Ausreichend kostenlose öffentliche WC-Anlagen gehören zu einer lebenswerten Stadt. Eine Bestandsaufnahme der öffentlichen Bedürfnisanstalten in Wien, wo gerade ein bedenklicher Weg zum Klo eingeschlagen wird.
TEXT & FOTOS: MICHAEL SCHÖN
«Wenn ich im Dienst aufs Klo muss, geh’ ich zum Eurospar, dort kann man gratis aufs Klo gehen. Wenn ich unterwegs bin, hab’ ich eine App am Handy, die mir öffentliche Toiletten in meiner Nähe anzeigt», erzählt mir Marie, die als Promoterin jobbt und auf der Mariahilfer Straße Patenschaften für arme Kinder aus Sierra Leone verkauft. Nur wenige Meter von Marie entfernt, befindet sich das nächste öffentliche Klo. Wer dort sein Geschäft verrichten möchte, muss 50 Cent bezahlen und davor 23 Stufen überwinden – freien Eintritt haben nur Männer, die das Pissoir benutzen. Das nächste öffentliche Klo ist am Spielplatz im Andreaspark, 350 Meter geradeaus und zweimal rechts. An diesem Freitagnachmittag ist der Spielplatz voll. Das Klo ist versperrt.
Damenpissoir.
Doch nicht nur Marie und ihre Arbeitskolleg_innen sind von der Toilettennot in Wien betroffen. Frauen, wohnungslose, ältere, kranke und behinderte Menschen sind besonders auf öffentliche WC-Anlagen angewiesen. Auf knapp 1,9 Millionen Einwohner_innen kommen in Wien 159 öffentliche WC-Anlagen, die von der MA 48 betreut werden. 27 davon sind erst nach dem Entrichten der Benutzungsgebühr in der Höhe von 50 Cent zu betreten. Hingegen können alle von der MA 48 betreuten Pissoirs kostenlos aufgesucht werden. Frauen zahlen auch für das kleine Geschäft.
2010 reichte eine Frau bei der Gleichbehandlungskommission im Bundeskanzleramt Beschwerde gegen diese Ungleichbehandlung ein – erfolglos! Die Dienstleistungen seien nicht miteinander zu vergleichen, und der rein physische Unterschied zwischen Mann und Frau führe dazu, dass es sich um keine vergleichbare Situation handle. Die Klobetreiberin hatte erfolgreich damit argumentiert, dass Pissoirs in der Errichtung, Instandhaltung und Reinigung günstiger wären. Pissoirs für Frauen hätte sie zwar angedacht, sich aufgrund baulicher Maßnahmen und dem erhöhten Kostenaufwand jedoch dagegen entschieden.
Erleichterung auf Zeit.
Frauen sind zumeist dazu erzogen, dass sie ihre Notdurft nicht auf der Straße oder am Rand eines Parks verrichten, während das für Männer oft eine Selbstverständlichkeit ist. Ein Ort, an dem man das gut beobachten kann, ist der Donaukanal. Die Toilettennot beschäftigt dort die angrenzenden Bezirke schon lange. Wegen der coronabedingt geschlossenen Clubs ist der Kanal zur Partymeile der Jungen geworden, Nächte mit tausenden Gästen sind hier keine Seltenheit. Wenn man hier an einem Samstagabend unterwegs ist, trifft der Geruch von Marihuana auf beißenden Urin-Gestank. In Abständen von nur wenigen Metern stehen meist junge Männer an Mauern, Ecken oder bei Bäumen und erleichtern sich. Denn der Weg zum nächstgelegenen Klo kann lang und vergeblich sein. Um der Toilettennot am Donaukanal entgegenzuwirken, hat der 2. Bezirk Mitte Juni sechs zusätzliche
Mobil-Klos aufgestellt. Jeweils drei davon stehen unter der Schwedenbrücke und unter der Salztorbrücke, jedoch nur am linken Donaukanalufer. An diesem warmen Samstagabend ist der Donaukanal gut besucht, die Mobil-Klos bereits gegen 22 Uhr fast randvoll und das Klopapier aus. Wer sich erleichtern möchte, geht auf das Klo neben dem Lokal Blumenwiese, Männer und Frauen müssen dort 50 Cent bezahlen. Anders im Lokal Tel Aviv Beach, dort können die Klos kostenlos mitbenutzt werden. Wenige Meter vom Tel Aviv Beach hat die MA 42 einen WC-Container aufgestellt. Wer dort aufs Klo geht, muss 50 Cent bezahlen – und um 23 Uhr sperrt der Container zu.
Ab Mitternacht verschärft sich die WC-Situation am Donaukanal. Wenn die Lokale und das Container-Klo beim Schützenhaus geschlossen haben und die Mobil-Klos anfangen überzulaufen, dann bleibt nur mehr das etwa zehn bis 15 Gehminuten entfernte öffentliche Klo bei der Robertstiege.
Alltagsdiskriminierungen.
Für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen stehen am Donaukanal seit Kurzem zwei öffentliche Mobil-Klos zur Verfügung. In ganz Wien sind 132 öffentliche WC-Anlagen mit Behindertenkabinen ausgestattet. Martin Ladstätter, Obmann des Vereins Bizeps – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben, kritisiert, dass es in Wien zu wenige barrierefreie WCs gebe: «Ohne ausreichend barrierefreie WCs werden Menschen mit Behinderungen an der Teilhabe gehindert. Gerade das fast völlige Auslassen der Gastronomie ist in Wien ein großes Problem», meint Ladstätter dem Augustin gegenüber.
