Eine zerstörerische Krafttun & lassen

Deutsche Amazon-Kritiker_innen brauchen österreichische Solidarität

Günter Wallraff ist der bisher bekannteste Autor, der Ernst gemacht hat mit dem Vorhaben, den Internet-Handelsriesen Amazon zu boykottieren. «Amazon ist eine zerstörerische Kraft der Monopolisierung, die – sollte sich dieses Konzept durchsetzen – letztlich zum Schaden von uns allen sein wird. Und danach sieht es leider momentan aus», sagte er in einem Interview, das kürzlich im Internet-Medienbeobachter «nachdenkseiten.de» erschien.

Foto: Jan Woitas

Freilich ist es gar nicht so leicht, sich aus den Amazon-Fesseln zu befreien. Eine Stichprobe ergibt, dass Wallraff-Bücher immer noch bei diesem Online-Monopolisten geführt werden. Er habe seinem Verlag abverlangt, Amazon nicht mehr zu beliefern, allerdings unterlaufe der US-Konzern seinen Boykott, erklärt Wallraff. Bekanntlich wirbt Amazon damit, a l l e Bücher liefern zu können. «Also besorgt Amazon sich meine Bücher bei Zwischenbuchhändlern. Wenigstens können sie da nicht die Rabatte rausschinden, die sie sonst den Verlagen abverlangen.» Nach wie vor, so Wallraff, suche er nach einem juristischen Hebel, um auch das zu verhindern.

Immer mehr Menschen begreifen, meint der deutsche Aufdeckungs-Autor, was für eine gezielte Vernichtung des Buchhandels und letztlich auch der Verlage Amazon vorantreibt. Aktuell säge der Konzern über Brüssel an der Buchpreisbindung. Sollte hier eine Lockerung eintreten, stehe uns eine Verarmung der kulturellen Vielfalt bevor – und dann könnte Amazon letztlich auch unser Leseverhalten beeinflussen. Die Angst davor sei nicht übertrieben: «Wer einen Kindle-Reader hat, sitzt in der Falle, ist an Amazon gebunden. Und über Kindle-Geräte (zum Lesen elektronischer Bücher und Zeitungen – die Red.) analysieren sie per Algorithmen das Leseverhalten der Nutzer im großen Stil: Was wird gelesen, was markiert. In den USA finden die Ergebnisse aus dieser Kindle-Überwachung bereits Berücksichtigung, erste Autoren richten ihre Geschichten nach dem aus, was gefällig ist. So züchtet man ein auf vordergründige Bestsellerbedürfnisse getrimmtes Leseverhalten heran.»

Ein «Picker» läuft 15 km pro Tag

 

Günter Wallraff kommt dann auf die Arbeitsbedingungen zu sprechen, auf die Situation der Menschen etwa, die von den Arbeitsagenturen zur Arbeit bei Amazon verpflichtet wurden, obwohl sie körperlich gar nicht dafür geeignet sind. Als so genannter «Picker» ist man dort kilometerweit unterwegs. So bezeichnet man bei Amazon die Kräfte, die zu Fuß durch die gigantischen Hallen laufen müssen, Regalkilometer für Regalkilometer. Dabei haben sie Handscanner, um damit die Ware zu identifizieren und dann im schnellstmöglichen Tempo auf die Reise zu schicken. «Dabei werden sie noch ständig kontrolliert. Wer da mal einige Minuten irgendwo steht, ein Schwätzchen hält, wird bereits herbeizitiert und zur Rede gestellt. Diese Mischung aus absoluter Arbeitsanspannung, Tempo, Hektik und Kontrolle lässt regelmäßig Menschen zusammenbrechen. Dass bei Amazon der Notarzt vorfährt, ist keine Seltenheit. Etwa 15 Kilometer läuft ein Picker pro Tag. Bei den Riesen-Entfernungen innerhalb der Betriebe sind oft 10 Minuten vergangen, bevor man im Pausenraum ist. Dort steht man dann für den Kaffee häufig noch einmal Schlange. Für die Menschen ist das wie Arbeitslager – oder Zwangsarbeit.»

