Einfahrer Unterschrifttun & lassen

Nachrichten aus der Schuldenfalle (2)

Viele Arbeitslose suchen ihr Erwerbsglück in der Selbständigkeit. Das ist wahrscheinlich richtig. Was sie allerdings nicht ahnen können, ist, dass sie von einem Tag auf den anderen schutzlos sind. Vor allem gegenüber raffinierten Fallenstellern.Der so genannte „kleine Mann“, der auch eine Frau sein kann, wird z. B. durch das Konsumentenschutzgesetz oder durch das Wohnrecht vor Schaden bewahrt. Sobald dieser „kleine Mann“ oder die „kleine Frau“ einen Gewerbeschein löst, ist er oder sie zwar um nix größer geworden – aber fast völlig schutzlos!

Ein Transportunternehmer mit einem geleasten Kastenwagen, der zudem von einem einzigen Funkvermittler abhängig ist, ist wahrhaftig kein Unternehmer im Sinne des Klassenkampfes. Eine Änderungsschneiderin, die in einer Ecke des Wohnzimmers an ihrer Nähmaschine um ihre Existenz näht, entspricht nicht dem Bild des Ausbeuters. Ein LKW-Fahrer, der von seinem Dienstgeber outgesourct wird, dem also der LKW der Spedition verleast wird und der fortan im Freien Unternehmertum (ausschließlich für dieselbe Spedition) statt im Rahmen der Speditions-Logistik den König der Autobahn macht, entlastet zwar die Bücher der großen Speditionen, ist aber früher oder später sowieso ein Fall für den Konkursrichter.

All die neuen Unternehmer, die das unternehmerische Risiko dem Stillstand und dem Stigma der Arbeitslosigkeit vorziehen, viele davon so genannte „Scheinunternehmer“, wurden nicht auf die Verantwortungen der Selbständigkeit vorbereitet. Sie gehen zur Gewerbebehörde, in der Regel die Bezirkshauptmannschaft, in Wien das Magistratische Bezirksamt, melden ein Gewerbe an und dürfen ab dem Datum der Anmeldung als Firma arbeiten, sogar noch bevor die papierene Bewilligung einlangt, unterschreiben, stempeln, werben, einkaufen, verkaufen und letztlich Pleite machen. Viele sind deshalb auf den rauen Existenzkampf in der Selbständigkeit nicht vorbereitet, weil die Grundschule dazu fast nichts bietet!

Kleine Selbständige haben in Österreich keine Lobby

Unser Rechtssystem kennt bisweilen den Begriff der Solidarität, also dass der Schwache dem Mächtigen nicht total ausgeliefert sein soll. Das österreichische Rechtssystem sieht sogar oft vor, dass den Starken eine Obsorgepflicht für den Kleinen trifft. Dazu haben sich die Arbeitnehmervertretungen zum Beispiel für die Schaffung eines modernen Konsumentenschutzes, das Dienstrecht oder für das Wohnrecht eingesetzt. Erfolgreich. Geschäftsmieter sind jedoch bei weitem nicht so geschützt wie Wohnungsmieter.

Erst diese Rechtslage macht eine eigene Branche möglich, die genau von dieser Gesetzeslage lebt. Das sind windige Firmen, die kleinen Unternehmen mit irgendwelchen Versprechungen, zumeist über verbotene Cold Callings (ungebetene Telefonanrufe) angebahnt, Unterschriften entlocken. So werden langjährige Leasing-, Miet-, Liefer- oder Barterverträge (Tauschgeschäfte) oder obskure Mitgliedschaften verkauft, die die ersehnten Gewinne bringen sollten. Oft rührt dann von den Fallenstellern keiner mehr einen Finger für das kassierte Geld, und statt dem KMU (Klein- und Mittelunternehmer) verdient ab dem Datum der Vertragsunterzeichnung nur mehr deren Firmenanwalt.

Die Rechtsanwaltskammer, deren Job, zugegeben, es nicht ist, das Recht zu schützen, sondern die Rechtsanwälte, nimmt ihren ganzen Zynismus zusammen und nennt das, selbstverteidigend, so: „Auch ein Unternehmer, der eine gewisse kaufmännische Sorglosigkeit seiner Vertragspartner zu seinem Vorteil ausnützt, hat das Recht und die Möglichkeit, sich anwaltlich bei Durchsetzung seiner Ansprüche vertreten zu lassen“ (Dr. Peter Knirsch für die Rechtsanwaltskammer Wien, 7. Juli 1992).

Dann stehen vielleicht ein viel zu teures Auto vor dem Haus, ein zu groß dimensioniertes Kopiergerät im Büro, eine sündteure Homepage im Netz und der Jungunternehmer vor Gericht. Kleine Selbständige haben in Österreich keine Lobby, weil der Klassenkampf in Österreich nur zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern unterscheidet und keine anderen Unterschiede macht. Folglich hat das österreichische Rechtssystem kein Interesse an ihnen entwickelt. Die Wirtschaftskammern und die dort wahlwerbenden Gruppen (im Wesentlichen der Wirtschaftsbund als Teil der ÖVP und der sozialdemokratische Wirtschaftsverband als Vorfeldorganisation der SPÖ) sind nur an den Mitgliedsbeiträgen der Kleinen interessiert, nicht an ihrem Schutzbedürfnis. Weil auch in den Wirtschaftskammern die Großen das Zahlen und daher das Sagen haben.

