Bevor der Opernstar die Bühne betritt, schlüpft er ins Kostüm. Passt es? Drückt es? Schlabbert es? Ein Blick hinter die Kulissen zu saisonalen und fix angestellten Kostümschneider_innen.
Text: Eva Maria Bachinger
Fotos: Carolina Frank
Sophie Rois steht auf der Bühne der Salzburger Festspiele. Die Schauspielerin trägt eine Seidenrobe in dem Stück Hunger von Knut Hamsun. Wie das Kostüm der Buhlschaft in Jedermann sein wird, scheint vor den Festspielen fast wichtiger zu sein als die Schauspielerin, die es trägt. Damit Künstler_innen in ihrer Rolle so glänzen, ist nicht nur Talent und Schminke wesentlich, sondern auch das Kostüm. Doch die Produzent_innen all dieser fantastischen, bunten, eleganten, ausdrucksstarken Stücke bleiben meist im Hintergrund. Dabei setzen sie die Ideen der Kostümbildner_innen um: Sie zeichnen die Schnitte und versuchen das Bild mit ihrer Nähkunst an den Körper zu bringen. «Manchmal denkt man sich, was hat sich der Kostümbildner nun wieder ausgedacht?! Es ist aber ein schöner Moment, wenn man das geschneiderte Kostüm schließlich auf der Bühne sieht, im richtigen Licht, und wenn es großartig an den Schauspielern aussieht», erzählt eine Frau, die als Saisonkostümschneiderin in Salzburg arbeitet.
Schneiderei auf der Insel.
Für die Salzburger Festspiele wird auf der Pernerinsel in Hallein eine temporäre Schneiderei eingerichtet. Die Arbeitszeit der etwa acht Schneider_innen liegt zwischen 8 und 18 Uhr, sechs Tage die Woche. Bis zu acht Wochen lang kann der Arbeitseinsatz dauern. Die Bezahlung sei «in Ordnung»: Tagessatz 115 Euro brutto für 6,3 Stunden, Überstunden werden bis zur zehnten mit 50 Prozent extra honoriert. Kosten für die Anreise werden ersetzt, wenn es mehr als 150 Kilometer sind. Zudem gibt es eine Tagespauschale für Spesen von 35 Euro, gewohnt wird im nahegelegenen Student_innenheim.
Die Schneider_innen bleiben die ganze Zeit in ihrer Werkstatt, auch die Anproben finden hier statt. Wenn bei der eigentlichen Aufführung ein Knopf abfällt oder etwas reißt, dann sind dafür eigene Ankleider_innen vor Ort angestellt. Kein Traumjob, weil es im Theater starke Hierarchien gebe.
Die Arbeit in der Schneiderei kann auch recht monoton sein: So gibt es sogenannte Weißnäher_innen, die den ganzen Tag Blusen und Hemden herstellen. Die Branche sei insgesamt schwierig: «So viele Stellen gibt es nicht, und viele Gewandmeister hangeln sich von Festival zu Festival», erzählt ein Kenner der Szene. Die Festspiele seien ein attraktiver Arbeitgeber, denn es gebe hohe Budgets, und die Kostüme können sehr aufwändig produziert werden. Alles sei vom Feinsten. «Aber man muss flexibel und frustrationstolerant sein. Denn dann ist das Sakko fertig, und der Schauspieler trägt es auf der Bühne, doch dem Regisseur gefällt plötzlich die Farbe nicht, er will es nun in Rot, dann geht alles wieder von vorne los. An einem Herrensakko arbeitet man aber bis zu 80 Stunden. Das ist die Realität in Salzburg.» Sophie Rois stand mit ihrem Seidenkostüm vor allem im Bühnenregen. Nicht ideal für Seide: Doch bei der Stoffauswahl wusste noch niemand, dass das Kostüm jeden Abend nass wird. «Mit viel Daumen drücken und sehr, sehr viel bügeln» hätten die Schneider_innen es jedes Mal gerettet.
Hunderttausend Kostüme.
«Eines noch, dann bin ich fertig.» Konstanze Koza sitzt an einem Arbeitstisch in der weitläufigen Damenschneiderwerkstatt des Wiener Kostümverleihs Lambert Hofer und näht Häkchen an eine Korsage für eine Tänzerin in der Operette Die lustige Witwe an der Volksoper. «Kostümschneiderei ist sicher das Kreativste, was man angestellt machen kann. Und es hat ein tolles Flair», meint die 31-jährige Wienerin. Sie hat ein zweijähriges Kolleg an der HBLA für Mode und künstlerische Gestaltung in der Herbststraße absolviert sowie ein Jahr Meisterklasse mit Schwerpunkt Kostüm. Ihr Interesse dafür wurde bereits im Gymnasium geweckt, als sie in einer Theatergruppe mitgewirkt hatte. Koza arbeitet nun seit acht Jahren hier. «Es ist schön, dass man nicht immer dasselbe macht, weil man die Ideen von anderen umsetzt und nicht nur die eigenen. Es ist sehr abwechslungsreich.»