Auf ein ausgesprochen unsensibles Vorgehen im Bezirk Währing machte das Bündnis Behinderte Menschen Inklusiv (BMIN) erst kürzlich aufmerksam. Die Lokalpolitik rühmt sich mit der Errichtung von Öko-Klos in Parks. Diese sind vielleicht nachhaltig, aber bestimmt nicht mit einem Rollstuhl befahrbar. Im Blog von BMIN ist in einem Eintrag vom 16. Juni zu lesen: «Wir verstehen nicht, dass neue WC-Anlagen in Wien aufgestellt werden, die dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz, dem Wiener Antidiskriminierungsgesetz, den nationalen Vorgaben der ÖNORM B-1600 und den funktionellen Mindestanforderungen der europäischen Norm EN17210 widersprechen. Dies sind jene Alltagsdiskriminierungen, die wir glaubten, überwunden zu haben.»
Vom Aussterben bedroht.
Neben der MA 48 sind auch die Wiener Linien wichtige Betreuerinnen von öffentlichen WC-Anlagen. Aktuell sind sie für rund 50 Klos, die größtenteils kostenfrei benutzbar sind, zuständig. Für Martin
Ladstätter ein «ungenügender und ernüchternder» Istzustand, doch es wird noch dicker kommen: Bis Ende des
Jahres soll die Anzahl der Toiletten auf 31 sinken, und künftig muss auch hier 50 Cent Eintritt bezahlt werden.
Standen im Jahr 2000 noch 340 öffentliche WC-Anlagen zur Verfügung, gibt es mittlerweile nur mehr weniger als die Hälfte. Obwohl es im STEP 25 – Fachkonzept Öffentlicher Raum, das im Jänner 2018 vom Wiener Gemeinderat beschlossen worden ist, explizit heißt: «Ausreichend öffentliche Toiletten im (teil)öffentlichen Raum sind in einer zeitgemäßen Stadtentwicklung unabdingbar. Sie erhöhen die Chancen auf Teilhabe im hohen Maße, vor allem bei älteren Menschen, Kindern, Jugendlichen und marginalisierten Menschen.» Man weiß also in der Theorie Bescheid, doch in der Praxis dürfte sich offensichtlich der Faktor «Wirtschaftlichkeit» durchsetzen, denn ob Toiletten restauriert, neu gebaut oder erhalten bleiben sollen, wird von der MA 48 laufend geprüft und, «sofern wirtschaftlich vertretbar, umgesetzt», gibt die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit Nicole Puzsar auf Anfrage bekannt. Künftig sollen in Wien bevorzugt WC-Anlagen mit permanenter Personalbetreuung umgesetzt werden. Diese Anlagen sind zwar zumeist sauberer als jene Anlagen ohne Betreuungspersonal, aber nie gratis.
Am Yppenplatz im 16. Bezirk steht ein solches personalbetreutes Vorzeige-Klo, eine Sanitäranlage der Sonderklasse. Für 50 Cent findet man sich in einem Wald wieder, aus Lautsprechern wird Vogelgezwitscher abgespielt. Eines der wenigen öffentlichen Klos in Wien, das zum Verweilen einlädt. Auf Knopfdruck klappt sich die Klobrille herunter, und der Seifenspender ist elektrisch gesteuert. Künftig soll es mehrere solcher Hightech-WC-Anlagen in Wien geben.
Fleckerlteppich.
Rund 12.000 Einwohner_innen teilen sich in Wien eine öffentliche WC-Anlage. In vielen Teilen Wiens sind öffentliche Klos Mangelware. In Rudolfsheim-Fünfhaus, dem 15. Bezirk, gibt es keine einzige öffentliche WC-Anlage. Wer dort bei einem Spaziergang ein Klo braucht, muss in angrenzende Bezirke ausweichen. Von der U-Bahn-Station Schweglergasse sind es etwa 850 Meter, zwei Bim-Stationen, bis zum nächsten öffentlichen Klo am Urban-Loritz-Platz. Im 4. Bezirk Wieden teilen sich knapp 33.000 Einwohner_innen ein einziges öffentliches Klo. In Bezirken mit einer geringen Dichte an öffentlichen WCs schließt die Stadt vermehrt Verträge mit Lokalbesitzer_innen ab, die gegen eine Aufwandsentschädigung ihre Toiletten kostenlos zur Verfügung stellen. Das Problem hier: Die Klos sind nur zu den Öffnungszeiten der Lokale zugänglich.
Im Sommer behelfen sich die Bezirke nicht nur am Donaukanal mit Mobil-Klos. Ein solches kostet den Bezirk monatlich zwischen 350 Euro für ein Standard-WC und 600 Euro für ein behindertengerechtes Mobil-WC. Das Erlebnisklo am Yppenplatz hat die Stadt Wien 330.000 Euro in der Errichtung gekostet. Die meisten dieser mobilen Klos, die oft in der Nähe von Kinderspielplätzen und in Parks aufgestellt werden, sind jedoch weder barrierefrei noch groß genug, um einen Kinderwagen darin zu parken. Zudem stinken sie oft, und es fehlt an der Grundausstattung, wie Toilettenpapier, Seife und fließendem Wasser.
«Haglich darf man nicht sein, wenn man unterwegs arbeitet», sagt Didi, ein Taxifahrer. Er ist vor allem nachts unterwegs. Wenn er im Dienst aufs Klo muss und kein Klo in der Nähe ist, stellt er sich zum Urinieren zwischen zwei Autos.