Mit der Suburbinale hat Groß-Enzersdorf ein Stadtrand-Filmfestival von internationalem Format. Wie ist es dazu gekommen?
Mit Groß-Enzersdorf verbinden viele Menschen das Autokino, sonst eher wenig bis nichts. Dieses in Österreich einzigartige Filmtheater liegt am nordwestlichen Rand der Marchfelder Stadtgemeinde, die von acht Katastralgemeinden gebildet wird und von der Bundesstraße 3 (B3) durchaus geprägt ist. Nach ein paar Jahren im Dornröschenschlaf wurde das Autokino während der Pandemie wieder wachgeküsst. Schräg vis-à-vis der Lichtspielstätte befindet sich das 2010 eröffnete Marchfeldcenter, ein Einkaufszentrum mit rund 400 PKW-Stellplätzen. Zwar nur halb so viele wie im Autokino, trotzdem beachtlich. Dabei wäre es in der Innenstadt, die von einer knapp zwei Kilometer langen, sechs Meter hohen und weitgehend erhaltenen Stadtmauer umringt ist, nicht zu eng. Es gäbe genug Parkplätze, wie in einer aufschlussreichen Studie des Instituts für Raumplanung der TU Wien aus dem Jahr 2019 festgehalten wird.
In der topothek.at ist nachzulesen, dass es bis Ende der 1960er-Jahre auch ein klassisches Stadtkino, die Lichtspiele Enzersdorf gegeben hat. Das Kinogebäude musste schlussendlich einer Supermarktfiliale weichen. Trotz mehrerer Supermärkte, trotz Marchfeldcenter, trotz Lagerhaus, trotz Wochen- und Frischemarkt ist Groß-Enzersdorf in erster Linie keine Einkaufsstadt, sondern eine Autostadt. Den ultimativen Beweis dafür liefern die Bebauungsbestimmungen, darin heißt es: «Pro Wohneinheit sind 2 Stellplätze vorzusehen.» Dabei stellt nicht die türkise Autopartei, sondern seit 1982 durchgehend die SPÖ die Bürgermeister:innen. Welche Auswirkungen diese Bestimmung in Anbetracht des enormen Bevölkerungzuwachses hat – in den letzten 20 Jahren um rund 50 Prozent, Groß-Enzersdorf knackte jüngst die 12.000-Marke, mag mensch sich gar nicht ausmalen.
Filmfestival
Georg Vogt und Moritz Jahoda schütteln über dieses Stellplatz-Distinktionsmerkmal von Groß-Enzersdorf nur den Kopf, nicht nur, weil sie fahrradaffin sind. Der Grund für unser Treffen in der Isola Bella, einem Eissalon, der selbst an diesem kühlen Nachmittag viele Gäste beglückt, ist jedoch kein Verkehrs-, sondern ein Kulturthema. Aber bleiben wir noch kurz beim Gefrorenen: Groß-Enzersdorf ist eine Hochburg in Sachen Tiefkühlgemüse- und Fertiggerichteproduktion, denn viele Zutaten wachsen buchstäblich vor den Betriebstoren, da die Kombination aus Bodentypen und Klima für Feldfrüchte lange Zeit prädestiniert gewesen ist, doch mittlerweile setzt die Trockenheit dem Ackerbau zu.
Nun zum Eigentlichen: Die beiden oben Genannten zeichnen fürs Filmfestival Suburbinale verantwortlich, also für ein Vorstadt- bzw. Stadtrand-Filmfestival, das konsequenterweise auch in einer Vorstadt von Wien stattfindet. Somit kann auch das Mobilitätsthema nicht ausgespart bleiben.
Moritz Jahoda stammt aus Oberösterreich. Über Langenzersdorf und Wien hat es ihn vor elf Jahren ins Marchfeld verschlagen. Auch er kannte Groß-Enzersdorf zunächst nur durchs – ganz richtig – Autokino. In seinem neuen Lebensraum habe ihm das Konzept des Wegfahren-Müssens, um Kultur nach seinem Geschmack erleben zu können, «nicht mehr getaugt», also habe es für ihn «selber machen» geheißen. Daher rührt auch die «Machbarschaft», ein von ihm und seiner Frau Judith – übrigens die Betreiberin der Isola Bella – gegründeter Verein mit dem Zweck, «sich für eine verbesserte Wahrnehmung regionaler Angebote im Bereich Genuss, Kultur und Bildung zu engagieren». Den Anfang machte ein «kleiner, feiner Kultursalon», danach kam das Guerillakino, mobil mit einem mit Beamer ausgerüsteten Lastenfahrrad betrieben. Mit der Suburbinale und dem Sommerkino Marchfeld (heuer vom 28. Juli bis 19. August) erfolgte eine Filmexpansion. Ein weiteres Projekt, die Schule der Neugier, ist ein Angebot für Kinder und Jugendliche. Alles zusammen «ein bunter Strauß an Aktivitäten», so Moritz Jahoda.