 

Entweder arbeitslos oder Ausbeutung – das seien die «Angebote» der Arbeitsagenturen.«Mir liegen Fälle vor, wo Diabetiker nicht mal ihren Traubenzucker oder Spritzbesteck mit an den Arbeitsplatz nehmen durften. Ein Diabetiker ist dann kollabiert. Angeblich ist das daraufhin mit einer Sondererlaubnis geändert worden – ich hoffe es zumindest», sagt Wallraff. Beschämend sei, dass die Arbeitsagenturen (entsprechen dem österreichischen AMS – die Red.) mit solchen Unternehmen zusammenarbeiten. Selbst eine Zeitarbeitsfirma habe die «unmenschliche» Behandlung von Leiharbeiter_innen bei Amazon kritisiert und wegen «sittenwidriger Verträge» abgelehnt, Arbeiter_innen dorthin zu vermitteln.

 

Nur die Illusion, vielleicht doch fest angestellt zu werden, hält die Betroffenen bei Amazon. Weil etwa 80 Prozent des Geschäfts bei Amazon sich auf die Weihnachtszeit konzentriert, sind viele Amazon-Sklav_innen Saisonarbeiter_innen: Nach der Saison zurück in die Arbeitslosigkeit! Die absolut schlechtestbehandelten Amazon-«Mitarbeiter_innen» seien die «Postler_innen» des Versandkonzerns: «Ich habe in den letzten Monaten wieder viel in der Paketbranche recherchiert – einem Tentakel dieses Kraken Amazon. Diese sind die letzten in dieser Kette. Da sind viele heute noch mit 14 Stunden pro Tag unterwegs, verdienen unterm Strich zwischen 2 und 4 Euro pro Stunde. Prekäre Arbeitsverhältnisse, bei denen die Menschenwürde auf der Strecke bleibt.»

 

Wieder zerplatzt ein burgenländischer Traum

 

Durch Streiks in der Weihnachtsgeschäftszeit wollte die deutsche Gewerkschaft Verdi Druck auf die Konzernleitung ausüben. Das scheint nicht gelungen zu sein – zumindest nach Konzernmeldungen, wonach Amazon «das beste Weihnachtsgeschäft aller Zeiten» erzielt habe. Darum müsste 2014 der Arbeitskampf ausgeweitet werden, betonte eine Verdi-Funktionärin. Am besten wäre ein Streik an allen derzeit acht deutschen Logistikzentren, fügte sie hinzu.

 

Amazon könnte sich durch eine Verlagerung der deutschen Standorte in ex-kommunistische Länder unabhängig von einer sich radikalisierenden deutschen Gewerkschaftsbewegung machen, falls radikale Interessenspolitik überhaupt eine Option der deutschen Gewerkschaften ist. Ende des Vorjahres war den Medien zu entnehmen, dass der Online-Einzelhändler fünf neue Logistikzentren in Polen und Tschechien aufbauen will. Ungefähr 10.000 Arbeitsplätze würden dafür gebraucht werden – allesamt noch schlechter bezahlt als die derzeit 9000 Beschäftigten der deutschen Standorte. Dieses osteuropäische Engagement von Amazon erklärt auch, warum das Burgenland nicht zum Zuge kommt. Noch im Sommer 2013 hatte der VP-Bürgermeister der Gemeinde Rudersdorf, Franz Tauss, von einer «einmaligen Chance» für das Südburgenland geschwärmt, zumindest nach einem Bericht von ORF Burgenland.

 

Nie werden wir erfahren, zu welch günstigen Bedingungen dem US-Konzern die zehn Hektar große Fläche direkt neben der künftigen Schnellstraße S 7 angeboten worden wäre – wenn Amazon diesen Standort überhaupt in Erwägung gezogen hätte. Das war nicht der Fall, wie der Bürgermeister gegenüber dem Augustin zugab. Die 2000 Arbeitsplätze der «mit Abstand größten Betriebsansiedlung im Burgenland» erwiesen sich als x-tes Glied einer Kette der burgenländischen Vollbeschäftigungsmärchen. Da ist in der Kommunikation einiges schief gelaufen, beteuert nun das Ortsoberhaupt – dem, wie den meisten seiner Bürgermeisterkolleg_innen, der Beschäftigungseffekt wichtiger ist als die Sorge, demütigende bis fragwürdige Beschäftigungsformen zu verhindern. «Wenn ein Global Player in Österreich ein Betriebsgelände nicht einmal geschenkt will, kann man sich ungefähr vorstellen, wie großzügig man ihm im Osten in den Arsch kriecht», meint ein lokaler Insider, der nicht genannt werden will.

