzählen, denn die Förderung des ambitionierten Projekts ist noch nicht sicher. So ist der Künstleralltag. Für die Umsetzung von kreativen Ideen braucht man letzten Endes doch Geld Inspiration alleine reicht leider nicht. Ich bin aber guter Hoffnung, dass ich früher oder später meine Pläne in die Tat umsetzen kann. Zäh ist Kveta auf jeden Fall. Für die Förderung ihres ersten Kurzfilms musste sie zwei Jahre lang Sponsoren suchen. Es ist keine leichte Aufgabe, aber mit Engagement und positivem Denken kann man alles schaffen.
Mit jener positiven Einstellung geht sie auch an ihre aktuelle Ausbildung heran: Ich bin gerade in einer Ausbildung vom Wiener Integrationshaus zur MIGRA-Trainerin (ein Lehrgang für Personen mit Migrationshintergrund für den Bildungs- und Arbeitsmarkt, Anm.). Ich werde sie im November abschließen, aber die Zeit dort hat bereits jetzt mein Leben verändert. Ich lerne dort die Techniken, die ich brauche, um noch besseren Zugang zu den Menschen zu finden. Ich lerne dort, ein wahrer Beobachter zu werden und die richtigen Fragen zu stellen. Diese Ausbildung macht mir klar, wie gierig ich nach Wissen bin, und hat mich dazu motiviert, mich an der Filmakademie zu bewerben.
Sie sei mit ihrem Leben zufrieden und glücklich mit dem, was sie bisher geschafft habe. Sie glaube aber, noch mehr erreichen zu können. Und das könnte spannend werden, denn Kveta provoziert gerne. Alles hat seine Zeit. Ich schaffe Kunst, bei der Menschen ihre inneren Grenzen überwinden müssen, ihre Vorurteile und Konventionen. Ich werde auch andere Themen als Roma in den Fokus nehmen und bin gespannt, wie die Menschen darauf reagieren werden, erläutert sie mir begeistert.
Die Autodidaktin hat also noch viel vor. Es ist nicht leicht, gleichzeitig Ehefrau und Geliebte meines Mannes, Künstlerin und Mutter zu sein und außerdem noch eine Ausbildung zu machen. Manchmal wünsche ich mir einfach ein bisschen Ruhe, sagt sie. Aber still wird es um diese junge Frau sicher nicht so schnell.
Info:
Romano Centro, ein Verein für Roma, veranstaltet am Sonntag, dem 7. September, ein Fest auf dem Mexikoplatz im 2. Bezirk. Von 14 bis 21 Uhr spielen bei freiem Eintritt: Adrian Gaspars Gypsy Combo, Cement, Prilepski majstori, Ruza-Lakatos Nikolic und Aca Cergar. Darüber hinaus wird den jungen BesucherInnen ein Animationsprogramm, den Hungrigen Balkan-Küche und den Wissbegierigen ein Infotisch geboten.