Einen Unterschied machenvorstadt

Mit Dobrze gibt es in Warschau ein selbstverwaltetes Supermarktprojekt. Es bietet regionale Lebensmittel möglichst breitenwirksam an und mischt dabei schon mal in der Politik mit. ­­ ­
Text & Fotos: Christian Kaserer

Zugegeben: Von Polen hört man in den letzten Jahren aus den Medien eher beklemmende Dinge, und wenig Positives dringt in den deutschen Sprachraum hinein. Tatsächlich waren die ersten Eindrücke, welche der Autor von Warschau sammeln konnte, dem gemeinhin verbreiteten Bild des Landes entsprechend. Ein mit Lautsprechern bestücktes Automobil, das an gut besuchten Plätzen hielt und mit lautstarken Reden gegen Homosexuelle hetzte, war da nur die Spitze des Eisbergs. Aber wie überall gibt es natürlich auch hier eine andere, eine positive und der Zukunft zugewandte Seite. Gerade junge Menschen wollen ihr Land verändern, es offener, demokratischer, sagen wir, kosmopolitischer machen. Wie auch hierzulande gibt es diverse Initiativen und Bewegungen mit dem Potenzial, dem Land nachhaltig ihren Stempel aufzudrücken.

Wissen, woher das Essen kommt.

Eines dieser Projekte ist Dobrze – polnisch für gut. Auf den ersten Blick ist Dobrze lediglich ein Nahversorger, vielleicht ein kleiner Supermarkt, aber dahinter steckt mehr. «Wir sind keine normale Firma. Also eigentlich überhaupt keine Firma», beginnt Nina Józefina Bąk, die Pressebeauftrage von Dobrze, das Gespräch. Rein rechtlich sind sie, so berichtet Frau Bąk, ein Verein, in der Praxis allerdings eine Kooperative. «Wir wollten einen Unterschied machen. Wir wollten etwas im Leben der Menschen verändern, etwas tun, das einen nachhaltigen Einfluss hat. Wo geht das besser als bei Lebensmitteln? Jeder Mensch muss essen. Deswegen hatte ich mich 2015 mit einer kleinen Gruppe von Leuten entschieden, die demokratische Kooperative Dobrze zu gründen, die Menschen in Warschau mit regionalen und nahhaltigen Lebensmitteln versorgt.» Das erinnert an die in Österreich so beliebten Food-Coops, allerdings gibt es bei beiden Modellen durchaus Unterschiede. Bei Food-Coops handelt es sich um einen Zusammenschluss von Menschen, die bei landwirtschaftlichen Produzent_innen gemeinsam ihre Lebensmittel erwerben und somit die in der modernen Gesellschaft entstandene Entfremdung zwischen Konsument_innen und Produzent_innen zwar nicht aufheben, aber doch verringern. Kurz gesagt: Diese Menschen wollen wissen, woher ihre Nahrung stammt. Bei Dobrze wollen die Konsument_innen das freilich auch, allerdings erledigt die Kooperative die Arbeit. «Inzwischen sind wir enorm gewachsen. Wir haben zwei Läden in Warschau und etwa 120 Lieferungen jede Woche. Die meisten davon aus Polen und der unmittelbaren Umgebung, aber nicht nur. Natürlich bekommt man bei uns auch Südfrüchte, aber wir wissen, woher sie stammen. Das ist, denke ich, der Unterschied für die Konsument_innen.»

Demokratisch organisiert.

Aber nicht nur die Konsument_innen spüren bei Dobrze einen Unterschied, auch die Mitarbeiter_innen bemerken, dass das kein gewöhnlicher Supermarkt ist. «Wir sind komplett demokratisch organisiert. Bei uns entscheiden alle Mitglieder, was als Nächstes passiert, wohin das Geld fließt, was gekauft wird, was nicht.» Auf den ersten Blick klingt das gut, kann in der Praxis allerdings durchaus Probleme machen und gestaltet sich mit zunehmender Größe immer schwieriger. Nina Józefina Bąk weiß davon ein Lied zu singen. «Anfangs waren wir 15 Leute, die in verschiedenen Schichten gearbeitet haben. Alles lief, aber es lief halt irgendwie, und der Stress nahm zu. Da ich für die meisten verwaltungstechnischen Dinge verantwortlich war, kam ich an meine Grenzen. Ich hatte einen Zusammenbruch, zog mich für einige Monate komplett zurück, und als ich wiederkam, hatten wir uns auf eine ganz neue Organisation geeinigt. Für bestimmte Aufgaben, wie etwa die Pressekontakte, gibt es eine demokratisch gewählte verantwortliche Person. Bei den anderen Aufgaben rotieren wir. Die Arbeit an der Kassa ist teilweise ausgesprochen anstrengend, also kommt jeder einmal dran, an der Kassa zu sitzen. So wie auch jeder einmal drankommt, die Lieferungen entgegenzunehmen und zu schlichten. Mit diesem rotierenden Prinzip wollen wir nicht nur, dass die Arbeit abwechslungsreich ist, wir wollen auch, dass alle eine Ahnung von den verschiedenen Aspekten bei Dobrze haben. Es ist ein Teil unserer internen Demokratie. Nur wenn jeder weiß, was so an Arbeit anfällt, kann man doch erst wirklich gemeinsam entscheiden, was das Beste für die Kooperative ist», berichtet Nina Józefina Bąk nicht ohne Stolz.

Sprung in die Politik.

Dobrze ist über die vergangenen Jahre für so kleine Verhältnisse stark gewachsen. Einerseits kam ein zweiter Laden hinzu, andererseits zählen nun schon über 400 Menschen zum Kreis der Mitglieder und Unterstützer_innen. Eine gewisse gesellschaftliche Bedeutung ist also nicht abzustreiten, und da scheint es nur natürlich, dass die Kooperative nun auch beginnt, in der Politik mitzumischen. «In der Politik mitmachen ist vielleicht zu viel gesagt, aber wir sind dabei, Gespräche mit dem Landwirtschaftsministerium zu führen. Es geht darum, wie die Landwirtschaft sich in Polen verändern muss, damit sie nachhaltiger werden kann. Darüber hinaus organisieren wir in Warschau mehrmals im Jahr öffentliche Debatten zu diesen Themen, und natürlich sind wir auch in bestimmten Bündnissen aktiv. Eines davon heißt beispielsweise Fruchtbarer Boden. Wir wollen – und das ist für uns sozusagen ein Teil unserer Mission – den Menschen bewusstmachen, woher ihre Lebensmittel kommen, wie kostbar sie sind.» Bewusstseinsbildung ist ein langsamer, arbeitsintensiver Prozess, der sich aber letztlich bezahlt macht. Grund zur Hoffnung auf lange Sicht? Nina Józefina Bąk bleibt skeptisch. «Ich bin seit über zehn Jahren Aktivistin, und ich merke, es geht alles sehr, sehr langsam. Mal sehen, ob wir wirklich groß etwas verändern können. Aber wer, wenn nicht wir?»

Supermärkte in Polen
Die Supermarktbranche in Polen ist zu etwa 90 Prozent in Händen polnischer Konzerne, der Rest stammt aus Deutschland (Aldi, Lidl), den Niederlanden (Spar), Frankreich (Carrefour), Dänemark (Netto) und Großbritannien (Tesco). Etwa ein Drittel der polnischen Supermärkte gehört dem börsennotierten Handelskonzern Eurocash, dessen größter Anteilseigner (mit über 40 Prozent) der Portugiese Luis Amaral ist. Märkte, die sich auf ein regionales Angebot spezialisierten, nehmen einen verschwindend geringen Teil ein.