Routine im Herauslocken von Unterschriften

Als Dank dafür, dass der Mann oder die Frau aus eigener Kraft, mit mühsam Erspartem und/oder riskanten Krediten unter Konsumverzicht und unter Mitwirkung der Familie dem Sozialsystem nicht mehr zur Last fällt, trifft ihn die volle Härte des Gesetzes. Die klaren Grenzen, hier die Firma, der Unternehmer, Meister, Eigentümer eines Betriebes, und da der Dienstnehmer, abhängig, ausgeliefert, sind hier aufgehoben. Denn der Mann, der im Sommer für ein paar Cent den Rasen sprengt, im Winter den Schnee vom Gehsteig schaufelt und dafür ein Honorar bekommt, ist ein Freier Kaufmann im Sinne des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches. Und ein präsumtives Opfer für clevere Verkäufer.

In Österreich ist für jede gewerbliche Tätigkeit eine Gewerbeberechtigung, eine amtliche Bewilligung, ein herrschaftlicher Gnadenakt notwendig – was schon nach Metternich, der Administration im Dritten Reich oder in der Sowjetunion riecht. Der Mann, der mit einem Kleisterpinsel Plakate auf Baustellenzäune klebt, der Hausbetreuer, der die Stiegenhäuser aufwäscht, wo es keine Hausbesorger machen, sie alle sind selbständige Unternehmer wie der Baumeister, der Fabrikant und – der Nachhilfelehrer. Sie werden rechtlich genau so behandelt wie der Bau-Tycoon Hans Peter Haselsteiner oder wie die Industriellen Dr. Martin Bartenstein oder Dr. Veit Sorger.

Möglich, dass das ein Teil der Freiheit des Unternehmertums ist. Gut! Aber dann sollte dem Kleinstunternehmer auch derselbe Rechtsschutz zustehen wie den Dienstnehmern.

Die Behörden, Justiz und Verwaltung, sind sich nur in einem einig, nämlich, dass jede Unterschrift eines selbständigen Fensterputzers genauso viel gilt wie die eines Wirtschaftsdoktors. Was Wunder, dass das clevere Geschäftemacher bisweilen bis zur Ekstase nützen. Einfachen Menschen werden mit wilden mündlichen Versprechungen (die schwer beweisbar bleiben sollen, weil mündlich), List und geschulter Routine Unterschriften herausgelockt, an die sie für Jahre gebunden sind. Sie unterschreiben Verträge, deren Konsequenz, und das ist die Oberfrechheit, oft nicht einmal Juristen verstehen. Dass mündliche Zusagen und Nebenabreden, die im Zusammenhang mit der Kundenakquisition gemacht werden, nur einklagbar sind, wenn sie auch beweisbar sind, also etwa durch Zeugen oder Tonaufzeichnungen, ist richtig. Dass das diese Keilerfirmen wissen und auch nützen!

Aber: Für diese Menschen gilt kein Rechtsschutz, der dem Konsumentenschutz gleicht, oder dem Dienstrecht. Weil sich eine überhebliche und bornierte Justiz unter totaler Realitätsverweigerung außer Stande sieht, diese zumeist ehrlichen und braven Leute, die zu den schwächsten Bürgern des Landes zählen, zu schützen. Die Justiz wird auch solange keine Mühe darauf verschwenden, bis ihnen der Gesetzgeber, also die gewählten Politiker, das Parlament, einen klareren Auftrag dazu erteilt.

Dem sowieso überlasteten Justizapparat ist die Situation recht, weil sie ihm viel Arbeit erspart. Denn derzeit muss im Klagsfall zumeist nur ermittelt werden: Wurde die Unterschrift geleistet oder nicht? Haben die Vertragspartner die Vereinbarungen eingehalten oder nicht? Da es so etwas Ähnliches wie den Kosumentenschutz für die Klein-, Schein- und neuen Unternehmer nicht gibt. Also muss die Justiz im Falle eines Rechtsfalles nicht nachfragen, unter welchen Umständen die Vertragsunterzeichnung zustande gekommen ist, ob’s zum Beispiel eine Stornofrist gibt und ob der Vertrag hinterhältig, zum Nachteil des Schwächeren, vor der Wohnungstüre, formuliert ist oder nicht. Das richterliche Mäßigungsrecht gibt es nur für überzogene Konventionalstrafen oder im Arbeitsrecht.

Nochmals: Der Schutz der Kleinstunternehmer, äquivalent zum Konsumentenschutz, ist nicht nur ein Problem der Betroffenen, sondern muss endlich als gesellschaftliches Anliegen begriffen werden. Bis jetzt hat sich noch keine politische Partei um diese Schicht gekümmert. Der Umstand, dass Kleinstunternehmer oft nur sehr kurz solche sind (wie zum Beispiel die Kinder, Schüler und Studenten), erschwert den Betroffenen, sich selbst zu organisieren, ihre eigene Lobby zu schaffen und sich zu artikulieren.

Im Moment liegt der Ball allerdings bei jenen, die die Gesetze beschließen, bei den Politikern, beim Parlament. Jene Gremien, die daran schuld sind, dass raffinierte Geschäftemacher mit ihren Rechtsanwälten Fallen stellen dürfen, in die kleine Betriebe tappen müssen.