Edda Peter erzählt vom Schrecken des Kriegs, den sie als Kind hautnah miterleben musste. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)
Das Wimmern des alten Mannes. Sie hört es heute noch: «Der Mann musste in einer Nebengasse vom Rennweg knien und mit einer Zahnbürste über die Pflastersteine reiben, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach. Ein laut schreiender Mann in schwarzen Stiefeln trat dann auf den Wehrlosen ein.» Edda Peter war an diesem Tag noch nicht einmal drei Jahre alt. Über ihre Kindheitserlebnisse im Zweiten Weltkrieg hat sie ein berührendes Buch geschrieben. Es trägt den Titel «Kinderseele im Bombenhagel».
In Schutt und Asche.
«Es gibt Erlebnisse, die trage ich mein ganzes Leben mit mir herum», erklärt die Mutter von sechs erwachsenen Kindern beim Blättern durch ihr Fotoalbum. Heute wohnt sie in einem Einfamilienhaus in der schön und ruhig gelegenen Kordonsiedlung im Westen von Wien. Weniger friedlich war es in ihrer Heimatstadt in den letzten Kriegsmonaten. Die Zeitzeugin, die ihre Kindheit im dritten Bezirk verbracht hat, erzählt, dass die Straßenbahnen nach den Fliegerangriffen auf Wien nicht mehr überall fahren konnten: «Die Straßen waren zum Teil in einem desolaten Zustand.» Manche Erinnerung schnürt ihr bis heute die Kehle zu, etwa jene an die durchs Mark gehenden Sirenen der Fliegerabwehr.
Im Buch erzählt sie auch über ihren Wettlauf mit dem Tod – bis zum Bunker im nahe gelegenen Arenbergpark: «Mutti schleifte mich über die Pflastersteine der Straße, denn ich hob meine Beine nicht mehr. Ich fühlte mich lahm, mein Kopf war leer.»
Es ist die Perspektive des Kindes, die Edda Peters Autobiografie so lesenswert macht. Später, als Erwachsene, zweifelte sie oft an sich selbst. Und an der Welt: «Bis vor wenigen Jahren bin ich bei jedem Flugzeug, das ich in der Ferne gehört habe, zusammengezuckt. Selbst das Geräusch der Klospülung hat mich verängstigt.» Ihre Angst hatte eine Ursache. Als das Dröhnen der Flugzeuge näher kam, sah sie vor dem Bunker eine Torschlusspanik: «Es wurde immer enger rund um uns. Kinder schrien, alte Leute stöhnten vor Anstrengung. Hier gab es kein Rücksichtnehmen auf Schwächere, jeder war sich selbst am nächsten! Mutti ermahnte uns ständig, nur ja nicht ihre Hand loszulassen.»
Angst und Schrecken.
Dann waren die Flugzeuge über ihnen: «Zweimal erbebte das ganze Gebäude, alle verstummten – kein Husten mehr, kein Weinen, und nach geraumer Zeit der erlösende Gedanke: Der Bunker hatte standgehalten, und es war uns nichts geschehen!»
Edda Peter sagt zwischendurch auch: «Zum Glück blieb meinen Kindern der Krieg erspart.» Dann erzählt sie von jenem Mann, der in den letzten Kriegstagen mit seinem Fahrrad an einem Trupp blutjunger Soldaten vorbeifuhr und den eifrig Marschierenden zurief, dass sie «ham» gehen sollten, weil dieser Krieg längst verloren sei. Fassungslos sagt Frau Peter: «Da hat einer der Soldaten sein Maschinengewehr auf ihn gerichtet. Er hat ihn einfach erschossen. Um dann mit seinen Kameraden weiterzumarschieren, so als wäre nichts gewesen.» Die Zeitzeugin hofft, dass junge Menschen heute wachsam bleiben. Damit unsere Demokratie nicht erneut von einem autoritären System abgelöst wird. Gerne würde sie von ihren Erlebnissen in Schulen berichten. Doch dazu müsste sie eine Schule einladen. Den Schüler_innen würde sie auch erzählen, dass das Leiden mit Kriegsende noch nicht zu Ende war. Zwar zogen die Nazis aus Wien ab, doch der Hunger, der blieb: «Einmal musste ich meiner Mutti mein Halsketterl zurückgeben. Das hat sie auf dem Schwarzmarkt im Resselpark gegen Schmalz eingetauscht.»
Eine andere Geschichte.
Seit zwei Jahren setzt sich die Bewohnerin der Kordonsiedlung ehrenamtlich für ihre Nachbar_innen ein. Auch sie verbinden schmerzhafte Erinnerungen mit dem Zweiten Weltkrieg.
Konkret geht es um das Schicksal von 66 Siedler_innen, unter ihnen vor allem Kinder und Frauen, die bei einem Bombenabwurf am 26. Juli 1944 tragisch ums Leben kamen. Dort, wo heute Wohnwagen parken, auf dem Campingplatz Wien-West, befand sich bis zu diesem Tag ein unterirdisches Reservoir einer still gelegten Wasserleitung, das ihnen eine nur trügerische Sicherheit versprach.
Warum die Bombe des US-Piloten dort niederging, ist bis heute unklar. Doppelt bitter ist jedenfalls, dass die Kriegsopfer laut Zeug_innenberichten erst beim Evakuierungsversuch unter den Trümmern begraben wurden.
Gemeinsam mit den Nachfahr_innen hat Edda Peter in den vergangenen Monaten alle historischen Dokumente und einen Gedenkstein besorgt. Nun geben auch die Beamt_innen in der Kulturabteilung und im Stadtarchiv grünes Licht. Es scheint so zu sein, dass eine für alle Seiten zufrieden stellende und wissenschaftlich korrekte Inschrift in den Stein gemeißelt werden kann.
In wenigen Wochen soll der Gedenkstein unten bei der Hüttelbergstraße aufgestellt werden. Und Frau Peter freut sich auf diesen Akt: «Weil ich dann endlich wieder ruhig schlafen kann.»