Ein Augustin-Urgestein verließ seinen Platz - endgültig
Südtirolerplatz-Günther zählte zu den bekanntesten Clochards von Wien. Sein Charme überwog alles, was dem Augustin sonst noch einfiel, um als Sozial- und Medienprojekt in Wien Sympathie zu gewinnen. Sein Tod wirft die Frage auf, ob für diesen Typus von Menschen die Tage gezählt sind, aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen, die für Individualist_innen des Randes abträglich sind. Günthers Augustinverkäufer-Kolleg_innen Dieter, Ricky und Nudl erinnern sich im Folgenden an einen, der wie niemand auf einem bestimmten Platz in Wien Wurzeln schlug und sich trotzdem als Weltstreicher definierte.Du hast Dein Leben nach dem Motto «Vergiss das Morgen, wenn du das Heute nicht gelebt hast» gelebt. Wenn dich jemand angelächelt hat, wenn Hunde Dich angebellt haben oder Krähen an Dein Fenster gekommen sind, war das für Dich ein guter Beginn des Tages.
Durch Deine lebensoffene, neugierige Art war es Dir möglich, viele Leben auszuprobieren: als Seefahrer, Polizist, Wirt, Weltreisender und zuletzt als Augustin-Verkäufer. Du hattest immer wieder neue Ideen und riefst einige Projekte ins Leben.
Der Seefahrer Günther ging einfach so aus dem Burgenland nach Hamburg, heuerte an und bereiste die Nord- und Ostsee, auch den Atlantik. Zwischen Neufundland und Brasilien versorgtest du die Mannschaft mit guter österreichischer Küche.
Nachdem Du die Welt bereist hattest, wurdest Du zuerst Polizist und danach Wirt. Im Zuge des Weinskandals warst Du gezwungen, Dein Wirtshaus zu schließen. Deine Freiheitsliebe zog Dich abermals in die Ferne. Auf Kreta angekommen, lerntest Du Deine große Liebe Alice kennen und lebtest mit ihr – und mit vielen, vielen Hunden von der Straße – ein einfaches, unbeschwertes, glückliches Leben. Von Kreta ging’s nach Nordgriechenland, Du wurdest zu «Sony Mazedonius», die Griech_innen liebten Dich so, wie du warst. Leider konntest Du dein nächstes großes Vorhaben, Griechenland im Eselskarren zu bereisen, nicht mehr umsetzen. Deine geliebte Alice verunglückte beim Baden auf tragische Weise. Gebrochen kehrtest Du nach Wien zurück.
Hier hast Du Dich für die neu gegründete Straßenzeitung Augustin engagiert. Als Augustinverkäufer wurdest Du zum «Südtirolerplatz-Günther». Du lerntest Leute kennen, denen Du Hilfe angeboten hast: Deshalb bist Du auch manchmal ausgenutzt worden. Es gab auch ein paar falsche Freunde, die – als es Dir schon sehr schlecht ging – nicht einmal Deinen Namen mehr kannten. Du hast es mit einem Lächeln hingenommen, hast gesagt: Menschen sind so.
Ob im Augustinbüro oder in deiner Kemenate, wo wir verrückte Bilder malten, versalzenen Gurkensalat aßen oder Kaffee mit Ziegenmilch und Honig tranken, hast Du uns deine Lebensphilosophie nahegebracht. Einfach so. Du wolltest stundenlang über’s Bundesheer oder die Seefahrt diskutieren und hast gemotzt, wenn es manchmal nicht nach Deinem Sturschädel ging.
Im Park hinter der Wiener Secession hast Du im goldenen Overall als «Hermes der Götterbote» Straßenkunst gemacht und erstaunte Passanten angeregt, mitzumachen. Beim Lagerfeuer bis früh am Morgen mit Gleichgesinnten, egal welcher Herkunft oder Sprache, reden, Erfahrungen austauschen und diskutieren, danach, einfach so, im Feldbett unter dem «Rotweinhimmel» (wie du den roten Strauch genannt hast), einschlafen oder gleich gegenüber beim Vietnamesen mit Stäbchen WanTan Suppe essen – das war’s, was für dich im Leben zählte.
Als sich die Gelegenheit bot Südtirol kennenzulernen, packtest Du sie sofort beim Schopf. Südtirolerplatz-Günther, auf nach Südtirol. Einfach so. Angereist im Indianeroutfit mit Rotwein in der Umhängetasche lerntest Du in Bozen nach kürzester Zeit die Bahnpolizei kennen. Die wollten einfach nicht, dass am Bahnsteig ein Wiedersehen gefeiert wird, was Du natürlich nicht verstehen konntest. Deine Augen leuchteten wie bei einem Kind, als Du Bozen, Meran und die weiten Apfelplantagen kennenlerntest. Dich interessierten Land und Leute. Wir feierten eine Woche lang Geburtstag. Du wolltest fast jeden Tag eine bestimmte Bar besuchen – wegen der Kellnerin mit den schönen Augen.
Du kamst nicht ohne eine Idee nach Südtirol. Du wolltest nach Augustin-Vorbild auch hier eine Straßenzeitung ins Leben rufen. Du kontaktiertest Landespolitiker und übergabst ihnen Augustin-Exemplare, damit sie sich ein Bild machen konnten. Das Projekt scheiterte aber am mangelnden Geld. Du wolltest immer was organisieren, ob beim Augustin oder sonst wo, hoffentlich machst Du das auch auf Wolke 7.
Ob Sonne, Regen oder Schnee, Du standest auf deinem geliebten Südtiroler Platz, um den Augustin zu verkaufen. «Warum i die Zeitung verkauf? Na weil i der Südtirolerplatz Günther bin!» Deine Worte. Du hast den vorbeieilenden Menschen genau erklären können, worum’s beim Augustin geht, mit Herzlichkeit, Freundlichkeit und deinem Lächeln, manchmal auch schroff, wenn sie es nicht verstehen wollten.
Deinen Lebensabend wolltest Du in Griechenland verbringen. Auch Südtirol wolltest Du unbedingt noch einmal sehen. Leider konntest du diese Träume nicht mehr umsetzten. Dein gesundheitlicher Zustand verschlechterte sich nach dem Oberschenkelhalsbruch rapide. Du musstest realisieren, dass ohne Rollstuhl nichts mehr ging, auch nach der Rehabilitation nicht. Du wolltest unbedingt immer wieder auch im Rollstuhl Augustin verkaufen. Es kamen Probleme mit der Lunge hinzu, bei dem Spitalsaufenthalt wurde Krebs diagnostiziert. Du kämpftest bis zum Schluss, aber der Krebs war stärker als Du – einfach so. Kämpfe weiter auf deiner Wolke 7!