Der Kostümfundus bei Lambert Hofer ist schlicht beeindruckend: Auf drei Stockwerken sind hunderttausende Kostüme aus Film, Theater, Oper und Fernsehen zu bestaunen. Die Kostüme, die man teilweise auch privat ausleihen kann, sind nach Epochen und Farben geordnet, mit Spitze, Rüschen, Federn und Pelz, oft aufwändig produzierte Einzelstücke in hoher Qualität. Asterix-Obelix-Kostüme, Biedermeierkleider oder Militäruniformen, Kostüme von der legendären Peter-Alexander-Show, auch die Originalkostüme von Romy Schneider für die Sissi-Filme sind hier gut verwahrt.
Die Firma kann auf eine lange Geschichte zurückblicken: Im Jahr 1862 wurde sie gegründet, nun wird der Familienbetrieb in einem schlichten Bau an der Simmeringer Hauptstraße in fünfter Generation von Cornelia Hofer geführt. Heute sind vier Schneiderinnen in der Werkstatt. Nicht wegen der Corona-Vorgaben ist hier so viel Platz: «Es gab Zeiten, da gab es 120 Mitarbeiter, mehr als die Hälfte waren Schneider. Nun sind wir 20.» Die Schneiderinnen rufen sich die Filmtitel zu, die man bereits mit Kostümen ausgestattet hat: «Maikäfer flieg, Mission Impossible mit Tom Cruise war auch dabei, oder Das finstere Tal, Der Trafikant, Woman in Gold, Sieben Jahre in Tibet, sogar Gangs of New York … irgendeinen James Bond hatten wir auch mal.» Filmcrews werden hauptsächlich durch den Kostümfundus bedient, öfters sind Anpassungen nötig. Wenn ein Film abgedreht ist, kommen die Kostüme wieder zurück und warten auf einen neuen Einsatz. «Es gibt Kostüme, die gehen wie die warmen Semmeln weg, und andere hängen fünfzehn Jahre lang. Öfter kann man beliebte Größen wie 36 oder 38 in gedeckten Farben verwenden, schwieriger sind die kleinen Größen oder Knallfarben, die nicht wirklich in eine Zeit passen, oder ein Cleopatra-Kostüm», erklärt Koza. Eine Kollegin, die schon länger im Haus ist, habe alles im Kopf und wisse genau, wo welches Kostüm ist. Weggegeben werde selten etwas. Denn wer weiß, ob es nicht ein Regisseur dann doch wieder brauchen kann. Neuanfertigungen machen die Werkstätten vor allem für Oper und Theater. «Manche Kostüme sind so extravagant, mit drei Meter Schleppe oder einem Kilo Federn drauf, dass wir im Fundus gar nicht schauen müssen, weil es das Kostüm ziemlich sicher nicht gibt», so Koza.
Enger, weiter, andere Farbe.
Kostümschneiderei bedeutet viel Handarbeit und spezielles Know-how über alte Nähtechniken. Schwierig sei es heute, gute Materialien zu bekommen, wie etwa hochwertige Seide, eine schöne, alte Spitze, berichten die Schneider_innen. Früher habe man in Wien aus dem Vollen schöpfen können, heute müsse man von weither bestellen. So eine Lieferung kann dauern. Gleichzeitig haben sich die Vorlaufzeiten für Produktionen wegen Budgetverhandlungen verlängert, die Produktionszeiten verkürzt, das verursache Stress.
Koza ist froh, geregelte Arbeitszeiten zu haben. Abendtermine seien die Ausnahme, etwa wenn man zur «Klavierprobe» kommen muss, bei der die Schauspieler_innen zum ersten Mal im Kostüm auftreten. «Da sieht man, wie es auf der Bühne wirkt. Oder es stellt sich heraus, dass noch Änderungen nötig sind, weil der Reißverschluss für einen Schnellumzug nicht geeignet ist oder die Schauspielerin abgenommen hat, weil die Proben so anstrengend waren.» Sehr unterschiedlich seien die Künstler_innen bei der Anprobe. «Manche sind einfach nur überglücklich, ich bin so schön, warum wollt ihr was ändern, andere sind unglücklich, weil sie glauben, es ist ihre Schuld, wenn ein Kostüm zu groß oder zu klein geworden ist. Andere schauen super aus, meinen aber, ja, nur die Farbe, ich weiß nicht … ich will das enger, aber es darf nichts drücken …» Doch für diese Launen haben die Schneider_innen Unterstützung: «Meistens wissen Mitarbeiter vom Film- oder Theaterteam, wie man mit den jeweiligen Künstlern am besten umgeht.»