Dilemma
Seinen Suburbinale-Kollegen Georg Vogt beschreibt der Machbarschaftler «in vielen Bereichen diametral gegenüberstehend», abgesehen vom Filminteresse hätten sie sich doch noch in einem weiteren Punkt getroffen, nämlich «in der Weiterentwicklung unseres Dorfes». Georg Vogt hat den Familienbetrieb, eine Bäckerei, nicht weitergeführt, er ist Kultur-, Filmwissenschaftler und Autor geworden. Kein Grund für ihn, Groß-Enzersdorf zu verlassen: «Ich bin mit meiner Situation hier zufrieden und verspüre daher keinen Impuls, woanders hinzugehen. Ich bin gerne am Stadtrand, im Grünen. Ich bin auch die Architektur und die Landschaft hier körperlich gewöhnt, weil ich hier seit 50 Jahren auf und ab gehe.»
Seine Motivation sei es, in seiner Heimatstadt in einem Bereich, in dem er sich auskenne, eine internationale Veranstaltung zu etablieren, was ihm auch, zumindest aus der Perspektive der Augustin-Vorstadtredaktion, eindrucksvoll gelungen ist. Nichtsdestotrotz steckt das Festival in einem Dilemma: Einerseits ist die Menge der Interessierten aus Groß-Enzersdorf überschaubar. Andererseits lässt sich das potenzielle Filmfestival-Publikum aus der Bundeshauptstadt nur schwer rauslocken. Doch «ein Stadtrand-Filmfestival zum Beispiel im Gartenbaukino stattfinden zu lassen – das geht sich für uns nicht aus. Wir haben uns für den schwierigen authentischen Weg entschieden, weil wir hier wohnen und weil wir diese Stadt und das Suburbane per se zur Diskussion stellen wollen», meint Moritz Jahoda.
Stadtgeschichten
Neben dem Hauptprogramm, einer Auswahl aus über 170 Einreichungen aus 30 Ländern, wird in der diesjährigen, und somit vierten Ausgabe der Suburbinale in Sonderprogrammen explizit auf lokale (historische) Themen Bezug genommen. Etwa in der Werkschau zu Elisabeth Guggenberger und Helmut Voitl. Die beiden Filmemacher:innen gelten als Pionier:innen der sanften Stadterneuerung in Wien. Sie haben Mitte der 1970er-Jahre mit Planquadrat ein partizipatives Projekt samt begleitender Medienarbeit initiiert, das es immer noch gibt. «Man kann sich überlegen, ob dieses Modell für Groß-Enzersdorf denkbar wäre», meint Georg Vogt. Oder die Kooperation mit dem Österreichischen Filmmuseum, um analoge Amateurfilme über Groß-Enzersdorf digital aufzubereiten, um auch sehen zu können, «welche Familien- und Stadtgeschichten in den Filmbeständen stecken», so der Filmwissenschaftler. Ein Gustostückerl daraus ist der vor zirka fünfzig Jahren gedrehte fünfminütige Film mit dem Titel Baubeginn. Ein Dokument der Familie Winkler über die Errichtung ihres (ehemaligen) Hotels am Sachsengang, dem wohl bedeutendsten Beherbergungsbetrieb im Bezirk Gänserndorf und zugleich Ausweichquartier für die Suburbinale, da sich die Renovierungsarbeiten des Stadtsaals von Groß-Enzersdorf verzögern.
Die Gegenwart wird mit Filmen über die LobauBleibt-Bewegung verhandelt, denn die geplante Schnellstraße samt Tunnel hätte massive Auswirkungen auf Groß-Enzersdorf, das auch Anteil an der Lobau hat. Ein weiterer erwähnenswerter Programmpunkt ist die Exkursion durch Essling (6. Mai, 10 Uhr, kostenlos), geleitet von der Landschaftsplanerin Sabine Gstöttner und Moritz Jahoda, denn dieser Wiener Stadtteil muss inzwischen als Vorstadt zu Groß-Enzersdorf betrachtet werden.
Outdoorkino
Zwischen Essling und der Downtown von Groß-Enzersdorf liegt eben das Autokino, das überraschenderweise der Suburbinale ein Programmfenster angeboten hat. Georg Vogt erklärt, «die Suburbinale ist erstmals im Autokino, das seit Corona wieder in Betrieb ist und sich auch aktiv Tätigkeitsfelder abseits des KFZ-Fokus sucht, zu Gast. Und zwar mit einem wunderbaren Midnight-Movie-Programm (6. Mai, 23 Uhr, bei Schlechtwetter im Festivalzentrum), bei dem wir die Vorstädte von Athen und Bern mit denen von Wien in Dialog setzen.»
Eine Alternative zur Anreise mit dem Auto oder mit dem Fahrrad böte der 26A (es gilt das Kernzonen-Ticket). Noch besser als eine Buslinie wäre die Wiederbelebung der 1970 eingestellten Straßenbahn von Floridsdorf nach Groß-Enzersdorf, doch bekanntlich ist auch die Wiener SPÖ eine Autopartei.
3. bis 7. Mai
Hotel am Sachsengang
2301 Groß-Enzersdorf, Schlosshofer Straße 60
Tageskarte/Festivalpass: 15/49 Euro
Es gilt der Kulturpass
www.suburbinale.com