 

«Wenn ich eine Firma hasse, dann diese!»

 

Österreichische Amazon-Kund_innen werden in Zukunft nicht von Rudersdorf, sondern von Tschechien aus versorgt. Amazon.at führt überlegen die Top-Liste der zehn Online-Shops mit den österreichweit stärksten Umsätzen an. Zusammen mit der Adresse amazon.com erwirtschaftete das US-geführte Versandhaus im Schnitzelland 246 Millionen Euro (2011) und verwies Universal.at (84 Millionen) und Ottoversand.at (60 Millionen) auf die Plätze zwei und drei. Wenn sich Österreicher_innen auf irgendeine Weise mit dem Arbeitskampf bei Amazon Deutschland solidarisieren würden, könnte das für den Konzern also schmerzlich sein.

 

Der Eröffnungstag der Wiener Buchmesse im vergangenen November war kein Feiertag für den Online-Shop. Die Büchner-Preis-Trägerin Sibylle Lewitscharoff, über die Zukunft des Buches sprechend, fand starke Worte gegen das Amazon-Monopol: «Wenn ich eine Firma hasse, dann diese!» Die Schriftstellerin konkretisierte: «Amazon bezahlt keine Steuern in den Ländern, in denen dieser widerliche Club eine Menge Geld verdient, er bezahlt seine Angestellten empörend schlecht, ruiniert die Buchhändler und zunehmend auch die Verlage.» Mittlerweile gebe es in manchen Stadtteilen von Rom, wo die gebürtige Stuttgarterin derzeit als Stipendiatin der Villa Massimo lebt, keine Buchhandlung mehr. «Das, mit Verlaub, ist eine ziemlich scheußliche neue Welt.»

 

Amazon umgehe und unterhöhle systematisch alle Regeln und Gesetze, an die sich alle anderen halten und die für alle anderen gelten: die Steuergesetze in unseren Ländern, den in Österreich und Deutschland gesetzlich geregelten festen Ladenpreis bei Büchern und die Arbeitsgesetze und tarifvertraglichen Regelungen. Das ist einer Stellungnahme des Sprechers der Interessensgemeinschaft der österreichischen Autor_innen, Gerhard Ruiss, entnommen. «Die IG fordert alle involvierten Einrichtungen auf, umgehend und nachhaltig auf die bei Amazon bekannt gewordenen Missstände zu reagieren. Sie erwartet sich von den Verlagen, die ihre Kolleginnen und Kollegen verlegen, dass sie gemeinsam mit ihr gegen diese Missstände ankämpfen.»

 

Im Blog des deutschen Amazon-Kritikers Alexander Schmidt (http://lbrl.de/2-blog/8-so-kuendigte-ich-mein-konto-bei-amazon) sind konkretere Schritte gegen die Macht des Handelskonzerns angeführt. Der Blog informiert auch über «10 gute Gründe, nicht bei Amazon zu kaufen.» Schmidt: «Der beste Kauf ist in einem lokalen Geschäft, bezahlt mit Bargeld. Doch online kaufen ist bequem. Es gibt zahlreiche Alternativen zu Amazon im Netz. Ein gutes Kaufverhalten ist, man kauft nicht immer im gleichen Shop ein. Dennoch, wer an Amazon gewöhnt ist, kann dort vielleicht weiterhin nachschauen, um dann, wenn man sich für den Kauf eines Produktes entschieden hat, woanders zu kaufen. Somit geht Amazons Umsatz zurück, und man unterstützt nicht mehr aktiv Überwachung und Zensur.»

Statt Amazon:

www.utopia.de/magazin/alternativen-zu-amazon

www.erfahrungen.com/mit/Amazon-de/alternativen/